Sollen Frauen wählen dürfen? Sind unsere mühsam erkämpften Rechte in Gefahr? Und wie ist es derzeit um den Feminismus bestellt? Acht Tage lang haben die Performerinnen in einem Container im Rahmen ihres Kunstprojekts „FRAUENWAHLRECHT/AB-SCHAFFUNGS/ZENTRALE“ am Karlsplatz Stimmen und Meinungen gesammelt. Am 12. November, 100 Jahre nach Einführung des allgemeinen Wahlrechts auch für Frauen, werden die Ergebnisse im „Kosmos Theater“ präsentiert.
Für die Kulturfüchsin haben die Schauspielerinnen und Projektleiterinnen im Vorfeld die Ergebnisse evaluiert. Ein Interview über Arbeiten im öffentlichen Raum, schwierige Männer, engagierte Frauen und wieso es sich lohnen würde Gedankenexperimente in den Lehrplan aufzunehmen.
Wann war euch klar ihr wollt etwas zu 100 Jahre Frauenwahlrecht machen?
Eva Puchner: Das hat sich eigentlich Schritt für Schritt ergeben. Susanne und ich haben gemeinsam Kulturmanagement am IKM der Universität für Musik und darstellende Kunst studiert. Zu dieser Zeit war die Bundespräsidentenwahl und die Stichwahlwiederholung erschien uns derartig absurd. Wir haben die Entwicklungen im Liveticker verfolgt und wussten, wir müssen reagieren und mit unseren künstlerischen Mitteln etwas Politisches machen. Damals ist uns auch ein Zitat von Michael Howanietz (FPÖ-Bezirksrat) untergekommen, das in dem Buch „Für ein freies Österreich“, das von Norbert Hofer 2015 herausgegeben wurde, stammt. Er schreibt, dass der starke Mann sich nach einer Partnerin sehnt, bei der der Brutpflegetrieb stärker ausgeprägt ist als die Selbstverwirklichungsambitionen. Da ist es mir eiskalt über den Rücken gelaufen.
Susanne Preissl: Im Wahlkampf wurde auch die Vermischung von Frauenrechten und Migrationsthemen stark bedient. Das Thema wie schützen wir unsere einheimischen Frauen vor Ausländern, das ja ein altbekanntes Narrativ ist, wurde von den Rechten so groß aufgeblasen. Das hat uns für unser Thema inspiriert. Und das Jubiläum 100 Jahre Frauenwahlrecht passte gut in unser Konzept. Den öffentlichen Raum wählten wir, weil wir Menschen erreichen wollten, die normal nicht an Kunst partizipieren.
Eva Puchner: Der Karlsplatz war ein guter Ort für das Projekt. So ein Thema gehört ins Zentrum der Stadt.
Während eurer Zeit am Karlsplatz hattet ihr Gäste mit Programm aus den unterschiedlichsten Bereichen. Von der Lesung über eine Analyse von Songtexten bis hin zu zum Talk mit Politikerinnen und Wissenschaftlerinnen Wie kam es zur Zusammenarbeit?
E.P: Im Zuge der Vorbereitung des Projekts war uns schnell klar, Lena Jäger mit dem Frauenvolksbegehren muss dabei sein. Wichtig war uns auch feministische Gruppen wie #resisters, Sorority und OBRA einzuladen. Dass wir mit Künstlerinnen und Künstlern zusammenarbeiten hat sich aus unserer Vorgeschichte als Schauspielerinnen ergeben.
S.P: Wenn man sich so intensiv und lange mit einem Projekt beschäftigt, beginnt sich das zu einem gewissen Teil zu verselbstständigen. Aufgrund des Inhaltes sind viele Leute auch zu uns gekommen und haben mit uns einen Austausch gesucht. Wir verstehen das Projekt auch als Plattform für feministische Diskurse.
E.P: Unser Motto war, wer auf uns zukommt, der/die soll Raum zur Entfaltung bekommen. Wir waren letztendlich ein rein weibliches Team, obwohl wir die Männer nicht absichtlich ausgeschlossen haben. Das hat sich so ergeben. Aber hinter den Kulissen gab es viele helfende Männerhände.
Das Ergebnis der Umfrage: 8,4 Prozent für die Abschaffung? Spiegelt das die Meinung der Bevölkerung wider?
E.P: Definitiv nicht. Da haben viele im Sinne des Projekts den Sarkasmus weiter gespielt.
S.P: Lediglich ein paar Leute haben es ernst gemeint. Es gab zum Beispiel eine Stimme, die tatsächlich meinte, eine Abschaffung wäre sinnvoll, weil Frauen ein schlechtes Urteilsvermögen hätten.
Gerade wenn man Arbeiten im öffentlichen Raum realisiert, muss man mit Konfrontationen rechnen. Habt ihr mit mehr Auseinandersetzung gerechnet?
S.P: Die Irritation und Provokation, die von uns sehr bewusst gewählt wurde, hat gefruchtet. Der Titel „Frauenwahlrechtabschaffungszentrale“ hat sowohl Leute vom rechten als auch vom linken Lager bewegt.
S.P: Die Motivation zur Partizipation der Leute war extrem hoch. Besonders stark war der Zuspruch von Frauen der älteren Generation. Eine ältere Dame meinte, sie musste ihren Mann noch um Erlaubnis bitten, um arbeiten gehen zu dürfen und sie verstünde nicht, warum sich die jüngere Generation so wenig für demokratische Prozesse und Feminismus interessiert.
Sind die Österreicher generell demokratiemüde? Ich denke da auch an die gewohnt niedrigen Wahlbeteiligungen . . .
E.P: Viele spüren nicht, dass diese Rechte bedroht sind, deswegen sehen sie keine Notwendigkeit aufzustehen. Ich denke aber, dass die Bundespräsidentenwahl gezeigt hat, dass die Menschen sehr wohl mobilisierbar sind. Das war eine sehr emotionale Debatte, wo auch viel in den Familien gestritten wurde.
S.P: Tamara Ehs vom Institut für Politikwissenschaften hat bei uns im Container unter anderem über Wahlbeteiligung gesprochen. Bei jungen Menschen mit 16, 17 Jahren, wo die Eltern sie noch mitnehmen, ist sie hoch. Danach bricht sie bis ca. Dreißig stark ein und steigt dann wieder. Die höchste Wahlbeteiligung hat die Gruppe 60 plus. Die haben diese Regierung gewählt, weil sie die stärkste Wahlbeteiligung und am stärksten konservativ gewählt haben.
Bis das Frauenwahlrecht Wirklichkeit wurde, hat es viele Kämpfe benötigt. Was waren damals die Argumente gegen ein Wahlrecht für Frauen? Inwieweit sind diese 100 Jahre später immer noch aktuell?
E.P: Das größte Gegenargument war, dass die Gesellschaft nicht mehr funktionieren würde, wenn Frauen sich für politische Prozesse interessieren, weil sie sich nicht mehr um die Familie kümmern können. Das sei die zentrale Aufgabe einer Frau. Die Männer konnten außerdem das Wahlverhalten der Frauen nicht einschätzen. Die Christlich-Sozialen hatten große Angst, dass die Frauen nicht zur Wahl gehen würden und haben deswegen in einigen Bundesländern die Wahlpflicht eingeführt. Tatsächlich haben mehr Frauen die Christlich-Sozialen gewählt, obwohl die Sozialdemokraten mehr das Frauenwahlrecht gefordert haben. Und natürlich wurden diese ganzen Faktoren ins Feld geführt – zu sensibel, zu emotional.
Bei vielen Männern schwingen zudem Ängste und schwierige Erlebnisse mit. Die Angst etwas abgeben oder aufgeben zu müssen und sich vielleicht neue Fähigkeiten aneignen zu müssen, wenn die Frau zum Beispiel wieder Arbeiten geht. Man sieht auch, dass Frauen anders wählen, eher links der Mitte. Man muss dazu sagen, viele wählen nur anders bis zu dem Moment, wo sie verheiratet sind und dann wählen sie wie der Ehemann.
S.P: … sagt eine aktuelle Studie. Einer unserer Ansätze bei dem Projekt war, in Dialog zu treten, so seltsam und extrem uns die Meinungen auch erschienen sind. In vielen diesen Diskussionen mit hauptsächlich älteren Männern, auch wenn die Meinungen am Anfang sehr radikal waren, haben sich im Laufe des Gesprächs gemeinsame Werte gefunden und beide Seiten sind weicher und verständnisvoller geworden. Darin sehe ich das Kapital dieses Projektes. Dass viele Männer vor sich junge Feministinnen hatten und gesehen haben, die sind doch nicht so verrückt und urteilsschwach wie sie immer geglaubt haben. Was man auch gesehen hat: Bei vielen ist null Bewusstsein dafür da, dass wenn die Frau aus der Pflegerolle aussteigt, der Mann dafür einsteigen könnte.
Seit mehrere Jahren ist in punkto Feminismus vom Backlash die Rede. Wie seht ihr das? Tendenz weiter fallend?
S.P: Wir persönlich sind in Sphären unterwegs wo dieser Backlash überhaupt nicht stattfindet. Im Gegenteil. Da gibt es viele spannende Bewegungen.
E.P: Wenn ich mir zum Beispiel das Frauenvolksbegehren oder Sorority anschaue. Da steckt eine enorme Kraft dahinter und es macht viel Spaß mit solchen Frauen zusammenzuarbeiten. Aber das Frauenbild der momentanen Regierung ist natürlich stark rückschrittlich. Ich komme vom Land und wenn ich mich dort umschaue sehe ich viele, die das begrüßen. Es verwundert mich wie traditionell dort Familie noch gelebt wird. Da gibt es ein großes Stadt-Land-Gefälle.
S.P: Das ist eine Sache, die wir auch im Zuge des Projektes gelernt haben. Wie vielen Menschen überhaupt nicht bewusst ist, dass wir dieses System, das wir selber einmal erfunden haben, verändern können. Es wird gesagt, das ist die Rollenverteilung, die war schon immer so. Dass es nach wie vor eine systematische Benachteiligung von 50 Prozent der Gesellschaft gibt und dass wir das ändern können, so zu denken, da haben viele ein Brett vor dem Kopf. Vielleicht sollte man in der Schule mehr Gedankenexperimente durchführen.
E.P: Einige junge Leute, so um die 17, 18 Jahre, die bei unserem Container waren, haben gemeint das Binnen-I sei Schwachsinn und die Frauenquote würde schlechter qualifizierte Frauen in Positionen bringen, wo sie nicht hingehören. Diese Meinung kommt möglicherweise daher, dass Ungleichbehandlung in diesem Alter noch nicht so spürbar ist. Ich habe Diskriminierung zum ersten Mal bewusst wahrgenommen als ich begonnen habe als Schauspielerin zu arbeiten. Was diesbezüglich eine „Me too“ Bewegung ausgelöst hat, das war dringend notwendig. Ich glaube, dass sich auch hierzulande viele Intendanten jetzt gewisse Dinge nicht mehr sagen trauen oder nachdenken bevor sie Aktionen setzen. Das zweite Mal, dass ich diese systematische Benachteiligung stark gespürt habe, war als ich Mutter geworden bin. Ich war immer schon Feministin, aber da ist mein Kampfgeist erst richtig entstanden. Es ist erschreckend wie viel unbezahlte Arbeit Frauen immer noch ganz selbstverständlich leisten.
S.P: Das trifft sich für mich mit der Meinung dieses Mannes, der bei uns war und gesagt hat, es funktioniert nicht wie es ist. Da hat er nicht unrecht. Aber die Lösung kann nicht heißen, die Frauen sollen wieder zu Hause bleiben. Da muss man weiter gehen. Die Männer müssen mehr einbezogen werden.
E.P: Nur gemeinsam können wir das schaffen.
Aktuell wird massiv gekürzt. Bei Genderthemen, in der Gewaltprävention und Betreuung von Opfern häuslicher Gewalt, bei Vereinen und Institutionen, die sich dem Thema Gleichberechtigung widmen. Warum wird immer zuerst bei den Frauen gespart? Wie kann man dem entgegensteuern?
E.P: Diese Kürzungen waren ganz klar eine Zeichensetzung in Richtung traditionelle Rollenbilder. Es waren ja keine großen Beträge.
S.P: Wir haben bei unserem Container ein Grab angelegt, wo wir den verlorenen Geldsummen der Vereine gedenken. Diese Vereine leisten unverzichtbare Arbeit. Ich fand interessant, was die ehemalige Frauenministerin Heinisch-Hosek diesbezüglich bei uns im Container gesagt hat. Wenn sie Frauenthemen in der Politik vertreten soll, dann hat sie eine umso stärkere gewichtigere Stimme, je mehr das gerade in der Gesellschaft Thema ist und diskutiert wird. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass diese kleinen Gruppen ständig tun und schaffen, die ja auch radikaler schaffen können als das eine Politikerin fordern kann. Je lauter diese Stimmen werden, desto lauter kann auch ihre Stimme sein.
E.P: In dem Buch „No more Bullshit“ der Sorority gibt es einen Leitfaden, in welchen Momenten es wichtig ist, dass eine Frau sich äußert und widerspricht. Widerstand fängt damit an, dass wir als Frauen nicht den Mund halten.
Immer wieder hört man, „ich bin ja keine Feministin, aber . . .“ Wann wurde Feministin (auch für Frauen) zum Schimpfwort?
E.P: Feministin war immer schon ein Schimpfwort. Der Begriff wird jetzt erst langsam salonfähig gemacht durch Beyoncé und Frauen, die sich feministische Slogans auf T-Shirts drucken und dadurch für junge Menschen cool machen. Feminismus wird oft mit Radikalität in Verbindung gebracht. Gerade bei Männern. Das steckt viel Angst dahinter, etwas zu verlieren.
S.P: Wobei das natürlich die Frage ist. Verliert eine Gruppe etwas, nur weil eine andere Gruppe mehr Rechte bekommt?
E.P: Ich finde, es gibt in der Politik wenige Role Models. Eine Johanna Dohnal hat enorm viel gekämpft und weiter gebracht und in die Wege geleitet. Nach wie vor gibt es tolle, starke Frauen in der Politik, aber es sind leider noch viel zu wenige. Quote könnte einiges verändern!
Frauen sind in der Performanceszene mit starker Stimme vertreten. Mehr als auf der Bühne und im Film. Wieso?
E.P: Viele Performerinnen sind ihre eigenen Chefinnen. Sie produzieren selbst, entwickeln selbst das Konzept. Das macht einen großen Unterschied in der Arbeitsweise. Du kannst Sachen machen, die du im klassischen Theaterbetrieb nicht machen kannst.
S.P: Diese starke Positionierung gehört zur Performance einfach dazu. Ich habe noch nie eine Performance gesehen, die inhaltlich keine starke Aussage machen wollte, ob sie es geschafft hat, ist eine andere Frage.
Könnt ihr etwas über den Abend im „Kosmos Theater“ erzählen. Was erwartet die ZuseherInnen?
S.P: Das ist ein bisschen so etwas wie ein Best-of. Wir werden beispielsweise etwas zu unseren Wahlzetteln erzählen, die zum Teil sehr kreativ ausgefüllt wurden.
Arbeitet ihr bereits an einem neuen Projekt?
S.P: Mehrere. Aber da ist es zurzeit noch schwierig darüber zu reden, weil das von der Finanzierung abhängt und es sich wahrscheinlich noch ziemlich verändern wird. Klar ist, es wird wieder der öffentliche Raum werden, es wird politisch werden, es wird feministisch werden …
Zu den Personen: Susanne Preissl Wurde 1986 in Wien geboren. 2009 Abschluss Schauspielschule Krauss. Engagements unter anderem an das Globe Wien, Volksoper Wien, Stadttheater Mödling, Kosmos Theater Wien, Theater Drachengasse, sowie ans Festival Retz. 2015 Anerkennungspreis des Landes Niederösterreich in der Sparte “Darstellende Kunst” für besondere Leistungen ihres Vereins “Theater Jugendstil – Theater, Kunst und Kultur für Jugendliche”. Im März 2018 schloss sie den Masterlehrgang Kulturmanagement (MAS) des IKM, Universität für Musik und darstellende Kunst ab. Infos: www.susannepreissl.com Eva Puchner Wurde 1978 in Oberösterreich geboren, 2003 absolvierte sie die Schauspielschule Franz Schubert Konservatorium in Wien. Als Schauspielerin unter anderem am Landestheater Linz, bei den Festspielen Reichenau, in der Garage X, dem Dietheater Künstlerhaus sowie in österreichischen Film,-und Fernsehproduktionen. Gründung der Theater,-und Performancegruppe Wildwux, Seit 2014 ist sie auch als Dramaturgin und Schauspielcoach tätig. 2018 schloss sie den Masterlehrgang in Kulturmangagement am IKM ab. Infos: http://www.evapuchner.com
DIE BRUTPFLEGER⋆INNEN
100 Jahre Frauenwahlrecht
12. November 2018, 20:00 Uhr
Kosmos Theater
Siebensterngasse 42
1070 Wien
www.kosmostheater.at
http://diebrutpflegerinnen.com/frauenwahlrechtabschaffungszentrale-2018/
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