Getreten, erstochen, mit Benzin übergossen, den Kopf gegen den Türstock geschlagen, mit diversen Gegenständen verdroschen und das Bein gestellt – die Liste der Misshandlungen ließe sich noch um einiges ergänzen. Schauspieler Kari Rakkola hat als das Schmürz einiges zu erdulden. Als vom Schmerz sichtlich gezeichnetes Wesen (vortrefflich in die schmutzigen Bandagen von Kostümbildnerin Alexandra Fitzinger gehüllt) geistert er vom Anfang bis zum Ende des Stücks ohne ein Wort zu sagen auf der Bühne herum. Ein Sündenbock hat eben keine Stimme und ist doch omnipräsent.
Boris Vians Parabelstück zeigt auf absurde Weise was geschieht, wenn sich eine Gruppe von Leuten nicht mit den Ursachen eines Phänomens auseinandersetzt, sondern sich in Selbsttäuschung ergeht und aus Angst ein Opfer sucht.
Bis zum Absturz
Im Falle von „Die Reichsgründer oder Das Schmürz“ wird die Angst durch ein seltsames Geräusch evoziert. Wann immer es ertönt flüchtet die Familie (Vater, Mutter und Tochter) gemeinsam mit ihrer Dienstbotin Cruche (wunderbar gespielt von Lana Francis) einen Stock höher. Immer enger wird die zur Verfügung stehende Wohnfläche, Gegenstände werden – wie auch Nachbarn und bald schon Familienmitglieder – zurückgelassen und vergessen, die Türen hinter sich vernagelt. Am Ende bleibt der Vater alleine, sich in einem Monolog des Geschwafels in vermeintliche Sicherheit hüllend, auf dem Dachboden zurück. Mittlerweile zur Parodie seiner selbst verkommen, wird er von den Verdrängten heimgesucht, die Erkenntnis bleibt ihm jedoch bis zum Ende verwehrt. Es ist die traurige Klimax eines Lebens in Leugnung – der Absturz naht.
Auch bühnentechnisch und schauspielerisch erreicht das Stück mit dem dritten Akt seinen Höhepunkt. Rüdiger Hentzschel läuft als Vater Leon Dupont mit wunderbar skurril pseudo-militantem Outfit zu Hochtouren auf. Kurzum: Ein gelungener Abschluss eines kurzweiligen Stückes zu einem leider ewig gültigen Thema.
„Die Reichsgründer oder das Schmürz“
von Boris Vian
noch von 27. bis 29. März 2018, 19:45 Uhr
Mit: Monica A. Cammerlander, Lana Francis, Lisa Wentz, Rüdiger Hentzschel, Florian Lebek, Kari Rakkola
Theater SCALA – TZF-Headquarter
Wiedner Hauptstraße 106-108
1050 Wien
Tel. +43-1-544 20 70
© Fotos: Bettina Frenze
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