Filme, die Einblicke hinter eine glitzernde Oberfläche des Showbiz geben, gibt es einige. Immer wieder wurde in der Vergangenheit auch die Pornoindustrie ins Visier (Boogie Nights, Lovelace) genommen. Trotz so mancher kritischer Darstellung ist in „Pleasure“, so erstaunlich es klingt, vieles in dieser Weise noch nicht in den Fokus gerückt worden. „Pleasure“ zeigt in Wahrheit nichts, was man nicht bereits aus anderen Filmen – seien es Spielfilme, Dokumentationen oder natürlich die thematisierten Pornofilme – kennen würde. Die Besonderheit liegt einfach darin es in konsequenter Weise aus der Sicht einer weiblichen Protagonistin zu tun. In bewusst bunten Farben und mit ästhetischen Bildern thematisiert Regisseurin Ninja Thyberg den Weg von der Ankunft ihrer Hauptdarstellerin (Sofia Kappel in ihrem viel gelobten Leinwanddebüt) in Los Angeles (dem Zentrum der Porno-Industrie) über das bittere Erwachen und darüber hinaus. Dabei gelingt es ihr auf wunderbare Weise das Publikum ohne jemals jeglichen Voyeurismus aufkommen zu lassen in den Bann zu ziehen.
Sichtbarmachen von Machtstrukturen
Erzählt wird neben den diversen Mechanismen des Business (von den Vorbereitungen bis zum Dreh, vom Run auf bestimmte Agenturen bis hin zu unterschiedlichen sexuellen Spielarten) nicht zuletzt eine Geschichte von versuchter Selbstbestimmung und Freundschaft – beides, so die bittere Erfahrung, scheint für Frauen in einer von männlichen Machtansprüchen dominierten Umgebung zum Scheitern verurteilt. Und doch gibt es sie die Szenen, wo sich Linnéa, so der Name der Protagonistin aka „Bella Cherry“, am Set durchaus wohlzufühlen scheint. Das mag mitunter Fragen aufwerfen: Wie sehe es beispielsweise aus, wenn mehr Frauen am Set arbeiten würden und diese auf stärkere Netzwerke zurückgreifen könnten? Dass „Pleasure“ darauf keine Antworten bieten kann liegt auf der Hand. Worum es in erster Linie geht, ist das Sichtbarmachen von Machtstrukturen. Die Frage wie sich diese durchbrechen ließen muss Bella Cherry für sich, so wie das Publikum und im Idealfall eine ganze Industrie, am Ende für sich selbst klären. Aber es gelingt im besten Sinne des Films das Bewusstsein für derlei Fragen zu schärfen. Auch wenn feministische Pornos sich mittlerweile längst einen fixen Platz in der Unterhaltungskultur erobert haben, so ist im Mainstream-Porno (und nicht zu vergessen auch in den meisten Hollywoodproduktionen) nach wie vor der männliche Blick ausschlaggebend.
Brutalität vor der Kamera
Von der anfänglichen Naivität mit der Linnéa in das Business einsteigt bis zum am Ende vermeintlichen Ausstieg hält die Handlung so manch (unangenehme) „Überraschung“ bereit. Mit Erstaunen vernimmt man beispielsweise, dass zum Extremsten gehört, was man laut „Pleasure“ im Porno-Business tun kann, gemischtrassige Filme zählen. Szenen, in denen frau von Männern geschlagen und bespuckt wird, zählen hingegen scheinbar zur – zugeben etwas roughen – aber doch allgemein akzeptierten Sparte. Dass bei solchen Darstellungen beim Dreh Vorsicht geboten sein sollte, ist nicht zuletzt daran zu sehen, wie akribisch sich Thyberg und ihr Team gemeinsam mit Schauspielerin Sophia Kappel auf Szenen wie diese vorbereitet haben. Im Film wird Bella Cherry während des Drehs hingegen vor vollendete Tatsachen gestellt. Unterstützung, während der psychologisch schwierigen Szenen erfährt sie nur halbherzig von den Darstellern und dem Kameramann/Regisseur, die auf der anderen Seite auch jene sind, die sich keinen Abbruch leisten können. Die Frage danach, ob es Vergewaltigung ist, auch wenn ich im Vorfeld meine Einverständniserklärung dazu abgegeben habe, dürfte sich auch für unsensible BetrachterInnen beantworten.
Jahrelang mit dem Thema beschäftigt
Thyberg selbst beschäftigt sich seit mittlerweile über 20 Jahren mit dem Thema der Pornografie. Gearbeitet wurde neben Kappel ausschließlich mit LaiendarstellerInnen beziehungsweise SchauspielerInnenn aus dem Business. Nach ihrem preisgekrönten Kurzfilm unter dem gleichen Titel sollte es noch einmal vier Jahre dauern, bis „Pleasure“ gedreht wurde. Das Ergebnis sollte man sich definitiv nicht entgehen lassen. Der Film verzichtet nicht nur auf jegliche Schwarz-Weiß-Darstellungen oder unternimmt den Versuch das Vorgehen der Protagonisten psychologisch ergründen zu wollen. Trotz seiner Distanz wahrenden Erzählweise versteht es „Pleasure“ einen noch Tage nach dem Ansehen zu beschäftigen – schlicht und einfach, weil er auf intelligente Weise zum Denken anregt.
Pleasure: Ein Film von Ninja Thyberg. Mit Sofia Kappel, Evelyn Claire, Dana DeArmond und Revika Anne Reustle. Schweden/Niederlande/Frankreich 2021 / 109 Minuten
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