Hier ein Schmetterling, dort ein Osmanenzelt und immer wieder Linien und Ornamente. Kunst in der Stadt ist allgegenwärtig – man muss nur hin- beziehungsweise ‚raufschauen. Im Falle des im Frühjahr dieses Jahres ins Leben gerufenen „Museum des Hinaufschauens (MdH)“ auch fotografieren und dokumentieren. Magdalena Hiller und Gabriel Roland wollen mit ihrem Museum, dessen Exponate über die ganze Stadt verstreut sind, sowohl auf die zahlreichen Fassadenkunstwerke aufmerksam machen als auch eine höhere Wertschätzung für Kunst am Bau generieren. Die Kulturfüchsin hat nachgefragt:
Magdalena Hiller, Museen gibt es viele – ein Raufschaumuseum gab es noch nicht. Wie seid ihr auf die Idee zum Projekt gekommen?
Gabriel und ich sind seit Ewigkeiten befreundet und spazieren oft zusammen durch die Stadt. Dabei sind uns immer die teilweise schrägen Kunstwerke aufgefallen, die man an den diversen Hauswänden sieht. Wir dachten uns immer, dass es eigentlich schade ist, wie wenig wir über diese Werke wissen und dass es interessant wäre, irgendeine Art von Plattform zu haben, wo man sich über ihre Geschichte informieren kann. Dann sind zwei Sachen geschehen. Zum Ersten ist ein Fassadenmosaik in der Straße, in der ich wohne, im Zuge von Sanierungsarbeiten abgeschlagen worden. Zum Zweiten kam der Lockdown. Da wurde uns schnell klar, dass das jetzt der ideale Moment ist, um etwas zu starten. Aus den damaligen Umständen hat sich auch das Kollaborative in unserem Projekt entwickelt. Wir wollten die Leute anregen, beim Social-Distancing-Spazierengehen vermehrt auf die Kunst in ihrer Umgebung zu achten und Wien so neu zu entdecken.
Wie sieht die Zusammenarbeit mit diesen engagierten Spaziergängern aus? Wie gelangen die Bilder und Informationen zu den einzelnen Kunstwerken zu euch?
Einige Leute taggen Bilder von den Kunstwerken auf Instagram – so nach dem Motto, „ich habe da etwas Cooles gesehen, weiß aber nicht mehr darüber“. Andere schicken uns E-Mails oder sogar schreibmaschinengeschriebene Briefe mit detaillierten Informationen. Der ehemalige stellvertretende Bezirksvorsteher des dritten Bezirks, Rudolf Zabrana, hat uns beispielsweise eine Liste mit sämtlichen Kunstwerken in Wien-Landstraße geschickt und uns erzählt, was während seiner aktiven Zeit so in den zuständigen Gremien passiert ist. Aber auch Familienangehörige von den Künstlerinnen und Künstlern, die diese Kunstwerke geschaffen haben, kontaktieren uns und versorgen uns mit Anekdoten und Werkverzeichnissen.
Eine tolle Quelle sind auch jene Kunst- und StadthistorikerInnen die zu Kunst am Bau publiziert haben – einige davon haben wir im Lockdown notgedrungen kontaktiert, da ja alle Bibliotheken geschlossen waren. Sich mit absoluten Aficionados wie Vitus Weh oder Irene Nierhaus, die beide Standardwerke zu Kunst am Bau veröffentlich haben, persönlich austauschen zu können, bereitet große Freude. Alle diese Informationen sammeln wir und lassen sie dann in die Texte zu unseren Instagram-Posts einfließen.
In eurem Museum sind lediglich Fassadengestaltungen zwischen 1919 und 1989 enthalten. Ich nehme an, das Projekt wäre sonst – vor allem am Anfang – zu umfangreich geworden?
Definitiv. Wir mussten uns eingrenzen. Deshalb sammeln wir auch keine Gedenkplatten oder freistehende Skulpturen. Der von uns gewählte Zeitraum von 1919 bis 1989 entspricht grob auch dem Höhepunkt des kommunalen Wohnbaus.
Was wir im Raufschaumuseum somit nicht zeigen sind Gründerzeitfassaden – die werden definitiv schon oft genug fotografiert und die Gefahr, dass ein Otto-Wagner-Haus einfach verschwindet ist mittlerweile nicht mehr besonders groß. (Außer am AKH-Gelände, wo derzeit ein ehemals erhaltenswertes Gründerzeitensemble einfach niedergerissen wird.). Street Art und Graffiti haben wiederum ihre eigenen Kanäle und FürsprecherInnen – aber dazwischen war ein blinder Fleck!
Gerade in Wien – wo jeder vierte Mensch in einem Gemeindebau lebt – gibt es dank des regen Wohnbaus des Roten Wien, aber auch durch die Zerstörung vieler Wohnungen und deren Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg viele Kunstwerke, die im Rahmen des sozialen Wohnbaus entstanden sind. Ihr sammelt aber auch Kunst am Bau aus dem privaten Bereich und das aus ganz Österreich. Was gibt es für Unterschiede? Und bekommt ihr eigentlich auch Bilder aus dem Ausland? Auf der Homepage steht, ihr freut euch über Einsendungen aus der ganzen Welt …
Grundsätzlich freuen, wir uns über jede Einsendung, egal woher. Unsere Community denkt auch an uns, wenn sie auf Urlaub ist, was sehr schmeichelnd ist. So haben wir sogar schon Einsendungen aus der Ukraine oder aus Vorarlberg bekommen. Ich komme selbst aus Salzburg und bin immer wieder überrascht, was es dort so alles gibt. Es ist tatsächlich so: je mehr man schaut, desto mehr sieht man. Die nicht-wienerischen Beiträge sammeln wir zwar auf unserem Instagram-Kanal in den Story-Highlights, legen aber keinen Eintrag in unserem digitalen Verzeichnis an, im dem wir sonst alle uns bekannten Informationen zu Wiener Kunstwerken sammeln. Darin befinden sich Tabellen mit Informationen zum Kunstwerk und exakten Ortsangaben. Dieses Verzeichnis soll auch bald außerhalb von Instagram für alle Interessierten zugänglich gemacht werden.
Zum Stadt-Land-Gefälle: Am Land gibt es unserer Beobachtung nach viele Fassadenkunstwerke, die eindeutig privat in Auftrag gegen worden sind und eine Mischung aus Werbung und Kunst am Bau sind. Zum Beispiel wenn ein Bäcker seine Bäckerei aufwendig mit einem Sgraffito verzieren lässt. Auffällig im ländlichen Raum ist auch, dass im Gegensatz zur Stadt schnell klar wird, womit sich dieser Ort identifiziert beziehungsweise wie er sich in der öffentlichen Wahrnehmung platzieren will. So finden sich etwa in Kleinarl, dem Pongauer Heimatort der Annemarie-Moser-Pröll, sehr viele Hinweise auf den Häuser auf diese „Jahrhundert-Skifahrerin“ – und sie selbst hat die Fassade ihres Kaffeehauses „Olympia“ mit lauter kleinen Pokalen verzieren lassen.
Würdest du sagen, das ist etwas, was in Wien mit den unterschiedlichen Themenschwerpunkten in den verschiedenen Bezirken vergleichbar ist? Ich denke zum Beispiel an die höhere Anzahl von Mosaiken im siebten Bezirk, die die Belagerung durch die Osmanen zum Thema haben, einfach weil hier angeblich das Zelt von Kara Mustafa gestanden haben soll …
Es stimmt, teilweise beziehen sich die Sachen in den unterschiedlichen Bezirken auf die Geschichte der Gegend. Man findet zum Beispiel im zweiten Bezirk mehrere Kunstwerke, die mit dem Prater in Verbindung gebracht werden können. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Mosaike, die scheinbar so gar nicht zur Gegend passen. Zum Beispiel im sechzehnten Bezirk, wo es in der Wernhardstraße zwei große Darstellungen von einem schönen Badetag am Wasser gibt – aber weiter kann man in Wien von einer natürlichen „beschwimmbaren“ Wasserquelle fast nicht entfernt sein. Warum befindet sich das ausgerechnet dort? Solchen Fragen nachzugehen finde ich eigentlich spannender. Ich finde es auch ungewöhnlich, dass es beispielsweise in Wien nur ein (dafür sehr tolles) Mosaik von Beethoven und nichts zu Mozart existiert. Vielleicht ist Wien einfach zu groß und zu heterogen für solche monothematischen Schwerpunkte.
Was auch ein spannender Aspekt ist – weil du das Regionale angesprochen hast – ist, dass die Künstler bei Kunst am Bau sehr ortsbezogen gearbeitet haben und arbeiten. Wiener Künstler schaffen in Wien, Salzburger in Salzburg. Früher war die Welt eben doch noch etwas größer.
Kunst am Bau hat unter Künstlern und Kunstexperten nicht gerade den besten Ruf. Man findet oftmals Aussagen von Künstlern, wie sie hätten es nur wegen des Geldes gemacht. Zudem waren und sind die Vorgaben für die Motive – nicht zu vergessen die Materialvorgaben – sehr eng. Wie steht ihr zu diesen Vorwürfen? Worin liegt heute der Wert dieser Kunst-am-Bau-Werke?
Es stimmt, dass Kunst am Bau bei vielen keinen guten Ruf genießt. Diese negativen Ansichten gipfeln in der Aussage von Peter Weibel, der einmal meinte, Kunst am Bau widere ihn einfach nur an und sonst nichts. Auch der Architekt Hermann Czech ist ein ausgesprochener Gegner. Man kann auf der einen Seite sicherlich kritisch anmerken, dass viele Werke bis zu einem gewissen Grad lediglich als harmlose Behübschung angesehen wurden. Was man aber nicht vergessen darf, ist dass gerade in der Nachkriegszeit die Kunst am Bau auch eine wichtige Funktion als Künstlerförderung innehatte. Die meisten Kunstschaffenden hatten am darniederliegenden Kunstmarkt in Österreich sonst recht wenig Möglichkeiten Geld zu verdienen. Die fassadengebundene Kunst der 50er und 60er-Jahre liefert daher einen recht guten Überblick über die Kunstszene dieser Zeit – und das von Hrdlicka und Wotruba bis in die hinteren Reihen zu jenen Künstlern, die heute eben nicht in den Dauerausstellungen der Museen hängen. Da gibt es Künstler wie Franz Molt, um den es unter Raufschau-Fans einen regelrechten Hype gibt, weil kaum ein anderer so virtuos und farbenreich mit dem Medium Mosaik umgeht, der aber ansonsten heute eigentlich – noch – völlig unbekannt ist.
Und ganz abgesehen von allen kunst- und architekturtheoretischen Scharmützeln ist die Kunst am Bau eine tolle Möglichkeit um Menschen Freude an Kunst zu vermitteln, die sonst vielleicht nicht ins Indoor-Museum gehen würden.
Euer Projekt soll nicht zuletzt zu einer gesteigerten Wertschätzung der Kunstwerke führen, auch der Zerstörung der Fassadengestaltungen etwa im Laufe baulicher Maßnahmen – du hast eingangs erwähnt, in der Straße wo du wohnst, wurden die Mosaike abmontiert – entgegenwirken. Wie ist generell der Zustand der von euch dokumentierten Kunstwerke? Bevor Bilder oder Objekte, die sich in einem Museum befinden ausgestellt werden, kommen sie oftmals zum Restaurator…
Das ist etwas, was sehr unterschiedlich ist. Die Stadt Wien kümmert sich großteils mittlerweile sehr gut um die Kunst an den Gemeindebauten, sofern sie sich gut um die jeweiligen Gebäude kümmert. So ist zum Beispiel vor ein paar Wochen ein spannendes Supraportenmosaik von Leopold Birstinger in Wien Ottakring, das schon sehr schlecht beisammen war, im Rahmen der Haussanierung renoviert und wieder aufgehängt worden. Das hat uns sehr gefreut. Wir erhoffen uns das gleiche Luxustreatment für die spektakulären Sommer-Wandbilder von Karl Hauk und Robin C. Andersen in der Wernhardstraße bei denen jeweils das obere Drittel fehlt.
Was uns aktuell beschäftigt, ist der bedauerliche Zustand der Hauszeichen-Mosaike in der Großfeldsiedlung. Viele der Mosaike sind stark verwittert und einige wurden leider abgenommen – wir hoffen inständig, dass diese nicht vernichtet wurden und haben diesbezüglich auch eine Anfrage an Wiener Wohnen gestellt.
Bei jenen Kunstwerken, die im Rahmen des Wiederaufbaufonds nach dem Krieg von privaten Hausbesitzenden angebracht worden sind, sieht die Situation ganz anders aus. Wird hier saniert, verschwinden die Mosaike und Sgraffitten aus Kostengründen leider fast immer.
Abgesehen davon, dass ihr mit eurem Museumsprojekt zu einer erhöhten Wertschätzung beitragen möchtet – habt ihr schon weitere Pläne und Ideen, was sich in Zukunft noch so alles umsetzen ließe?
Das Ganze hat sich mittlerweile zu einem doch sehr zeitaufwendigen Hobby entwickelt. Wir könnten uns ohne Probleme Vollzeit mit dem Raufschaumuseum beschäftigen, wenn wir nicht unsere „normalen“ Jobs als Juristin beziehungsweise Vize-Direktor der Vienna Design Week hätten, die uns ebenfalls sehr ausfüllen.
In naher Zukunft wollen wir jedenfalls, den Sprung weg von Instagram schaffen und unsere Verzeichnisse auf unserer Homepage in geeigneter Form zugänglich machen – diesbezüglich erreichen uns schon sehr viele Anfragen von Social-Media-Verweigernden, was ich gut verstehen kann.
Auch gemeinsam die Stadt raufschauend bei geführten Spaziergängen zu erkunden oder kleine Büchlein zu bestimmten Grätzeln zu gestalten, wäre eine nette Sache. Unser schwer unrealistisches Fernziel ist es, irgendwann einmal auch selbst fassadengebundene Kunst mit zeitgenössischen aufstrebenden KünstlerInnen zu kuratieren. Was wir aber definitiv einstweilen nicht auf der Agenda haben, ist ein physisches Museum, denn das gibt es ja schon. Man muss eben nur nach oben schauen.
https://www.raufschaumuseum.at/
https://www.instagram.com/raufschaumuseum/
Titelbild: „Berufe der Frau“ am Flötzersteig in Wien Penzing aus dem Jahr 1957 von Hans Robert Pippal © Raufschaumuseum / MAH
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