Täglich werden Frauen aus Nigeria unter falschen Versprechungen nach Europa verfrachtet, wo sie gezwungen werden, ihren Körper unter widrigsten Umständen zum Verkauf anzubieten.

Als Zuhälter fungieren so genannten Madames. Viele dieser Madames waren selber Opfer von Frauenhandel. „Wie kann es sein, dass eine Frau, die diese Art von Missbrauch erlebt hat, selbst zur Täterin wird?“ Diese Frage stellte sich die österreichische Regisseurin Sudabeh Mortezai.
In ihrem zweiten Spielfilm „Joy“ begibt sie sich auf die Suche nach den Mechanismen, die Opfer zu Täterinnen werden lassen. Und musste erkennen, dass der Grad zwischen Gut und Böse ein sehr schmaler ist. Auch die Madames mussten große Beträge zurückzahlen – bis zu 60.000 Euro, die bei 50 Euro pro Kunde schwer zu verdienen sind. Haben sie ihre Schulden abbezahlt wollen sie auf keinen Fall nach Nigeria zurück, weil sie dort keine Chancen haben. Es herrscht eine patriarchale Gesellschaft, in der Frauen wenig zu sagen haben. Auch für Frauen mit sehr guter Ausbildung ist es schwierig, einen Job zu bekommen.

In Europa haben sie oft keine andere Möglichkeit, als in der Prostitution zu arbeiten. Viele haben keine Papiere und ein Problem mit der Aufenthaltsgenehmigung. Oftmals wechseln sie die Seiten, werden zur Madames und holen weitere Mädchen, um sich etwas aus diesem System zurückzuholen, das ihnen so viel angetan hat.

Von Voodoo und Krampus

Exemplarisch für diesen Teufelskreislauf steht Joy (Joy Alphonsus). Zu Beginn des Films ist sie dabei ihre Schulden abzubezahlen, als ihr die Madame ein junges Mädchen in die Obhut gibt. Schafft sie es nicht, dass diese Geld heranschafft, soll sie für Precious
 (Mariam Precious Sansui) die Schulden übernehmen. Joy hat ebenso wie die anderen Frauen aus Nigeria mit denen sie und Precious sich die Wohnung teilen keine Alternativen. Eine Anzeige gegen Madame würde sie als Illegale von der bedrohten Abschiebung nicht befreien. Hinzu kommt, dass die Mädchen und Frauen bevor sie ihre Heimat verlassen bei einem Vodoo-Ritual geloben, ihre Schulden abzubezahlen. Die Angst, dass den zurückgelassenen Familienmitgliedern etwas zustößt ist groß. So auch bei Joy. Die Affäre mit dem Wiener Christan, der sich in Joy verliebt hat und ihr helfen will, scheitert nicht zuletzt an derlei kulturellen Differenzen.

Dass Bräuche und Sitten jedoch gar nicht so verschieden sind und wir als Europäer nicht kritisch den Kopf schütteln müssen, ob archaischen Brauchtums, führt uns Sudabeh Mortezai wenig später in einer Szene vor Augen, in der Joy und Precious – die von nun an ihren Dienst in Italien verrichten soll – in einem Wirtshaus in Badgastein in eine Krampusfeier geraten. Die Verwirrung steht den Frauen ins Gesicht geschrieben.

Eine weitere Szene, in der Mortezai ebenfalls fast zur Gänze auf Blicke und Mimik setzt, ist eine Vergewaltigungsszene an Precious, in der sie die Handlanger von Madame gefügig machen wollen. Als Gefangene ihrer Umstände haben die Frauen der WG keine Wahl als zu stillen Mittäterinnen zu werden.

Trotz aller Tragik versteht es Sudabeh Mortezai gekonnt jeglichen Voyeurismus auszusparen und erlaubt es allen Beteiligten ihre Würde zu behalten. Joy hat mit „Sozialporno“, mit dem die Filme Ulrich Seidls oft bezeichnet werden, nichts gemein.

„Das Publikum soll Joys Geschichte mit ihr und aus ihrer Sicht erleben, die Welt durch die Augen einer Frau sehen, die keine andere Option für sich sieht, als Komplizin und letztlich auch Ausbeuterin in einem perfiden System zu werden“, so Sudabeh Mortezai. Trotz aller widriger Umstände: Gerne möchte man Joy noch weiter zusehen bei ihrem Kampf um ein selbstbestimmtes Leben. Doch der Film bricht ab, als der Kreislauf von vorne beginnt.

Joy. Ein Film von Sudabeh Mortezai. Österreich 2018. 102 Minuten.

Kinostart: 18. Jänner 2018

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Die Wiener Journalistinnen Mary Kreutzer und Corinna MiIborn haben den Leidensweg der nigerianischen Frauen nachgespürt und die Ergebnisse ihrer Recherche in der gleichsam spannenden wie erschütternden Reportage „Ware Frau“ präsentiert. Obwohl das Buch bereits vor zehn Jahren erschienen ist, scheint es nichts von seiner Aktualität eingebüßt zu haben.

Bei der Recherche behilflich war den Journalistinnen die in Österreich lebende nigerianische Autorin Joana Adesuwa Reiterer. Reiterer gründete 2006 den Verein EXIT – Verein zur Bekämpfung von Menschenhandel aus Afrika. 2014 gründete sie mit „Joadre“ ein Modelabel mit dem Ziel, vor Ort in Westafrika bessere Einkommensmöglichkeiten für die Frauen zu schaffen, damit sie erst gar nicht in die Fänge von Menschenhändlern geraten.
http://englishadesuwa.weebly.com/verein-exit.html

Joana Adesuwa Reiterer: Die Wassergöttin. Wie ich den Bann des Voodoo brach. Knaur TB 2015, ISBN: 978-3-4426-78785-4, 320 Seiten, 9,99 Euro.

Ware Frau. Auf den Spuren moderner Sklaverei von Afrika nach Europa. Mary Kreutzer und Corinna Milborn. Ecowin Verlag 2008. 234 Seiten. Euro: 20, 50. ISBN 978-3-902404-57-2

Fotos: © Filmladen Filmverleih

Geschrieben von Sandra Schäfer