Ein chinesischer Entdecker in Amerika, ein Tiger, der Post bekommt, oder Bilder einer Ausstellung, die lebendig werden: Seit fast dreißig Jahren verzaubert die österreichische Figurenspielerin, Regisseurin und Bühnenkünstlerin Karin Schäfer Jung und Alt von Aserbaidschan bis Wien.

Die Kulturfüchsin traf die leidenschaftliche Theatermacherin kurz vor Beginn des 2003 von ihr ins Leben gerufenen Figurentheater-Festivals „PannOpticum“ zum Interview. Ein Gespräch über Anfangsschwierigkeiten, kulturelle Unterschiede und warum es etwas Besonderes ist eine Zitrone geschenkt zu bekommen.

Sie haben über die Jahre eine Vielzahl an Stücken erarbeitet. Von Kleists „Über das Marionettentheater“ über historische Geschichten bis hin zum Kindertheater. Woher beziehen Sie Ihre Inspiration?

Ich mache seit 29 Jahren hauptberuflich Figurentheater – da hat man natürlich seine Interessensphasen. Ich habe mit Kindertheater begonnen, was auch mit meinem Sohn zu tun hatte. Der war natürlich eine Inspirationsquelle. Mit ihm sind dann auch die Stücke gewachsen. Ich bin allerdings generell niemand, der sich stark auf etwas spezialisiert. Dafür bin ich zu neugierig. Oft denke ich mir, das und das würde ich gerne einmal ausprobieren oder gerne kombinieren. Das ist ein ständiges „Learning by Doing“. Aktuell bin ich in der Welt der klassischen Musik gelandet. Ich kreiere Bilder zur Musik, die sie begleitet, interpretiert und neu darstellt. Ich habe mich mittlerweile sehr vom Wort entfernt.

Der Schriftsteller William S. Burroughs hat einmal gesagt, wenn wir beginnen in Bildern zu denken, sind wir auf dem richtigen Weg. Ist das etwas, das auf Ihre Form des visuellen Theaters zutrifft? Auf der anderen Seite werden wir heute mit visuellen Stimuli geradezu überflutet …

… auch durch die Möglichkeit selbst Bilder zu schaffen und zu verbreiten. Zum Teil ist das schön, weil jeder einen Zugang hat und so unter Umständen einen neuen Blickwinkel auf die Welt bekommen können. Genau das ist die Stärke des Theaters: neue Blickwinkel zu kreieren. Eine neue Perspektive zu schaffen, die es in der wirklichen Welt eventuell noch nicht gibt und es den Zuschauern zu überlassen diese neuen Verbindungen zusammenzusetzten. Selbst wenn dir als Zuseher ein Bild vorgesetzt wird, das dich nicht anspricht, so gibt es immer etwas, das in deinem Kopf abgeht. Das ist das Spannende an der Arbeit mit Bildern. Wobei ich weiß, dass Menschen es gerne haben, wenn man ihnen erklärt worum es geht. Da muss man die Waage halten. Man darf auch nicht zu symbolisch und abgehoben werden, so dass man die Leute nicht mehr erreicht.

Als Kind war es für mich das Größte, wenn mein Vater die Puppen und Stofftiere hat tanzen lassen. Würden Sie sagen, dass das Figurentheater etwas Kindliches oder besser gesagt etwas Elementares in uns anspricht und daraus seine starke Wirkung erzielt?

Das kann ich mir gut vorstellen. Wenn man kleine Kinder beobachtet, wenn sie nicht nur mit Figuren, sondern auch mit Objekten spielen. Wenn sie anfangen diesen Objekten eine Stimme zu geben und behaupten das ist jetzt ein Monster das von da und da her kommt. Genau das ist der Zugang zum Figurentheater. Du gibst den Dingen eine neue Dramaturgie. Es ist ein schönes Gefühl zu sehen, dass dieser Prozess in der Erwachsenenwelt genauso existieren kann.

Was ist der Unterschied, wenn sie Produktionen für Erwachsene gestalten und für Kinder?

Worauf ich bei Kinder-Inszenierungen immer geachtet habe, ist die Kinder nicht zu unterfordern. Das heißt, auf all zu viel Erklärung und Belehrendes zu verzichten, wissend dass Kinder so viel mehr sehen als man glaubt. Kinder hinterfragen die Bilder nicht so kompliziert wie das Erwachsene oft tun. Mir persönlich ist wichtig, dass die Rhythmik stimmt, dass das Stück nicht zu langsam ist. Beim Erwachsenentheater habe ich mehr Freiheiten, weil ich aus allem schöpfen kann, ohne mir denken zu müssen, ob das ein achtjähriger erfassen kann. Wobei auch da die Prämisse ist, dass ich rhythmische Elemente sehr ausgewogen verwende, was natürlich auch stark mit der Musik zusammen hängt.

Sie arbeiten viel international. Gastspiele in den USA, Korea, Japan, China, Serbien, Deutschland, Israel, Aserbaidschan … Das ist eine beeindruckende Liste. Haben sie schon einmal Schwierigkeiten gehabt, dass irgendetwas nicht verstanden oder missinterpretiert wurde?

Die Kraft des Figurentheaters, des Bildertheaters, der Humor der Figuren, das ist etwas Universelles. Es ist verblüffend wie ähnlich sich der Humor in allen Kulturen durchzieht. Dieser einfache Humor, das Basische – ich würde nicht unbedingt von Slapstick sprechen – aber es gibt gewisse Humorelemente, die universell sind. Allerdings gibt es schon manchmal Momente, wo ich das Gefühl habe, dass etwas nicht verstanden worden ist, wo man nicht nachvollziehen kann warum die Leute so und so reagiert haben. Ich habe einmal bei einem Festival in Pakistan einen englischen Punch and Judy Spieler erlebt. Der Punch – der englische Kasperl – ist eine sehr traditionelle Form des alten Handpuppenspiels mit martialischen Kämpfen auf eine sehr comicmäßige Art. Dieser Punch hat den Tod in Form eines Skeletts geprügelt und die Kinder im Publikum waren wirklich verstört. Da wäre es interessant gewesen zu wissen, warum waren die so vor den Kopf gestoßen. Normalerweise sind Comic-Bilder so abstrakt, dass es Kinder nicht schreckt, wenn einer Comic-Figur das Auge rausfällt. Es ist immer spannend das Publikum in emotionalen Regungen zu sehen. Wann klatschen die Leute? Klatschen sie überhaupt? Essen sie im Theater? Da gibt es zum Teil richtige Aha-Erlebnisse. Bei einem Gastspiel in Weißrussland waren die Emotionen in den Gesichtern im Publikum sehr distanziert. Aber nach dem Stück sind viele Menschen gekommen und haben uns umarmt und abgeküsst, etwas, das man bei uns nie machen würde. Ein Mann hat mir eine Zitrone geschenkt. Ich habe dann erfahren, dass das etwas Besonderes ist, weil es diesen Monat nur wenige Zitronen am Markt gegeben hat. Das sind schon spannende Momente. Bisher hatte ich das Glück, dass keines meiner Tourneestücke Elemente besitzt, die in irgendeiner Form moralische oder religiöse Werte verletzt hätten. Im aktuellen Stück „Iberia“ habe ich eine Sequenz, die eine klare Aussage gegenüber Religion und Frau beinhaltet, aber nur in Form von Bildern. Das Stück ist ein visuelles Konzert. Ich glaube nicht, dass das irgendetwas Negatives auslöst.

In vielen Ländern ist der Umgang mit dem Figurentheater ein anderer als bei uns. Was sind die größten Unterschiede?

Die Wurzeln des Figurentheaters liegen in der einfachen dramaturgischen Form. Es sollte das Volk unterhalten. Früher waren es die Ärmsten der Armen, die diesen Job ausgeführt haben. In anderen Ländern, wo es zwar auf ästhetischer Ebene wunderbare Elemente gibt, die man hier bestaunt – wie das indonesische Schattenspiel oder die chinesischen Figuren – ist es etwas ganz Marginales, das kaum wahrgenommen wird. Da gibt es in Europa eine größere Wahrnehmung. Dadurch, dass es immer mehr Festivals gibt und sich immer mehr Leute mit dem Thema auseinandersetzen und diese Kunstform salonfähig machen, sickert das Figurentheater langsam in die Hochkultur ein. In Südamerika und Asien besteht eine starke Trennung. Das Figurentheater ist sehr traditionell. Es ist ein Erbe, das bestaunt wird, das schon etwas Museales hat. Das wäre so, wie wenn es in Österreich nur das Salzburger Marionettentheater, nur die barocke Tradition, gebe und sonst gar nichts oder nur den Kasperl.

Wie ist die Reaktion, wenn Sie in diesen Ländern Stücke zeigen, die deren traditionelle Elemente adoptiert haben und diese neu interpretieren?

Als ich in Südamerika den „Zheng He“ gespielt habe gab es ein großes Erstaunen. Es ist eine große Neugierde da und auch sehr viel Respekt. Respekt, weil du als europäische Gruppe auf diesen Festivals spielst, aber natürlich auch gegenüber den Gästen. Natürlich weiß man nicht genau, wie ehrlich die Reflexion war, was sagen sie mir wirklich? In China waren die Reaktion auf „Zheng He“ unglaublich. Sie haben nicht erwartet, dass man den Stoff so „seltsam“ aufarbeitet, ohne folkloristisch oder verherrlichend, aber trotzdem von Anerkennung getragen zu sein. Diesen Moment, wenn zwei Kulturen sich begegnen, was da passiert, wenn niemand englisch spricht, das ist für alle ein großer Moment.

Sie laden als Intendantin internationale Gruppen ein nach Neusiedl zu kommen. Wie gestaltet sich der Austausch in der internationalen Figurentheaterszene und wie groß ist die Szene?

Dadurch, dass ich ein Tourneetheater bin und viel auf Festivals spiele, sehe ich natürlich viel und lerne die Kollegen kennen. Es gibt sehr viel Amateurtheater in diesem Bereich. Nur ein kleiner Kreis macht hauptberuflich Figurentheater – da begegnet man sich immer wieder.

Wie entstand das Festival PannOptikum? Wieso gerade in Neusiedl am See?

Als ich aus Barcelona zurückgekommen bin, wo ich Figurentheater studiert habe, musste ich mich entscheiden, ob ich in Wien oder Neusiedl wohnen will. Ich habe mich fürs Land entschieden. Musste aber bald feststellen, dass ich dort nur mein Basislager habe. Ich habe überall gearbeitet nur im Burgenland nicht weil die kulturellen Möglichkeiten dort freies Theater aufzuführen sehr beschränkt sind. Also habe ich gemeinsam mit meinem Lebensgefährten Peter Hauptmann ein Konzept für ein kleines aber feines internationales Figurentheater erarbeitet. Das Festival findet alle zwei Jahre statt. Wobei wir versuchen es wieder in die ungeraden Jahre zu bekommen um nicht mehr mit Fußball konkurrieren zu müssen. 2018 wird es ein kleines Übergangs-pannOptikum geben und 2019 wieder das richtige Festival.

Bleiben wir im Jahr 2016. Was erwartet das Publikum heuer?

Es ist mir wie jedes Jahr wichtig ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Kinder- und Erwachsenenproduktionen zu schaffen und Verbindungen zu anderen Kunstrichtungen herzustellen. Wir haben seit Jahren einen Kurzfilm-Bruch, mit Filmen, in denen das Figurative, Animierte Thema ist. Außerdem gibt es auch heuer wieder eine Ausstellung, die sich mit Figuren beschäftigt. Im Bereich der bildenden Kunst wird es mit der „Kasperlmaschine“ ein spannendes Work-in-Progress-Projekt geben. Paul Skrepek und Andreas Platzer werden am Freitag mit dem Bau einer Maschine beginnen, die sie am Sonntag in Betreib nehmen werden. Die Maschine bewegt sich, sie spielt, macht Lärm – wird lebendig. Beim Figurentheater geht es letztendlich darum Dinge lebendig zu machen. Aufregend ist für uns natürlich, dass unser Stück „Iberia“ nach der Premiere in Spanien und dem Auftritt in der Türkei am Freitag seine Österreichpremiere erleben wird. Christoph Hinterhuber wird uns am Konzertflügel begleiten. Der Samstag wird wie gewohnt sehr bunt. Am Nachmittag wird die junge Kanadierin Julie Desrosiers ihr ungewöhnliches und poetisches Stück „Les Bois Dormants“ zum ersten Mal in Österreich präsentieren. Am Abend gibt es gehobene humorvolle Unterhaltung mit dem Berliner Theater Zitadelle und dem „Sofie Krog Theater“ aus Dänemark. Sofie Krog – die Grande Dame des Figurentheaters – ist die einzige, die schon einmal beim Festival zu sehen war. Ich versuche jedes Jahr etwas Neues zu bringen. Wichtig ist mir, dass jedes Stück einen Qualitätsanspruch erfüllen muss. Ich muss das Gefühl haben, das ist etwas, von dem ich will, dass die Leute es sehen um ein Bild vom Figurentheater zu bekommen, was für ein kraftvoller Ausdruck dahinter steckt. Einen guten Überblick kann man sich auch heuer wieder beim „Fest der Figur“ verschaffen. Die Besucher können einen Nachmittag von Stück zu Stück schlendern und so die Vielfalt des Figurentheaters entdecken.

Wie haben Sie diese Vielfalt entdeckt? Wie sind sie überhaupt zum Figurentheater gekommen?

Ich habe mich immer schon mit Masken beschäftigt und gerne Dinge gebaut. Das Theater hat mich interessiert. Aber mir war nicht klar, wo dieser Interessensalat, den ich habe, hin führt. Dann habe ich von dieser Ausbildung im Figurentheater in Spanien erfahren. Das hat die Dinge fokussiert. Man ist als Puppenspieler gerade am Anfang ein bisschen von allem. Du bist Regisseurin, machst die Bühnenbilder, musst wissen wie du dich verkaufst.

Trotz ihres mittlerweile beachtlichen internationalen Erfolgs wird über Sie wie auch über andere Figurentheater nur wenig geschrieben. Woran liegt es, dass die Mainstream-Presse mit dem Figurentheater bis heute nicht warm geworden ist?

Das Figurentheater ist kein Massenphänomen, selbst wenn Nikolaus Habjan mittlerweile Volkstheatersäle füllt. Bis jetzt habe ich das Gefühl, Figurentheater ist gleich Kindertheater und Kindertheater ist es nicht wert darüber zu berichten. Das ist schade. Es gibt nach wie vor kaum Kritiken über Stücke. Man kann schon ein bisschen von einer Ignoranz gegenüber diesem Genre sprechen.

Gibt es etwas, dass Sie Menschen, die gerade anfangen Figurentheater zu machen, mit auf den Weg geben wollen?

Dranbleiben. Es ist schwer und man geht durch schreckliche Zeiten. Alle sagen einem, was für ein Risiko das ist, vor allem wenn man Familie hat. Zustimmung ist nicht leicht zu bekommen. Aber wenn man Dinge wahnsinnig gerne macht und das Gefühl hat sich darin weiterzuentwickeln, an sich arbeitet und es mit Leidenschaft macht, dann muss es das Richtige sein, egal was von außen kommt. Man sollte das Handtuch nicht zu schnell werfen. Es ist nicht einfach – Kulturmachen ist nie einfach.


Mehr Informationen über das Karin Schäfer Figuren Theater sowie das Programm zum PannOpticum unter http://www.figurentheater.at/start/home.html

Karin Schäfer, geboren und aufgewachsen in Wien, studierte Figurentheater am 
„Institut del Teatre“ in Barcelona, wo sie ihr erstes Theater gründete. Seit 1993 
lebt sie in Wien und Neusiedl am See. 2003 gründete sie das Figurentheaterfestival 
PannOpticum, das alle zwei Jahre stattfindet. Ihre Stücke wurden im In- und Ausland 
mit zahlreichen Preisen prämiert.

@Fotos: Karin Schäfer Figuren Theater, Florence Grandidier, Almut Schäfer

Geschrieben von Sandra Schäfer