Motus heißt Bewegung in Latein, und in Bewegung gerät bei den Performances der gleichnamigen italienischen Theatergruppe so einiges. Inspiriert von den Wunden und Konflikten unserer Zeit nehmen sich Motus mit viel Gespür dem Leben im Heute an und kreieren dabei nicht zuletzt auch Visionen für die Zukunft.

Eine Zukunft, in der es beispielsweise mehr gibt als männlich und weiblich: nach der Performance von Silvia Calderoni in „MDLSX“ – mit der Motus noch bis Montag bei den Wiener Festwochen gastieren – ist man mehr als geneigt, Geschlechtergrenzen als Konstruktionen zu begreifen. Die Persönlichkeit versteht sich hier als eine Summe von sozialen, familiären und kulturellen Versatzstücken, die eine Person konstruieren. Doch einmal konstruiert, kann auch wieder dekonstruiert werden. Der Mensch als „flüchtige Identität“ im postmodernen Zeitalter. Derweil sind solche Thesen von der sich permanent im Fluss befindlichen Identität keineswegs neu. Schon um die Jahrhundertwende verstand der Wiener Physiker und Philosoph Ernst Mach das Ich als veränderliches Konstrukt. Die Antike lieferte mit Ovids Metamorphosen gar einen Jahrtausend-Besteller zum Thema Veränderung.

In „MDLSX“, das lose mit Jeffrey Eugenides bekannten Roman „Middlesex“ in Verbindung steht, werden die Themen Veränderung, Zerlegung und Rekonstruierung von Identität anhand eines Transsexuellen thematisiert. Bei der Geburt mit dem Geschlecht weiblich versehen und daraufhin als Mädchen erzogen, beginnt sie mit der Pubertät ihre Identität in Frage zu stellen und begibt sich, das elterliche Heim verlassend, auf eine Reise als Mann. Dass dies mit unglaublicher Leichtigkeit, viel Witz und Poesie geschieht, ist vor allem der italienischen Performerin Silvia Calderoni zu verdanken, die auf der Bühne mit ihrem androgynen Auftreten für die nötige Verwirrung in punkto Geschlechtszuordnung sorgt. Spielerisch und dabei nie den Pfad der Ernsthaftigkeit verlassend, tanzt sich Calderoni in die Herzen der Zuschauer. Als Musik, die von Calderoni als Djane passend zu ihrem Gemütszustand aufgelegt wird, dient ihr „A Real Hero” von Electric Youth über Stücke von Air bis hin zu Vincent Gallo. Während an die Wand projizierte Blumen und Heimvideos die Handlung visuell begleiten.

MDLSX macht auf lebendige, farbenfrohe und optimistische Art und Weise Mut, die eigene (nicht nur) sexuelle Identität zu hinterfragen, auch wenn das heißt, vertraute oder massentaugliche Zuschreibungen hinter sich lassen zu müssen, um sich einem vermeidlichen „Anderssein“ zu stellen. Was bliebe in einer Welt ohne Minderheiten, fragt sich Calderoni in einem italienischen TV-Interview – ihre Antwort: „Nichts.“

MDLSX
Motus
mit Silvia Calderoni
Schauspielhaus
Porzellangasse
Noch am 5. und 6. Juni 2016
www.festwochen.at

Geschrieben von Sandra Schäfer