Mit seinen beiden Kurzfilmen „The Boy Next Door“ und „Homophobia“ landete Gregor Schmidinger einen Hit. An die 15 Millionen Menschen haben die Filme mittlerweile im Internet gesehen. Für seinen ersten Lang-Spielfilm lohnt sich der Gang ins Kino. Intensive Farben, weite Hallen – es sind stimmungsvolle, einen in den Sog ziehende Bilder, die Jo Molitoris mit der Kamera einfängt. Gedreht wurde in den Wäldern Oberösterreichs ebenso wie in der Wiener „Ottakringer Brauerei“ und in einem Schlachthof. Hier, während dem Duschen – nachdem er seinen Tag damit verbrachte Schweinehälften zu säubern – erleidet der 17-jährige Jakob (Simon Frühwirth für sein Schauspieldebüt mit dem Max Ophüls Preis als bester Nachwuchsschauspieler ausgezeichnet) seinen ersten Angstanfall – zumindest jenen für die Zuseher offenkundig ersichtlichen. Beklemmung, Schwindel, Benommenheit und schließlich Bewusstlosigkeit. Was folgt ist der Gang zum Psychotherapeuten. Doch das Reden über die Angst fällt offensichtlich schwer.
Wenige Worte treffsicher gesetzt
Generell ist „Nevrland“ kein Film der großen Worte – auch wenn es durchaus nicht an Geistreichem mangelt (simpel und wirksam: „Frag die Angst warum sie so nahe kommt“ – „um dich zu beschützen“) sind es vor allem die Bilder, die einen – gepaart mit dem Technosoundtrack von Gerald VDH, Gründer des Meat Market – in den Kaninchenbau ziehen. Auch Simon erscheint als Reisender zwischen den Welten. Realität und Imagination sind weder für ihn (noch für die Zuseher) klar auseinanderzuhalten.
Inspiriert wurde Regisseur Gregor Schmidinger von seinen eigenen Erfahrungen mit Angststörungen – „die am häufigsten diagnostizierte psychische Erkrankung in der westlichen Welt und überproportional in der Millennial-Generation zu finden“, so Schmidinger. Gesprochen wird darüber jedoch verhältnismäßig wenig. Mit „Nevrland“ wagt sich der 1985 geborene Regisseur zudem in weiteres tabuisiertes Terrain vor – in das großflächige Feld der Pornografie. Auf einer Online-Plattform für sexuelle Begegnungen im Internet lernt Jakob Kristjan kennen, einen englischsprachigen Kunststudenten, mit dem sich alsbald eine Liebesbeziehung anbahnt.
Sich selbst akzeptieren lernen
Mit einem Coming-Out-Film hat „Nevrland“ allerdings nichts gemein. Im Gegenteil: Schmidinger bezeichnet seinen Film als „Post-Gay“ Coming-of-Age-Film. Das heißt, dass die Homosexualität seiner Hauptperson nicht eigens thematisiert wird. Was zählt, ist der Mensch mit seinen Problemen, die sich nicht wesentlich von denen eines nicht schwulen oder lesbischen Menschen unterscheiden. Mit einem großen Feuermal über die halbe Brust muss Jakob lernen sich selbst und seinen Körper zu akzeptieren. Etwas, dass in unserer Welt der optimierten Schönheitsideale mitunter schwerfällt. Auch oder gerade in der Mainstream-Pornografie herrscht eine Eindimensionalität, was die Darstellung von Körpern angeht. Mit dem von ihm mitbegründeten Porno-Festival versucht Schmidinger sowohl einen Raum zu schaffen, um öffentlich über Pornografie zu reden, als auch zum anderen künstlerische Arbeiten zu zeigen, die sich abseits des Mainstreams bewegen. Auf die Frage, warum sich der erfahrene und sichtlich körperlich fitte Kristjan gerade für den mageren Jakob interessiert, wird das Feuermal ins Spiel gebracht. Schönheit ist eben mehr als Muskeln und Posen.
Nevrland. Ein Film von Gregor Schmidinger. Mit Simon Frühwirth, Paul Forman, Josef Hader, Wolfgang Hübsch. Österreich 2019. 90 Minuten.
Kinostart: 13. September 2019
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