Im Rahmen des Festivals finden ganz unterschiedliche Mitwirkende wie unter anderem Philosophin Isolde Charim, Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl aber auch Musiker wie Der Nino aus Wien oder Oehl ihren Platz. Zusätzlich laden besondere Orte des vierten Bezirks zu räumlichen Entdeckungen und niederschwelligem Austausch ein. Wir haben die Intiatoren von „Wiednerstand“ zum Interview gebeten.

Fabian, Du hast das Festival „Wiednerstand“ gemeinsam mit Thomas Andreas Beck konzipiert. Was sind eure Ziele beziehungsweise welche Impulse wollt ihr mit dem Festival setzen?

Fabian Burstein: Uns treibt die gemeinsame Überzeugung an, dass Kultur und Politik untrennbar miteinander verbunden sind. Gleichzeitig gibt es eine große Sehnsucht nach einem Kulturbegriff der nicht elitär daherkommt und auch nicht moralisch belehrt. „Wiednerstand“ ist der Versuch, künstle-rischen und politischen Ausdruck intuitiv zusammenzuführen. Unsere Demokratie ist dafür ein guter Aufhänger, weil sie auf vielen Ebenen emotional berührt.

Das Festival findet im 4. Wiener Gemeindebezirk statt. Der Bezirksname Wieden steckt im Festivalnamen drinnen. „Wiednerstand“ soll unter anderem auch das Leben im Grätzl bereichern. Inwieweit braucht es den Blick ins Kleine um das Große zu erkennen?

Thomas Andreas Beck: „Wiednerstand“ ist natürlich ein Wortspiel. Wieden einerseits als Standort, ein bunter Wiener Bezirk zwischen Gemeindebauten und Museen, Arbeiten und Wohnen, Beisln und Kaffeehäusern. Widerstand andererseits als demokratische Grundhaltung – nicht um widerspenstig zu sein, sondern um standfest seine Meinung zu bilden und für diese einzutreten.

Fabian Burstein: Es ist doch so, dass in der kleinen Skalierung eines Bezirks maßgeblich beeinflusst wird, wie wir in Zukunft miteinander leben. Deshalb dürfen wir bei aller Sensibilität für das so genannte „große Ganze“ niemals vergessen, wie wichtig das kulturelle Miteinander in Dörfern, Grätzln, Gemeindezentren ist. Ich habe zuletzt in Deutschland ein Kulturfestival für 2,2 Millionen Menschen geleitet – umso glücklicher macht mich nun der Wiednerstand-Fokus auf kleinteilig zusammengestellte Grätzl-Bezüge. Es braucht das Sowohl-als-auch.

Wenn man Berichte in den Medien zur bevorstehenden Nationalratswahl im Herbst liest, ist regelmäßig davon die Rede, dass viele Menschen in Österreich politikverdrossen beziehungsweise von den alteingesessenen Parteien enttäuscht sind. 2023 haben bei einer Umfrage immerhin sogar 41% angegeben, dass es in Österreich eine grundlegende Änderung des politischen Systems geben sollte. Fabian, was sind Deiner Meinung nach die Gründe für diese Entwicklung?

Fabian Burstein: Ich würde sagen: Die Menschen spüren, dass Politik kaum mehr ein idealistisches Anliegen, sondern eher eine Spielwiese für Karrierismus, Lobbyismus oder banales Machtstreben ist. Meine Hypothese: Sobald das bestehende politische System wieder mehr Durchlässigkeit für gefestigte Charaktere und ExpertInnen entwickelt, wird es sich erholen. Es kann aber schon sein, dass dadurch die bestehende Parteienlandschaft ins Wanken gerät und durch neue Bewegungen ersetzt wird – das ist Chance und Gefahr in Einem.

In den letzten Jahren ist es durch verschiedene Faktoren wie zum Beispiel das Internet schwieriger geworden unterschiedliche Meinungen ausgeglichen zu diskutieren. Auch in der Politik entsteht öfters der Eindruck, dass zwischen den Parteien über bestimmte Themen oft nicht mehr gemeinsam diskutiert wird. Stattdessen wird jeder politische Gegner verunglimpft, der eine andere Meinung hat. Was verstehst du unter konstruktiver Streitkultur?

Thomas Andreas Beck: Streiten, bis es gut ist. Positionen darlegen und auf die Phrase „ja aber“ verzichten. Zuhören und nachfragen, was das Fundament der Meinung meines Gegenübers ist. Es auszuhalten, mit meinem Argument nicht durchzudringen – ja, es sogar zu schaffen meine Meinung im Laufe des Streits, der Diskussion weiter zu entwickeln, wachsen zu lassen. Verstehen wollen, herausfinden wollen, wie es für alle gut sein kann. Denn nur dann ist’s wirklich gut. 

Das Festival ist interdisziplinär angelegt. Neben Publizisten, Philosophen oder Politikwissen-schaftlern ist unter anderem auch der Der Nino aus Wien vertreten. Warum war es euch wichtig auch Musiker bei „Wiednerstand“ dabei zu haben? Fallen euch noch andere Künstlerinnen die zum Festival passen würden? 

Thomas Andreas Beck: Weil Rituale nur dann gut sind, wenn sie alle unsere Sinne, jedenfalls viele Aspekte des Lebens abdecken. Kunst ist eines der mächtigsten Instrumente gesellschaftlicher, kultureller Entwicklung. Wer gemeinsam von Kunst ergriffen ist, gemeinsam lauscht, singt und tanzt, fühlt sich auch insgesamt verbunden. Und das tut uns gut. 

Fabian Burstein: Ich möchte an dieser Stelle auch explizit auf Major Shrimp hinweisen, eine wirklich beeindruckende FLINTA* Swing Band, die bei uns am Samstag spielt. Würde Sigi Maron noch leben, wäre er wohl Fixstarter. Auch Bipolar Feminin hätte hervorragend gepasst – für dieses Festival hat es leider nicht geklappt, aber im Kontext politischer Kunst würden wir bei ihnen jederzeit wieder anfragen.

Auch an Kinder und Jugendliche wurde bei der Planung gedacht – welche Angebote gibt es speziell für sie?

Thomas Andreas Beck: Wir konnten die Brigitta Höpler gewinnen, sie ist Kunsthistorikerin, Autorin und Schreibpädagogin. Sie beschreibt das Programm so: „Das Buch meines Lebens – Bring dein Lieblingsbuch, schreib Geschichten“. Mit einem Buch in der Tasche kannst du dich jederzeit in einer anderen Welt bewegen, du bist nie alleine. Wir erzählen einander von unseren Lieblingsbüchern, suchen Sätze und Worte, die uns erfreuen, trösten, stärken, staunen lassen und schreiben damit kurze Texte.

Danke für das Gespräch!

Thomas Andreas Beck: * 1968 in Wien, schreibt seit 35 Jahren Texte über in Österreich leidenschaftlich verdrängte Themen. Als Unternehmensberater ist er erfolgreich selbstständig seit 1998. Als Liedermacher veröffentlichte er seit 2009 sechs Alben: „Mei Herz brennt“, „Freude“, „Knistern“, „Stille führt“, „Alles brennt“ sowie „Ernst“, mit denen er solo und mit Band durch den deutschsprachigen Raum tourte. 2003 erschien sein Buch „Ich lebe sterbe“, 2012 „Alles in die größte Kraft“ mit komprimierten Erkenntnissen, 2020 „Texte die was keine Lieder geworden sind“ und 2024 „Der Keller ist dem Österreicher sein Aussichtsturm“ (Goldegg Verlag). Beck ist Mitglied der Grazer Autoren- und Autorinnenversammlung. Er lebt und arbeitet in Wien und Breitenbrunn am Neusiedlersee.

Fabian Burstein: * 1982 in Wien. Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Im Autorenleben Verfasser von Romanen und Sachbüchern. Biograf der österreichischen New-Wave-Legende Hansi Lang. Seit mehr als 10 Jahren vorwiegend in Deutschland als Leiter für Kulturinstitutionen, Festivals und diverse künstlerische Formate verantwortlich. Zuletzt in der Edition Atelier erschienen: „Empowerment Kultur / Was Kultur braucht, um in Zeiten von Shitstorms, Krisen und Skandalen zu bestehen“ (Edition Atelier, 152 Seiten, 2024)

Wiednerstand
Fr 30.8. bis So 1.9.2024,
1040 Wien
Eintritt frei

„Wiednerstand“ ist eine Intervention von Burstein und Beck – Kulturelle Raumentwicklung in Kooperation mit: Bezirksvorstehung Wieden, Ehrbar Saal & C. Bechstein Wien, ORF RadioKulturhaus | RKH, Café U1

https://bursteinundbeck.com

Geschrieben von Robert Fischer