Welcher Wiener kennt sie nicht, die typischen Phrasen, die das Ableben eines Menschen beschreiben. Von „er hat ein Bankerl g‘rissen“ über „sich die Schleife gegeben“ bis hin zum „er hat den 71er genommen “ (letztere eine Anspielung auf die Straßenbahnlinie 71, die den Innenstädtischen Bereich mit dem Zentralfriedhof verbindet). Vor allem rund um Allerseelen war die Linie, blickt man sich Fotografien vom Anfang des 20. Jahrhunderts an, mit Menschen überladen, die ihren Angehörigen auf dem Zentralfriedhof einen Besuch abstatten. Aller Anfang ist allerdings bekanntlich schwer: Ursprünglich außerhalb des Wiener Stadtgebiets gelegen, erfreute sich der Zentralfriedhof zunächst keiner großen Beliebtheit. Die Wiener wollten ihre Verwandten lieber in der Nähe wissen, als über eine gute Anreisestunde entfernt. Zudem war in den Zeitungen vom „würde-und pietätlosen Aussehen“ und von einer „trostlosen öden Wüste“ die Rede. Aufgrund von Unstimmigkeiten mit den Architekten Mylius und Bluntschli war es frühzeitig zur Beendigung der Zusammenarbeit gekommen. So war vieles, als das Gelände erstmalig zu Allerseelen 1874 zur Bestattung freigegeben wurde, noch im Zustand eines Provisoriums. Ein Glück, wie manche Kunsthistoriker heute meinen. Rund 30 Jahre später konnte mit den Bauten von Max Hegele der Jugendstil auf dem Gelände einziehen. Der damals 27-jährige Architekt zeichnete neben dem Eingangsportal und den Aufbahrungshallen I und II auch für die Kirche zum Heiligen Borromäus verantwortlich. In der Nachkriegszeit wenig geschätzt erstrahlt das Architekturjuwel seit seiner Renovierung heute wieder in neuem Glanz. Lange Zeit war man der Meinung, Hegele sei von Wagners Kirche am Steinhof beeinflusst gewesen. Offenkundig war es allerdings umgekehrt: Otto Wagner saß in der Jury für die Ausschreibung und zeigte sich von Hegeles Entwurf beeindruckt.

Kirche zum Heiligen Borromäus von Max Hegele, Kutschenfahrt über den Zentralfriedhof © Silke Rabus

In prominenter Gesellschaft

Als die Kirche 1911 (aufgrund des Todes von Bürgermeister Lueger – der hier seine letzte Ruhestätte fand – mit Abänderungen vom ursprünglichen Entwurf) fertiggestellt wurde, hatte der Friedhof längst an Beliebtheit zugelegt. Um das Friedhofsareal für die Bevölkerung attraktiver zu gestalten, war 1881 im Gemeinderat der Beschluss gefasst worden „Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kunst, die zum Ansehen Wiens maßgeblich beigetragen haben“, hierher umzubetten. Eine PR-Maßnahme mit günstigen Folgen. Heute verwaltet die Stadt Wien rund 1.000 Ehrengräber beziehungsweise ehrenhalber gewidmete Gräber auf dem Zentralfriedhof. Vor allem die Ehrengräber von Musikern wie den Mitgliedern der Strauss-Dynastie, Ludwig van Beethoven, Franz Schubert und Hugo Wolf ziehen jährlich zahlreiche Touristen an. Aber auch Schriftsteller wie Johann Nestroy und Peter Altenberg fanden hier neben bildenden Künstlern – von Rudolf von Alt über Alfred Alfred Hrdlicka und Fritz Wotruba bis Franz West – im Laufe der vergangenen Jahre ihre letzte Ruhestätte. Bedauerlich ist allerdings, dass sich bis heute der Anteil der Frauen, denen ein Ehrengrab gewidmet wurde, mit nicht einmal 10 Prozent in Grenzen hält. Die erste Frau, der 1892 ein Ehrengrab gewidmet wurde, war Ida Pfeiffer, geborene Reyer (1797 bis 1858). Der Antrag der einst über die Grenzen Österreichs hinaus bekannten Weltreisenden (insgesamt legte sie eine Strecke zurück, die der achtmaligen Umrundung der Welt entspricht) ein Ehrengrab zu widmen, war vom „Verein für erweiterte Frauenbildung“ eingebracht worden. Die Kosten für die Umbettung sowie für das Grabdenkmal von Johannes Benk wurden ebenfalls vom Verein getragen. Ziel war es, neben der Förderung und Erschließung neuer und höherer Berufe auch die Leistungen von Frauen in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen.


Von Blau bis Lamarr

Mit den Malerinnen Tina Blau, Olga Wisinger-Florian sowie der Modeschöpferin und Klimt-Businesspartnerin Emilie Flöge und der Tänzerin Grete Wiesenthal verfügen weitere Pionierinnen heute über ein Ehrengrab. Ein besonders auffälliges Grabmal wurde zudem zu Ehren der austro-amerikanischen Filmdiva und Erfinderin Hedy Lamarr gesetzt. Letztere schrieb mit dem ersten Orgasmus, der auf einer großen Leinwand sichtbar gemacht wurde, Filmgeschichte. Nicht unweit von Lamarrs ungewöhnlichem Grabmal ruht Österreichs erste Architektin: Margarethe Schütte-Lihotzky. Die heute vor allem für ihre Frankfurter Küche bekannte (ein Ruhm, der sie dazu veranlasste, vertraglich festzuhalten keine Küchen mehr zu entwerfen) plante jedoch auch Wohnbauten und war politisch aktiv. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete sie unter anderem ein überparteiliches Frauenkomitee für Vorführungen von Antikriegs- und antifaschistischen Filmen in der Wiener Urania. Schütte-Lihotzky war von den Nationalsozialisten verhaftet und im Landesgericht gefangen gehalten worden. Im Gegensatz zur ebenfalls hier inhaftierten Ordens-Schwester Restituta jedoch einer Hinrichtung entgangen. An Schwester Restituta erinnert heute nur ein kleiner Gedenkstein im Ehrenhain Gruppe 40.
Die Gruppe ist eine von mehreren Gedenkstätten, die auf dem Friedhofsgelände an die Opfer und Auswirkungen von Krieg und Faschismus mahnen.
Auch das Friedhofsgelände selbst blieb von den Auswirkungen des Krieges nicht verschont. An die 12.000 Gräber wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört. 550 Bombentrichter fanden sich über das Gelände verteilt. Dem Wiederaufbau folgte auch eine neue Anlage: Seit 1951 bietet die Präsidentengruft Österreichs Bundespräsidenten eine letzte Ruhestätte. Die Anlage war nicht zuletzt als Gegenprogramm zur Kapuzinergruft, die die leiblichen Überreste der Habsburger bewahrt, geschaffen worden und bietet sämtlichen Präsidenten mit Gattinnen noch bis zum Ende des 21. Jahrhunderts Platz.

Aktuell beherbergt der Zentralfriedhof rund 330.000 Grabstellen mit Überresten von rund drei Millionen Menschen – damit verfügt die Wiener Totenstadt über mehr „Bewohner“ als Österreichs Hauptstadt.


Zu Gast im Bestattungsmuseum

Wie sehr sich die Praktiken des Bestattungswesen über die Jahrhunderte verändert haben, können Besucher*innen im weltweit ersten Bestattungsmuseum auf dem Friedhofgelände nachvollziehen. In den in schwarz gehaltenen Ausstellungsräumen des unter der historischen Aufbahrungshalle gelegenen Museumsareals herrscht Grabesschick vom Feinsten. Prachtvolle Uniformen der Bestattungsbediensteten, große Trauer-Damenroben, Sterbeurkunden bekannter Persönlichkeiten sowie diverse Urnen- und Sargmodelle geben einen Einblick in die Welt der Bestattung ausgehend vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. War in früheren Zeiten beispielsweise ein langes Kondukt üblich – die Trauermärsche waren eine Methode für das aufstrebende Bürgertum sein neu gewonnenes Selbstverständnis zur Schau zu stellen – wurden die Inszenierungen ab dem Ersten Weltkrieg immer bescheidener. Die Aufbahrungen fanden vermehrt auf dem Friedhof statt.

Eine Kuriosität aus früheren Zeiten stellt vor allem die „Post-mortem“-Fotografie dar. Ein Brauch, bei dem die Verstorbenen in ihren besten Anzügen zum Fotografen gekarrt und für die „lebensnahe“ Aufnahme am Sessel festgezurrt wurden, der besonders im Wien des Fin de Siècle Tradition hatte. Im Volksmund sprach man diesbezüglich von „der schönen Leich“. Und auch wenn diese Methode der Erinnerungskultur nicht mehr en vogue ist, Erinnerungen an die Verstorbenen gehören nach wie vor zum Totenkult. Heute steht vor allem das Individuelle im Vordergrund.
Neben diversen Wünschen für die Trauerfeier haben die Hinterbliebenen unter anderem die Möglichkeit zwischen Erdbegräbnissen, Feuerbestattungen und Naturbegräbnissen wie Flussbestattungen (unter anderem auch in der Donau) oder dem aktuellen Trend Wald-oder Baumbestattungen zu wählen. Wer möchte, kann zudem einen Teil der Asche des Verstorbenen zu einem hochwertigen Diamanten verarbeiten lassen. Die für die Hinterbliebenen richtige Form der Bestattung zu wählen, zählt ebenfalls zu den Aufgaben der Bestatter. Das Wissen und die Praxis der Bestatter ist seit 2022 Teil des immateriellen Kulturerbes Österreichs.

Info:
Wiener Zentralfriedhof und Bestattungsmuseum am Wiener Zentralfriedhof
Simmeringer Hauptstraße 234, Tor 2, Aufbahrungshalle 2
1110 Wien

Titelbild: Auf dem Zentralfriedhof @ Silke Rabus

Geschrieben von Sandra Schäfer