Die Aufgabe klingt verantwortungsvoll. Als freier Kontrakter für einen – man darf es annehmen – Multimillionen Dollar schweren Konzern wird man als Theaterbesucher*in von einer KI, die sich als ALIS vorstellt, via Bildschirm dazu aufgefordert sich in ein, vom Netz abgeschnittenes digitales Wasteland einzuloggen. Die Aufgabe: alte, nicht mehr intakte oder nicht mehr besuchte Welten zu löschen. Lässt man sich auf das Angebot ein, heißt es nach einem Abstieg in die unterirdisch gelegenen Theaterräumlichkeiten, sich von einem Betreuer eine VR-Brille anlegen zu lassen. Rund 85 Minuten wird die Reise in die virtuelle Welt dauern. Doch sind es tatsächlich wir, die darüber entscheiden was bleibt, was schön, was bewahrungswürdig ist? Inwieweit haben die digitalen Abbilder, einst real lebender Menschen, sogenannte „Legacy Avatars“ das Recht selbst über ihren Verbleib zu entscheiden?

Derlei und ähnliche Fragen poppen einem, im von der realen Dunkelheit des Theaterraums abgeschnittenen Hirn auf, während man zunächst noch etwas unbeholfen durch die virtuelle Realität stapft. Der Weg, den man in der physischen Welt zurücklegt (es handelt sich dabei um ein genau abgegrenztes Quadrat) mag gering sein, in der virtuellen Welt ist er dafür, überraschend, umso weitläufiger. Welt für Welt wird vor den Augen der Zuschauer*innen (quasi wie in seinem eigenen digitalen Separee) aufgebaut. Bevor man sich allerdings in der rasch zur Routine gewordenen Tätigkeit des Evaluierens verliert, erscheint ein „Bug“ und man gerät – so man beherzt „zupackt“ – auf Abwege. Den vorgezeichneten Weg verlassend, gestaltet sich die Handlung des Stückes zunehmend emotional. Spätestens, wenn wir es mit dem „Legacy Avatar“ eines Volksschulkindes zu tun bekommen, wird kräftig auf die Tränendrüse gedrückt. Den Zweck seiner Existenz – den Eltern über die Trauer vom Verlust der Tochter hinwegzuhelfen – hat dieser Avatar längst erfüllt. Was bleibt ihm dementsprechend anderes zu tun, als in diesen verwunschen wirkenden Orten, in denen alles Leben wie ein von den Wänden hallenden Echos erscheint, herumzuirren?


„Schwarze Romantik“ im digitalen Raum nennen Kai Krösche und Victoria Halper von DARUM die Idee von KI gesteuerten Abbilder einstiger Menschen, die ausgestaltet mit Aussehen, Stimme und Mimik des jeweilig Verstorbenen in der Ruinenlandschaft des stillgelegten Metaverses 1.0. ihr gespenstisches Dasein führen. Noch bewegen sich die Figuren im Vergleich zu ihren einstigen Vorbildern aus Fleisch und Blut etwas plump und substanzlos, doch der technische Fortschritt ist auffällig. Das Stück lässt sich ohne den, beim längeren Aufenthalt in der virtuellen Welt überkommenden Schwindel und Übelkeit meistern. Für das Theaterkollektiv war dies allerdings ein mühsamer Prozess. Ein Jahr lang arbeitete das kleine Team rund um Halper und Krösche an der technischen Umsetzung ihrer kreativen Ideen. „Im Prinzip kann man sich das so vorstellen, dass jeder kreativer Schritt zehn technische Schritte nach sich zieht“, geben die Macher einen Einblick in den Prozess. Als Gast in dieser von 3D-Architekt Mark Surges gestalteten Umwelt kann man sich jedenfalls freuen, dass die Umsetzung erfolgreich gelungen ist. „[EOL]. End of Life“ ist ein Erlebnis und zugleich ein Einblick in das, was in ein paar Jahren schon möglich sein wird. Bleibt zu hoffen, dass Theaterstücke wie diese weiterhin (und noch verstärkt) einen Platz in der bis dato zumeist im Sinne des Spektakels geprägten Events und schaler Blockbuster-Ausstellungen mit VR-Technik finden.

[EOL]. End of Life
Eine Produktion von DARUM (Victoria Halper und Kaoi Krösche)
Noch bis 6. Oktober 2024
Brut Studio
Zieglergasse 25
1070 Wien
Karten unter: https://ticketorganizer.eu/organizer/brut?lang=de&_pes=1

Geschrieben von Sandra Schäfer