„Alles würde sich wahrscheinlich wieder so zutragen, wenn das Unglück sich heute ereignen würde“, schrieb Oscar Fritz Schuh einst im Vorwort von Helmut Qualtinger und Carl Merz Lehrstück in puncto menschlicher Natur „Alles gerettet!“. Das österreichische Kult-Kabarettistenduo widmete sich in diesem, aus 40 Prozent originalem Prozessmaterial bestehenden TV-Spiel, dem 1882 stattgefundenen Prozess zum Ringtheaterbrand. 1963 uraufgeführt verschwand es jedoch schnell von der Bildfläche. Noch bis 30. März erlebt das existenzkomische Trauerspiel auf Initiative des Thomas Sessler Verlages und der Regisseurin Anna Luca Krassnigg im Rahmen des Wortwiege Festivals in den Kassematten in Wiener Neustadt sein Comeback.

Schnell wird einem als Zuseher:in im Laufe des Abends klar: es war eine Katastrophe, die hätte verhindert werden können. Schlampig oder gar nicht ausgeführte Sicherheitsmaßnahmen sowie ein Polizeirat, der mit der Falschmeldung „Alles gerettet“ die Hilfsmaßnahmen der ohnehin viel zu spät gerufenen Feuerwehr verzögerte. Es sollte erhebliche Zeit vergehen bis Mitglieder der Löschmannschaft endlich in das Gebäude vordrangen. Für die Menschen auf den oberen Plätzen der Galerie war dies längst zu spät: Sie waren von dem Rauchgas sowie den Körpern über ihnen zu Tode erstickt worden oder verbrannt. Freiwillige, die helfen wollten, wurde der Einlass beziehungsweise die Hilfeleistung durch den Umstand erschwert, dass im Theater Dunkelheit herrschte. Wie das Licht zum Erlöschen kam, ob tatsächlich jemand den Gashahn abgedreht hatte, konnte nie ermittelt werden. Feuerwächter August Breithofer, der in Verdacht stand, den Gashahn zugedreht zu haben, wurde im Zuge des von 24. April bis 16. Mai 1882 im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Landesgerichtes stattfindenden Prozesses freigesprochen.

Anklage mit Kommentar

Generell fielen die Strafen für die Angeklagten äußerst milde aus. Gebäude-Inspektor Franz Geriger fasste vier Monate Arrest aus. Beleuchtungsinspektor Josef Nitsche wurde zu acht Monate wegen Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens verurteilt. Auf der Anklagebank saßen auch Prominente wie der Theaterdirektor Franz von Jauner und der Wiener Bürgermeister Julius Ritter von Newald. Etwas, das es – glaubt man den, das Prozessgeschehenen verfolgenden und regelmäßig kommentierenden Zaungästen Hromatka und Schlagerl – bis dato so noch nicht gegeben hat. Die beiden im Gewand der Zeit zur ORF-Ausstrahlung gekleideten Herrschaften erinnern an das Duo in der Theaterloge der Muppets und tragen ganz in Qualtinger-Manier wesentlich zur Erheiterung des ansonsten eher schwer verdaulichen Stoffes bei. An die Wand beziehungsweise auf den Vorhang projizierte klagende Statuen verleihen dem Abend den Touch einer antiken Tragödie. Es ist immerhin nichts Geringeres als das allgemein Menschliche (manch einer möchte vielleicht das Urösterreichische darin sehen), das einem hier vor Augen geführt wird. Unterbrochen wird die sich in Untätigkeit und „is ma wurscht“ ergehenden Mentalität der im hierarchisch geprägten System Agierenden lediglich durch die Aussagen einzelner Hilfeleistender, die Zivilcourage bewiesen.
Ein Stichwort, dass zudem als Aufhänger für die diesjährige Festivals-Ausgabe fungiert – so dreht sich heuer bei der Wortwiege in den Kasematten alles um die „Courage“. Eine „Courage“, die „zunächst nicht Heldenmut bedeutet, sondern nach Anna Luca Krassnigg wortwörtlich, Einsatz des Herzens‘, ergo Empathie“, meint. Die Rede ist von jener Beherztheit, die es laut Krassnigg brauche, wenn das Weltgefüge nicht weiter zerbrechen soll. Zerbrochen ist letztendlich die österreichische Monarchie – von außen ebenso wie von innen heraus. Heute erscheint uns die Demokratie als fragiles Gebilde. Der Mensch selbst, so lässt sich erneut nach diesem Abend feststellen, ist nach wie vor der gleiche wie im 19. Jahrhundert. Aber immerhin: Als Besucher:in erwartet einen, seit dem Ringtheaterbrand unter dem Schutz strengster feuertechnischer Vorschriften stehend, eine solide Aufführung mit durchwegs famosen Schauspielern.

Alles gerettet!
Im Rahmen des Wortwiege Festival

Kasematten Wiener Neustadt (Bahngasse 27)
Weitere Termine: 13., 16., 19., 22., 25., 27. und 30. März 2025
Mit Ida Golda, Lukas Haas, Saskia Klar, Jens Ole Schmieder, Martin Schwanda, Isabella Wolf (Stimmen: Helmut Jasbar, Lena Rothstein, Horst Schily, Franz Schuh)
www.wortwiege.at

Geschrieben von Sandra Schäfer