Aktuell vertreten Martin Bergmann, Gernot Bohmann, Harald Gruendl von EOOS Österreich auf der XXII Triennale di Milano, wo sie für ihre Arbeit „Circular Flows: The Toilet Revolution!“ mit dem silbernen „Black Bee Award“ ausgezeichnet wurden. Ab 29. Mai werden sie zudem im MAK (Museum für angewandte Kunst) mehrere Projekte zum Thema „Klimawandel! Vom Massenkonsum zur nachhaltigen Qualitätsgesellschaft“ präsentieren.

Die Kulturfüchsin traf Designer und EOOS-Mitbegründer Harald Gruendl zum Gespräch. Ein Interview über Design in der Welt, den dringend benötigten (Lebens)Wandel und warum EOOS mehr als nur ein schön klingender Name ist.

EOOS, so heißt bei Ovid eines der vier geflügelten Pferde, das den Sonnenwagen zieht. Wenn ich in diesem Zusammenhang an Ihren Namen denke, fällt mir ein: Design als tägliches Tool so wie die Sonne jeden Tag aufgeht (auch mit der Chance auf Neuanfang) oder liege ich mit dieser Deutung gänzlich daneben?

Man kann die Geschichte des Sonnenwagens durchaus auch als Metapher auf das Design lesen. Ovid schreibt in den Metamorphosen, dass der Sohn des Sonnengottes zu seinem Vater kommt und ihn bittet mit dem Sonnenwagen fahren zu dürfen. Was natürlich keine gute Idee ist: Wenn er zu tief kommt wird er die Erde verbrennen und wenn er zu weit weg kommt wird es ihn ins Weltall schleudern. Das ist auch im Design die größte Herausforderung – den richtigen Kurs zu wahren. Entweder man kommt zu weit weg von dem was auf der Erde passiert oder man verbrennt die Erde damit. Aber Ihre Interpretation ist auch schön. Auch das ist der Sinn von Geschichten, dass man unterschiedliche Zugänge findet.

Geschichten beziehungsweise Mythen spielen auch bei Ihrer Arbeitsweise, die Sie als „Poetische Analyse“ bezeichnen, eine große Rolle. Wie kann man sich diese Analyse vorstellen?

Wenn drei Designer mit unterschiedlichem Background zusammenkommen braucht es etwas, dass verbindet. Die poetische Analyse dient uns in erster Linie dazu, ein festes Fundament für unsere Arbeit zu finden. Wir suchen starke intuitive Bilder, Rituale und Geschichten – man könnte auch sagen Mythen, die einen Kontext schaffen für das, was wir tun.

Beim Thema Mythen fällt mir natürlich sofort das Lagerfeuer als Ort des Geschichtenerzählens ein. Gerade das Kochen und die Küche haben im Laufe ihrer Kulturgeschichte eine enorme Wandlung widerfahren. Als Wienerin denke ich sofort auch an Margarete Schütte-Lihotzky. Was waren die Aspekte, die für Ihr Küchen-Design für die Firma „bulthaup“ wichtig waren?

Eine wichtige Inspirationsquelle für unsere Arbeit war Bartolomeo Scappi, ein Renaissancekoch, der nicht nur die Gerichte, sondern auch die Küche revolutioniert hat. Das Buch „Opera“ (1570) zeigt sehr archaische schöne Küchentische und Aufbewahrungsformen für das Küchenwerkzeug. Gleichzeitig sind wir bei der poetischen Analyse auf Ordnungsprinzipien von Handwerkern gestoßen, die in ihren Werkschränken das Werkzeug in einer sehr stringenten Form organisieren. Aus diesem Gefühl der Renaissance heraus und der Stringenz der Handwerker-Werkzeugschränke haben wir dann diese Küche entwickelt. Ein wichtiger Ausgangspunkt für Margarete Schütte-Lihotzky war eine Küche in einem Zugwaggon weil dort viele komplexe Dinge auf sehr kleiner Grundfläche realisiert sind. Das Revolutionäre damals war, dass sie die Küche in den Wohnraum geöffnet und ihre Funktionen stark verdichtet hat. Themen, die noch heute relevant sind. Wir stehen vor der Herausforderung auf kleineren Grundrissen das Kochen zu organisieren mit all den neuen Dingen, die es heute an Technologien zur Unterstützung gibt und dabei aber gleichzeitig all diese Dinge zu berücksichtigen, die das Kochen schön machen. Die Werbung legt uns nahe, dass jeder Bereich der Wohnung riesengroß sein muss. Wir brauchen einen riesigen großen Salon, um unsere Sofas aufzustellen und einen großen Raum, um unsere Küchenflaggschiffe hinzustellen und so weiter. Dieses Platzangebot wird in der Realität selten eingelöst. Es ist nötig, dass die Menschen der Zukunft ein bisschen mehr in sich hineinhören und sich überlegen, was für sie wirklich wichtig ist.

Die Zukunft spielt auch bei der „Vienna Biennale for Change“ im MAK eine Rolle. Ab Ende Mai können sich BesucherInnen in der Ausstellung „Klimawandel! Vom Massenkonsum zur nachhaltigen Qualitätsgesellschaft“ mit einigen ihrer Arbeiten auseinandersetzen. Was erwartet uns und welche Rolle kann Design bei diesem Wandel spielen?

Ein wichtiger Startpunkt für den Wandel ist Informiertheit, über die Umweltauswirkungen von unseren Lebensweisen Bescheid zu wissen und dazu Alternativen entwickeln. Das ist auch das Ziel der Ausstellung im Mak. Unsere Idee ist es, vier Projekte zu Lebensbereichen zu zeigen, wo alle Menschen Alltagserfahrungen dazu haben. Alle gezeigten Arbeiten werden sich mit möglichen Zukünften auseinandersetzen. Ich halte es generell für eine wichtige neue Spielart von Design, über eine wünschenswerte Zukunft nachzudenken. Vielleicht ist es auch sinnvoll über dystopische Zukünfte nachzudenken, indem man diese schon heute versucht darzustellen, gelingt es möglicherweise eine gesellschaftliche Willensbildung zu provozieren, ob man dies oder das wirklich so haben möchte und dann zu zeigen, was man tun könnte, damit das so nicht eintritt. Ein Bereich, der für eine weltverträgliche Lebensweise wichtig ist, ist die Mobilität. Ein konkretes Beispiel, das wir schon im Rahmen der Konferenz Wachstum im Wandel gezeigt haben, das jetzt im MAK zu sehen sein wird, ist ein Autoprojekt. Dabei handelt es sich um ein Open Source Hardware Projekt. Das bedeutet, es gibt eine offene Lizenz, die für dieses Autoprojekt in die Welt gesetzt wird und es ermöglicht, dass jede Auto- oder Fahrradwerkstatt auch so ein Gefährt bauen kann. Womit wir eigentlich die Idee von Design als Geschäftsmodell in Frage stellen. Viele Gestalter verdienen am Urheberrecht. Open Source Hardware ist genau das Gegenteil davon. Auch zum Thema Küche gibt es neue Arbeiten: Einen Kühlschrank aus Holz und Schafwolle. So zeigen wir wie Bioökonomie im Produktdesign umgesetzt werden kann. Oder eine Biogasanlage für die Küchenabfälle die wir „Kitchen Cow“ genannt haben. Es ist eine Anlage die eigentlich wie ein Kuhmagen funktioniert und Biogas für den Herd produziert.

Etwas, wo Sie in der Vergangenheit für starke Aufmerksamkeit gesorgt haben, war die Gestaltung der umweltfreundlichen mobilen Toilette „Blue Diversion Toilet“. Was wurde aus dem Projekt?

Das Projekt ist noch immer aktuell. Seinen Ausgangspunkt hatte das Ganze in einem Technologie-Call der „Bill & Melinda Gates Foundation“. Wir haben dafür mit dem Schweizer Wasserforschungsinstitut Eawag zusammengearbeitet, die die Technologien entwickelt haben. Wir waren für das Design zuständig. Im Jänner 2019 ist die Toilette erneut ins Feld gegangen. Dieses Mal in Durban in Südafrika. Dort werden die Technologien nochmals überprüft und gleichzeitig Partner aus der Industrie gesucht. Letztendlich hat die Entwicklung relativ viel Knowhow benötigt. Wir mussten auch erst verstehen, was in den Entwicklungsländern die Aufgabenstellungen, die Herausforderungen sind. Die soziale Komponente von Design ist sehr wichtig, gerade in Kontexten, die man nicht gut kennt, sind nur technische Herangehensweisen nicht erfolgreich. Wir müssen schauen, dass die Lösung, die wir entwickeln, eine ist, die Menschen ihre Würde zurückgibt, wo sie stolz darauf sind eine Toilette zu haben. Wir versuchen nicht Design für die Dritte Welt zu machen, sondern mit dem gleichen Designanspruch, den wir im Premium-Segment haben.

Aktuell haben Sie für ihre Multimediainstallation rund um ihre eigene Erfindung, dem „Urine Trap“ – ein System zur Urinseparation, das auch in herkömmlichen Toiletten anwendbar ist – bei der XII Triennale di Milano den silbernen „Black Bee Award“ gewonnen. Was hat Sie zu dieser Weiterentwicklung beziehungsweise eigenen Erfindung bewogen und was waren die Herausforderungen?

Wir haben 2008 begonnen uns zu fragen was Design so kann und für unsere Arbeit neue Kontexte gesucht. Die Projekte rund um die Toilette sind bei uns innerhalb des Social Design Department verankert. Die Blue Diversion Toilette hat einen geschlossenen Wasserkreislauf. Das heißt man muss kaum Wasser zuführen, aus dem Urin wird ein hochwertiger Dünger produziert und die Fäkalien werden energieneutral verbrannt. Die Technologien, die die Ströme bearbeiten, sind von der Eawag, die ganzen Designaspekte beziehungsweise jetzt das User Interface, das die Ströme trennt, ist unser Beitrag dazu. Es gab zwar schon zuvor Toiletten, die versucht haben die Ströme zu trennen, aber die waren so wenig nutzerfreundlich, dass man von der Idee bald wieder abgelassen hat. Obwohl es eine sehr gute und wichtige Idee ist. 80 Prozent des Stickstoffs im Abwasser stammen aus dem Urin. Je nach Kläranlagen kann dieser Stickstoff nur zum Teil entfernt werden. Der Rest geht gemeinsam mit dem Stickstoff, der durch Überdüngung entsteht, ins Meer. Weil Stickstoff ein perfekter Dünger ist, beginnen die Algen zu wachsen, nehmen sich gegenseitig das Licht weg und sterben. Die Mikroben, die die Algen abbauen, verwenden Sauerstoff. Das heißt anstatt Sauerstoff zu produzieren wird er verbraucht und so genannte Totzonen entstehen – allein in Europa haben wir heute 50 solcher Zonen vor den Küsten. Der in der Toilette abgetrennte Urin kann als höherwertiger Dünger lokal weiterverarbeitet und vor Ort wieder ausgebracht werden.

Damit das funktioniert benötigt man vermutlich vor allem auch in der Wirtschaft ein Umdenken . . .

Wir leben in einer Aufmerksamkeitsökonomie, wo wir immer etwas Neues brauchen. Das ist auch im Design ein Faktor, der nicht zwangsweise immer zu einer positiven Entwicklung führt. Dieser Druck immer etwas Neues zu produzieren hat nicht zuletzt auch in dieses Dilemma geführt, in dem wir als Menschheit stecken, dass ein Teil der Welt, einen Fußabdruck hat, der weit weg ist von weltverträglich und solidarisch. Dem Teil der Welt, der berechtigterweise eine bessere Situation fordert, kann man, das was wir vorleben, nicht zur Verfügung stellen. Insofern ist es einer der interessantesten Punkte im Design, den wir in den letzten hundert Jahren hatten, weil man vieles neu überlegen sollte. Zum Beispiel wie wir mit Ressourcen und mit Kapital umgehen, das heute zu einem Großteil in Öl und Kohle gebunden ist. Ich halte Selbstermächtigung diesbezüglich für wichtig. Vielleicht haben wir bisher zu sehr erwartet, dass uns zum Beispiel die Autoindustrie mit sinnvolleren Alternativen kommt, aber man merkt, das Interesse ist nicht da, Ehrlichkeit und Transparenz fehlen sichtlich. Glaubwürdigkeit ist die Währung der Zukunft. Viele Betriebe der traditionellen Wirtschaft haben mit dieser Währung ein Problem. Ohne die Wirtschaft wird es natürlich zu keinem Wandel kommen. Aber es braucht eine neue Wirtschaftsavantgarde, die mit anderen Werten und Organisationsformen Wirtschaft betreibt. Das eine Firma wie LAUFEN, deren Sanitärkollektionen vor allem über Autorendesign verkauft wird, jetzt pionierhaft unsere Urinseparationstechnologie auf den Markt bringt, ist für uns wirklich ein Zeichen des Wandels. Design und Umwelttechnologie ist die Zukunft.

Sie sind außerdem Begründer des „Institute of Design Research Vienna“. Inwieweit wollen Sie mit dem IDRV Bewusstsein für Design in der Gesellschaft verankern? Wo fängt Bildungsarbeit an? Gehen Sie zum Beispiel auch in Schulen?

Kein Mensch weiß, wie lange es noch dauern wird bis wir viele unserer Alltagsgegenstände mit neuen umweltfreundlichen Technologien herstellen. Wenn wir früh mit solchen Dingen in Berührung kommen, können wir uns ein eigenes Bild davon machen und eigene Gedanken und Fantasien daran hängen. Mit dem IDRV haben wir in der Vergangenheit bereits mehrere partizipative Designworkshops in Schulen gemacht. Design ist etwas, dass über alle Fächer gut als Schnittmenge fungieren könnte. Auch die Moderne war ein Projekt, das in allen künstlerischen Sparten vorangetrieben wurde. Eine gemeinsame Anstrengung neue Bilder, Geschichten und Rituale zu erfinden, das wäre etwas, was für den aktuell nötigen Wandel wünschenswert wäre. Mit designaustria hat das IDRV heuer den Guide „Qualitätskriterien für Circular Design. Gestaltungskriterien für eine nachhaltige Zukunft.“ herausgegeben. Hier zeigen wir wie Design, Wirtschaft, Politik und Konsumenten gemeinsam einen Wandel herbeiführen.

Wir haben viel über die Zukunft gesprochen. Stellen sie sich vor, die Besucherinnen und Besucher eines Museums in einer weit entfernten Zukunft gehen an einer Ausstellungsvitrine vorbei, die Ihrer Arbeit gewidmet ist, was würden Sie sich wünschen, dass Sie sehen oder dort geschrieben steht?

Das kommt natürlich darauf an was das für ein Museum ist. Wenn es eines ist, das den gesellschaftlichen Wandel abbildet, dass wir als Teil dieser Bewegung erwähnt werden, die die Zeichen erkannt haben und dass wir unseren Teil dazu beigetragen haben zukunftsfähigere Alternativen aus dem Design heraus gestaltet zu haben.

Vielen Dank für das Gespräch!
Danke auch.

Zur Person:
Dr. Harald Gruendl arbeitet als Designer, Design-Theoretiker und Kurator.
Er ist Gründer des IDRV – Institute of Design Research Vienna und EOOS Design.
Er war unter anderem Gastprofessor für Industrial Design an der Shi-Chien
Universität Taipei und dem HFBK Hamburg. Seit 2018 unterrichtet er
an der Universität für Angewandte Kunst. Er ist Herausgeber und
Mitautor mehrerer Bücher zum Thema Design.

Klimawandel! Vom Massenkonsum zur nachhaltigen Qualitätsgesellschaft
29. Mai bis 06. Oktober 2019
MAK – Museum für angewandte Kunst
Stubenring 5
1010 Wien
www.mak.at

Circular Flows: The Toilet Revolution!
XXII Triennale di Milano
Noch bis 1. September 2019
Viale Alemagna 6,
20121 Mailand
Italien
www.triennale.org

 

Geschrieben von Sandra Schäfer