Beide sind Lichtgestalten der Arbeiter- und Frauenbewegung – Käthe Leichter und Marie Jahoda. In einer Koproduktion von Portraittheater mit der AK-Kulturabteilung und dem Theater Drachengasse zeichnete im Rahmen der Premiere des Stückes „Arbeit, lebensnah – Käthe Leichter und Marie Jahoda“ Regisseurin Sandra Schüddekopf auf der Bühne des Theaters Akzent in der Wiener Theresianumgasse ein beeindruckendes Bild der beiden Persönlichkeiten.
Die Collage gleicht einer sozialwissenschaftlichen Zeitreise in die erste Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Europa ist in unruhiger Bewegung. Der Erste Weltkrieg tobt, Reiche zerfallen, die Habsburger-Monarchie erreicht ihr Zerfallsdatum – das einstige Weltreich zersplittert in Nationalstaaten. Der Frieden ist brüchig, die Not und das Elend der arbeitenden Menschen groß, nicht zuletzt weil das soziale Gefüge zerrüttet ist.

Die jeweilige Klassenzugehörigkeit prägt das Bild der Gesellschaft. Das im Gestern verharrende Bürgertum versus die selbstbewusste, erstarkende Arbeiterbewegung. Ein Ringen, das zu Beginn der 20er Jahre durchaus von Erfolgen der Gewerkschaften und der mit ihnen Verbündeten Sozialdemokratie wesentlich gestaltet wird. Sozialgesetzgebung zugunsten der arbeitenden Menschen, die Erfolge des Roten Wien im Wohnbau, im Bildungs- und Gesundheitsbereich – und dennoch ist nicht alles Gold, was auf den ersten Blick zu glänzen scheint: Noch immer sind die Arbeitsbedingungen in den Fabriken in den meisten Fällen schlecht – vor allem für die Frauen. Sie sind einer drückenden Mehrfachbelastung ausgesetzt. Haushalt, Familie und Job sollen unter einen Hut gebracht werden. Das Rollenbild der Frau wird bei vielen Menschen noch immer von den drei K, „Küche, Kinder, Kirche“, geprägt.

Wegbereiterinnen für Frauenrechte

Zwei Frauen unter jenen Reformerinnen, die den gesellschaftlichen Wandel herbeiführen wollen, die sich gegen die Konvention der Zeit stellen, haben den Kampf um die Anliegen der arbeitenden Menschen, speziell der Frauen, besonders mit Leben erfüllt – die promovierte Staatswissenschafterin Käthe Leichter und die Sozialpsychologin Marie Jahoda.

So unterschiedlich die Biographien der beiden letztlich verlaufen, so gibt es dennoch immer wieder intensive Berührungspunkte. Beide Frauen stammen aus bürgerlich-jüdischen Familien, schwimmen bereits in jungen Jahren gegen den gesellschaftlichen von Zwangsnormen geprägten Strom und haben sich Zeit ihrer Leben der Besserstellung der Frauen in der Gesellschaft mit allen ihren Facetten gewidmet. Während sich Käthe Leichter (weil es zu ihrer Zeit noch nicht möglich war als Frau in Jus zu promovieren) letztlich dem Studium der Staatswissenschaft zuwendet, verschreibt sich Marie Jahoda der Sozialpsychologie. Beide haben sich der sozialdemokratischen Bewegung angeschlossen, sind Mitglieder u.a. der Vereinigung sozialistischer Schriftsteller. Käthe Leichter avanciert zur Leiterin des von ihr durchgesetzten Frauenreferats der Arbeiterkammer, Marie Jahoda, die sich intensiv der lebensnahen Sozialforschung verschrieben hat, erlangt mit ihrer führenden Mitarbeit an der umfassenden sozialpsychischen Studie über die „Arbeitslosen von Marienthal“ weltweite Anerkennung. Es ist Käthe Leichter die die erste Rezension über diese Untersuchung verfasst.

Während Leichter ihre so engagierte Arbeit für die Besserstellung der Frauen nach der Machtübernahme der österreichischen Faschisten abrupt beenden muss, in den politischen Untergrund geht und letztlich 1942 im Nazi-Konzentrationslager grausam ermordet wird, reüssiert die aus Österreich emigrierte Jahoda in Kriegs- und Nachkriegsjahren in England und USA als eine der profiliertesten Sozialwissenschafterinnen.

Darstellerische Herausforderungen gemeistert

Die schwierige Herausforderung, das unterschiedliche und dennoch oftmals tangierende Leben der beiden Frauen in Form von großteils in jeweiligen Monologen gestalteten chronologischen Biographien den Theaterbesuchern zu vermitteln, ohne dabei auch nur ansatzweise Langweile aufkommen zu lassen, darf unter Federführung von Regisseurin Sandra Schüddekopf durchaus als gemeistert bewertet werden. Anita Zieher als Käthe Leichter und Katrin Grumeth als Marie Jahoda brillieren in ihren Rollen. Da die Bühnenausstattung extrem minimalistisch gestaltet ist, konzentriert sich die Aufmerksamkeit des offensichtlich großteils zeitgeschichtskundigen Publikums wie gewünscht auf das gesprochene Wort.

Das ist gut so. Auch deshalb, weil dadurch im Laufe des Abends die Erkenntnis bestärkt wird, dass Geschichte nicht statisch und ausschließlich vergangen ist, sondern sich oftmals aktuell darstellt und sich gerade in Zeiten wie diesen da und dort zu wiederholen droht. Wenn Käthe Leichter gleichen Lohn für Frauen für die gleiche Arbeit fordert, dann ist der Konnex mit dem derzeitigen Frauenvolksbegehren schnurstracks hergestellt.

Quintessenz eines höchst interessanten, nicht selten die Seele berührenden Theaterabends: Wer aus der Geschichte nichts lernt, verbaut sich eine gute Zukunft. Lang anhaltender Applaus des Publikums. Und nicht zuletzt noch ein Highlight des Abends: Franz, der 1930 zweitgeborene und seit der Flucht vor den Nazis in den USA lebende Sohn von Käthe Leichter, ist als Ehrengast anwesend und wird dementsprechend umjubelt.

„Arbeit, lebensnah“
Käthe Leichter und Marie Jahoda
Spielserie im Theater Drachengasse
19. bis 23. Februar, jeweils 20.00 Uhr
Fleischmarkt 22, 1010 Wien
Tel.: 01/513 14 44
www.drachengasse.at
[email protected]

Geschrieben von Stefan Weinbeisser