Musikredakteur Robert Fischer sprach mit der vielseitigen Sängerin und Songwriterin über vergangene und neue Projekte und darüber, was uns Menschen bewegt.

Christina, Du kannst mittlerweile auf eine lange fruchtbare musikalische Karriere zurückblicken. Wie waren Deine Anfänge als Musikerin?

Es war nicht mein Plan, Musikerin zu werden. Als Kind war mein großer Traum der Zirkus, später war es die Bühne und ich wollte Schauspielerin werden. So kam ich auch in den 80er-Jahren nach Wien in die Schauspielschule des „Dramatischen Zentrums“, ein Zentrum für experimentelles Theater. In diesem „Labor“ konnte ich mich mit der Arbeit des polnischen Avantgarde-Theatermachers Jerzy Grotowski vertraut machen, der in vielen seiner Inszenierungen mit Volksmusiker*innen zusammenarbeitete. So lernte ich sehr früh auch Musikant*innen der Musikszene in Wien kennen, vor allem aus der Folkszene und der gerade erwachenden Bewegung der „Neuen Volksmusik“, unter anderem auch spanische Musiker*innen. Eines Tages fragte mich die Flamencogitarristin Judith Pahola, ob ich nicht Lust hätte, mit ihr spanische Lieder zu singen – und das war’s dann: ich verliebte mich in die spanische Musik und in die Poesie von Federico García Lorca – und widmete mich danach viele Jahre mit Begeisterung dieser Musik. Drei Alben sind aus dieser Zusammenarbeit entstanden. Die Musik hat die Schauspielerei danach fast ganz verdrängt, ich studierte als Zweitstudium klassischen Gesang und begann in den 90ern mit Musiktheaterprojekten mit dem Ensemble „Café de Chinitas“ aufzutreten – das waren die Anfänge, eine sehr kreative Zeit, die ich nicht missen möchte.

Dein neues Album heißt „The Heart Is An Eternal Wanderer“. Gibt es darin ein bestimmtes Thema beziehungsweise Konzept, das sich durchzieht? Könntest Du etwas zur Entstehung erzählen?

Wir haben uns – und dem Album – Zeit gegeben, damit es sich aus sich selbst entwickeln konnte, es war kein geplantes Konzeptalbum. Wir begannen mit dem Titel-Stück und zwei weiteren Gedichten von Heinz Unger und haben danach geschaut, wohin uns diese Songs führen. Dann habe ich in meinen Schubladen nachgeschaut und passende Gedichte vertont. Thematisch zieht sich ein unausgesprochener roter Faden durch das Album: Nämlich die Frage: was bewegt uns Menschen? Dazu gibt es viel zu sagen in diesen Zeiten. Wie gehen wir mit unserer Erde und mit den Wäldern um? Welche Visionen haben wir? Aus was beziehen wir Sinn und warum sind wir unterwegs? Ich wollte auf diesem Album die Veränderungen thematisieren, die wir gerade erleben, und ja, es ist ein Singersongwriter-Album geworden. In den letzten Alben habe ich die Stimme vor allem instrumental in der universellen Sprache des Jodelns eingesetzt, diesmal wollte ich mich konkret ausdrücken.

Wie kam es zur Bekanntschaft mit dem 2018 verstorbenen Literaten Heinz R. Unger, der unter anderem in den 1980er-Jahren als Autor der „Proletenpassion“ für die „Schmetterlinge“ bekannt wurde? Was schätzt du an seinen Texten?

Ich habe Heinz über seine Lebensgefährtin Birgit Heyn kennengelernt, die Tai-Chi-Meisterin ist und die ich filmisch auf einer Reise zu ihr wichtigen Orten für ihre Tai-Chi-Praxis begleitet habe. Wir reisten 2001 quer durch Europa und Asien und verbrachten viele gemeinsame Stunden in Autos und Bussen und Flugzeugen, mit viel Zeit zum Geschichten erzählen. Seine Texte schlagen eine Brücke vom Persönlichen zum Universellen. Heinz war einfach durch und durch ein Künstler, jemand, der nach Antworten gesucht hat für das, was auf und mit unserer Welt geschieht. Seine drei Texte im neuen Album waren bisher unveröffentlicht.

Bitte erzähle ein bisschen über die Musiker die am neuen Album beteiligt waren?

Mit den Musikern Peter Rosmanith und Arnulf Lindner habe ich bereits in meinen Anfängen gemeinsam musiziert – auf den spanischen Alben mit „Café de Chinitas“ – uns verbindet eine jahrelange musikalische Freundschaft und sie sind mit Percussion, Hang, Bass, Cello und Gitarre vertreten. Auch mit meinem Lebensgefährten Michael Hudecek, Filmemacher und Saxophonist, arbeite ich schon viele Jahre zusammen, wir machen gemeinsame Filmprojekte und dieses Album haben wir miteinander produziert und auch einige Titel co-komponiert. Ergänzt mit dem jungen Gitarrenvirtuosen David Mandlburger ist das ein wunderbares Team. Auf zwei Tracks ist der international bekannte Drummer Ralph Salmins zu hören und gemischt hat der „Grammy-Award“-Gewinner Georg Luksch.

Wie kam es dazu, dass die meisten Songs auf der CD in Englisch verfasst sind?

Ich schreibe die meisten Lieder und Gedichte immer noch in meiner Muttersprache, in Schweizerdeutsch. Das finde ich wunderbar, aber es engt die Verständlichkeit einfach sehr ein. Dialekt ins Hochdeutsch zu übersetzen ist schwierig, der Dialekt ist weich, vokalhaft und gut singbar, Deutsch hat etwas Zackiges, Kantiges. Ich habe schon immer in Fremdsprachen gesungen, in Spanisch, Französisch – diesmal ist es Englisch geworden, es hat am besten zu dieser Art von Lyrik gepasst.

Hast Du auf dem Album eine bestimmte Lieblingsnummer und warum?

Ganz unerwartet hat sich „Song of the Forest“ zu einer meiner Lieblingsnummern entwickelt, übrigens der einzige Titel, den ich direkt in Englisch geschrieben habe. Ich habe die Zeit der Pandemie genutzt, intensiver Englisch zu studieren und dieser Sprache auch emotional näher zu kommen. Der Song war eine Eingebung, die Worte sind plötzlich wie von selber da gewesen. „Song of the Forest“ ist das Lied des Waldes, der zu uns spricht und erzählt, wie es ihm geht mit uns Menschen und wie wir ihn behandeln. Es hat sich auch wie selbstverständlich ein Jodler zum Text ergeben, das ist für mich eine ganz schöne Stelle auf dem Album, archaisch und sehr modern zugleich.

Du hast es schon kurz angesprochen. Einige Künstler haben die Pandemie beziehungsweise die Zeit der „Lockdowns“ dazu benützt, besonders kreativ zu sein. War das in diesem Sinn für Dich auch eine produktive Zeit?

Diese Phase, als das öffentliche Leben für einige Zeit stillgestanden ist, war vor allem deswegen eine kreative und produktive Zeit, weil die Musiker*innen plötzlich Zeit hatten, ins Studio zu gehen und aufzunehmen. Das Time-Sharing ist üblicherweise ein schwieriger Punkt, weil ja alle Musikschaffenden in unterschiedlichen Projekten tätig sind und es ständig zu terminlichen Engpässen kommt. In der Pandemie war das anders – auch das Zeitgefühl war ein anderes, plötzlich hatten einfach alle „mehr“ Zeit, und auch mehr Ruhe – das war ein positiver Aspekt der Pandemie.

Du bist schon seit 1990 in der Musikszene aktiv, hast 15 Alben veröffentlicht und bist nicht nur in Euopa viel aufgetreten, sondern hast auf Konzertreisen auch China, Indonesien und Mexiko besucht. Gibt es ein Konzert, das Dir besonders gut in Erinnerung ist?

Wir waren 2002 auf einer Konzerttournee in Mexiko, und spielten bei einem großen Musikfestival in Puebla. Das Konzertprogramm war eine Vermischung aller Sparten, es gab Klassik, Rock’n’Roll, Jazz, Musica popular, unter anderem trat auch die berühmte Sängerin Mercedes Sosa aus Argentinien auf – es war so schön zu sehen, dass Musik nicht in trennende Kategorien eingeteilt wurde, sondern als etwas Ganzes und Verbindendes betrachtet wurde. Am Ende vom Konzert standen die Menschen Schlange, um uns Musiker*innen kleine Geschenke zu geben, das war sehr berührend. Die Leute hatten sich aufrichtig gefreut und drückten ihren Respekt und ihre Dankbarkeit einfach aus – das ist selten geworden in unseren Breitengraden, wo vieles für selbstverständlich genommen wird.

An welchen Projekten abseits des neuen Albums arbeitest Du gerade?

Es gibt viele Projekte, die alle gerne und bald fertiggestellt werden wollen. Eine Art Documentary mit dem Titel „Wundersames Kiental“ aus Found-Footage-Material aus den 50ern über mein Heimatdorf im Berner Oberland ist derzeit in der Fertigstellung. Ich habe dazu die Musik komponiert und eine persönliche poetische Erzählung geschrieben. Ein Artistic-Research-Project über Clara Wieck Schumann wartet auf den Endschnitt, es ist ein filmisches Experiment mit Tanz und vier Neuinterpretationen ihrer Lieder, vier Art Songs – ein Projekt in Zusammenarbeit mit der mdw Wien, das während der Pandemie zustande kam, ein künstlerisch sehr spannendes Vorhaben. Ein Roman liegt zur Überarbeitung in der Schublade, das Album mit den schweizerdeutschen Songs von „The Heart Is An Eternal Wanderer“ ist bereit zum Einsingen – und weiters liegen schon wieder genügend Songs für ein nächstes Album in der Schublade – langweilig wird es nicht werden.

Du lebst schon lange in Wien. Hast Du in der Stadt einen Lieblingsplatz?

Ich habe einige Lieblingsplätze in Wien, und einer davon ist das „Haus des Meeres“, in dem das CD-Release-Concert des neuen Albums stattfinden wird. Ich war viele Jahre lang Taucherin, und die Begegnung mit der Unterwasserwelt gehört zu meinen eindrücklichsten Lebenserfahrungen. Das Haus widmet sich auch der Arterhaltung und Nachzucht von aussterbenden Spezies, das ist ein wichtiger Umweltbeitrag. Persönlich bedaure ich, dass das Zitat „Zerschmettert in Stücke (im Frieden der Nacht)“ vom Flakturm entfernt wurde – gerade jetzt hätte diese Mahnung wieder große Bedeutung.

Welche drei Alben würdest Du auf eine einsame Insel mitnehmen?

„When in Rome“ vom „Penguin Café Orchestra“, einem britischen Ensemble, das Minimalmusic spielt, und das mit so viel Witz und Spielfreude, dass ich beim Hören stets in eine gute Stimmung komme. Das Ensemble hat mich auch zur Komposition des „Pinguin-Jodlers“ motiviert.

Als zweites die „Goldberg Variationen“ von Johann Sebastian Bach. Bachs Musik ist einfach Vollendung, wie sie nur selten zu hören ist, Musik, die den Geist „elevated“ und zeitlos ist.

Und Keiths Jarretts „Over the Rainbow” vom Album „La Scala” – das ist reine Seelenmusik.

Danke für das Gespräch!

Zur Person
Aufgewachsen im Berner Oberland, verschlägt es Christina Zurbrügg nach längerem Südamerika-aufenthalt in den 80er-Jahren nach Wien. Hier studiert sie Schauspiel und klassischen Gesang und macht sich rasch einen Namen mit ihren Musiktheaterproduktionen über den spanischen Dichter Federico García Lorca. Sie beschäftigte sich mit Volksmusik und drehte den Dokumentarfilm „Orvuse On Oanwe“ über Wiens letzte Dudlerinnen, gefolgt von ihrem prämierten Soloprogramm „Christlʼs Wunderwelt“. Mittlerweile kann Christina Zurbrügg auf vierzehn Musikalben zurückblicken. Im Juni 2022 erscheint das neue Album „The Heart Is An Eternal Wanderer“. Auch in punkto Film machte Zurbrügg von sich reden. Ihr gemeinsamer Film mit Michael Hudecek „Bleiben oder Gehen" wurde 2006 mit dem „Goldenen Drachen" ausgezeichnet, „Halbzeit“ für die „Goldene Rose“ 2009 nominiert.
www.zurbruegg.cc

Termine:
CD-Präsentation „The Heart Is An Eternal Wanderer“
07.06.2022 19:30 Uhr
Haus des Meeres
Fritz-Grünbaum-Platz 1
1060 Wien
Eintritt: Euro 19

Titelbild: Cristina Zurbrügg © Oliver Topf

Geschrieben von Robert Fischer