Welcher wenig technikaffine Mensch kennt das nicht, sich in unserer digitalisierten Welt gelegentlich als Steinzeitmensch zu fühlen. Sarah Sternat überträgt dieses Gefühl auf die Bühne des „Theater Brett“. In Florian Drexlers (Text und Regie) und Patrik Trotters (Dramaturgie und Text) Stück „Mehltau“ lässt sie die Protagonisten in einer an einen Wigwam erinnernden Stabkonstruktion, in Felle gewandet, hausen. Die Grundbedürfnisse sind gedeckt, doch das „wahre“ Leben spielt sich auf virtueller Ebene ab. Die Menschheit ist in Spieler und Verfolger geteilt. Ohne Herzen, ein Bewertungssystem, das als Währung dient, ist man nichts. Ohne Herzen, so hat es den Anschein, stellt sich auch das ersehnte Glück nicht ein. Spaß haben und dabei man selbst sein, lautet die Maxime. Der Fantasie scheinen dabei keinerlei Grenzen gesetzt. Gezeichnet wird das Bild einer Spaßkultur, in der zwar Authentizität gefordert, aber letztendlich nach dem Geschmack des Marktes gehandelt wird. Wir sind „Fische in einem Schwarm, der bestimmt, wo man hinschwimmt“, lautet der Ratschlag von Irina (Julia Prock-Schauer) – die sich als „Burnout Mädchen“ einer großen Schar von Verfolgern erfreut – an die junge Anna (Henrietta Isabella Sophie Rauth).
Die Mutter eines elfjährigen Sohnes möchte von der Seite der Verfolger zu der der Spielern wechseln. Doch Ehemann Elias (Kilian Klapper), ein ehemaliger Spieler, sieht in diesem Schritt eine Gefahr für die Beziehung. Eine Vermutung, die sich alsbald bestätigt: Auf der Jagd nach Herzen beginnt Anna nach drastischen Mitteln zu greifen und macht auch vor Gewalt nicht halt. Den Verfolgern scheint es zu gefallen beziehungsweise stellt sich endlich die ersehnte Aufmerksamkeit ein.
Die Welt von morgen schon heute
Wer in dem Spiel um Herzen eine Verwandtschaft zu aktuellen sozialen Medien erkennt, der liegt richtig. Auch wenn Drexler und Trotter, die Welt, in der die Handlung angesiedelt ist, nicht näher beschreiben – die Funktionsmechanismen und deren Wirkungsweise auf das Individuum (das nicht selten Selbstverwirklichung mit Selbstdarstellung zu verwechseln scheint) werden trotz allem nicht selten philosophisch unterfuttert offen gelegt. Für ernsthafte Inhalte und Kritik scheint hier wie dort wenig Platz. „Es gab immer genug Zweifler – nur denen folgt halt niemand“, lassen die Autoren den in der realen Welt von Maulwürfen geplagten Elias sagen. Den Revolver hat er schussbereit. Die Revolution erfolgt letztendlich mit Gewalt. Der Preis: ein hoher. Diskussionsbedürftig.
Mehltau
Noch von 18. bis 21. Jänner 2018
Theater Brett
Münzwardeingasse 2
1060 Wien
www.mehltau.at
© Fotos: Patrick Trotter
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