Als Schauspieler und Gründungsmitglied der „English Lovers“ hat der gebürtige Amerikaner und Wahlwiener Jim Libby bereits Hunderte von Stunden auf Wiens Bühnen den Menschen die Kunst des Improvisationstheaters nähergebracht. Im Bereich Radio und Fernsehen hat er mit seinen Improtheater-Stücken Pionierarbeit geleistet. Aktuell ist die mit Studenten unter seiner Ägide entwickelte Show „Rückwärts in die Zukunft“ im Max Reinhardt Seminar zu sehen.
Ein Anlass für die Kulturfüchsin den rede- und bewegungsfreudigen Künstler zum Gespräch zu treffen. Ein Interview über Werkzeuge, den Zwang zu tanzen und warum jeder beim Improtheater etwas lernen kann.
Zunächst einmal bin ich mir nicht sicher wie viele Menschen mit dem Begriff des Improvisationstheaters – kurz Improtheater – tatsächlich etwas anfangen können. Könntest du vielleicht die wesentlichen Unterschiede zu klassischen Theaterformen skizzieren? Welche sind die verbreitetsten Improtheater-Richtungen hierzulande?
Vor allem wettbewerbartige Shows, kurze sketchartige Sachen, sind weit verbreitet und erfreuen sich auch in Österreich großer Beliebtheit. Das Ganze wird oft als Theatersport bezeichnet und ist mittlerweile ein bisschen zum Überbegriff für Improtheater geworden – so wie die Marke Hoover für Staubsauger. Daneben existieren diverse Langformen, bei denen Schauspieler eine längere Geschichte improvisieren. Diese Geschichte kann aus mehreren zusammengeflickten Geschichten bestehen, linear oder nicht linear sein. Sie kann sich wie ein Hörspiel anhören oder es kann sich um ein Tanztheater-Stück handeln, eine romantische Komödie oder eine zutiefst traurige Tragödie. Das kann eine Geschichte sein, wo Non-Stop gesprochen wird oder wo eineinhalb Stunden niemand spricht. Es kommt immer darauf an wer es macht. Ich sage oft, dass textbasierte Theater fängt mit Wörtern an und findet dann zur Bewegung und zur Emotion. Im improvisierten Theater ist es umgekehrt. Man fängt mit Emotion und Bewegung an und kommt so zu den Wörtern. Textbasiertes Theater versucht immer zu scheinen als ob etwas gerade passiert. Improvisiertes Theater tut das von Haus aus. Das Stück wird kreiert in dem Moment, in dem es aufgeführt wird. Improvisation ist im Grunde eine lose Sammlung von Ideen, Werkzeugen und Anwendungen, die man in einer gemeinsamen Unternehmung nutzt um etwas zu schaffen.
Was sind das für Werkzeuge und wie kann man den Umgang mit ihnen erlernen? Anders gefragt: Wie probt man für ein Stück, bei dem es keine fixen Abläufe gibt?
Unsere Arbeit ist vielleicht am besten vergleichbar mit einem Jazz-Musiker. Ein Jazz-Musiker hat ein Instrument. Zuerst lernt die Person ihr Instrument zu beherrschen. In unserem Fall sind der Körper und die Stimme dieses Instrument. Ich muss wissen wie Geschichten und dramaturgische Wendungen funktionieren, was die Facetten und verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten eines Monologs sind, wie eine Szene dramaturgisch funktioniert. Wenn ich mein Instrument beherrsche, lerne ich wie ich im Konzert mit anderen Leuten spielen kann. Das ist wie eine Bandprobe. Du kannst einen großartigen Jazzgitarristen haben, aber wenn er nicht hört wie der Bassspieler spielt, dann ist er kein guter Musiker. Was wir proben ist in erster Linie das Zuhören. Wir lernen wie kann ich die Ideen von meinen Partnern und Partnerinnen akzeptieren und darauf aufbauen. Und vor allem: Wie kann ich mit der Angst vor der Ungewissheit, die vor mir liegt, umgehen.
Muss ich als Improtheater-Darsteller eigentlich eher ein furchtloser Typ sein, der ohne mit der Wimper zu zucken ins Ungewisse aufbricht oder kann ich das auch als ängstlicher Höhlenbewohner lernen? Gibt es Tricks? Und wie geht man mit der ständigen Gefahr des Scheiterns um?
Ich behaupte, jeder kann lernen Improvisationstheater zu spielen. Es gibt einen großen „Trick“ und der heißt üben. Das ist wie Yoga oder Fußball. Um Profi-Fußballer zu werden muss man ein bisschen Talent haben, aber vor allem Fleiß. Improvisieren ist kein gottgegebenes Talent. Manche Leute haben es leichter, weil sie von Haus aus Kommunikatoren und offen für Ideen sind. Andere sind ängstlich oder Grantler. Viele schauen etwas an und sagen, das könnte ich nie, aber sie haben es noch nie probiert. Die Frage des Scheiterns ist insofern berechtigt, da ein Großteil der Faszinationen des Improvisationstheaters darin besteht, dass es ein Hochseilakt ist, bei dem in jedem Moment etwas passieren kann – so wie beim Sport, plötzlich crasht es. Aber ich verstehe nicht wieso die Leute glauben textbasiertes Theater sei mehr abgesichert. Das kann genauso in die Hose gehen. Fakt ist, ich habe seit Jahren nie Lampenfieber, weil ich weiß, unser Stück wird in dem Moment kreiert, wo wir es aufführen – da kann eigentlich nichts schiefgehen. Wenn etwas passiert ist es Teil der Show. Es ist unser Ego, unsere Angst, die uns sagen: es kann immer schiefgehen, was ist wenn ich etwas falsch mache? Jeder Mensch hat Angst. Wenn wir keine Angst hätten, müssten wir nicht proben. Die Angst ist ein Teil von unserer DNS. Wir werden sie nie los werden. Aber das ist okay, weil die Angst uns am Leben hält. Was wir tun können, ist mutig werden. Mut ist nicht ohne Angst zu leben. Mut ist, Angst zu haben und trotzdem vorgehen.
Würdest du sagen, dass in heutigen Zeiten der Verunsicherung und Angst es uns allen gut tun würde uns im Improtheater zu versuchen? Improtheater sozusagen als Basiskurs im menschlichen Umgang miteinander in der Schule ….
Ich würde es lieben Improvisation als das neue Yoga zu erleben, weil es ebenso unseren Körper wie unseren Geist anspricht. Wir benutzen dabei sowohl unseren Körper wie unsere Intelligenz – auch unsere emotionale Intelligenz. Wir lernen Weisheiten, wir probieren Sachen und haben die Chance wenn wir auf die Nase fliegen es im gesicherten Rahmen nochmals zu probieren. Wenn ich so lernen kann wie ich besser im Leben durchkomme, warum nicht. Die Ideen des Improtheaters sind vielfältig anwendbar. Jede Konversation, die wir im Leben haben ist improvisiert.
Du unterrichtest dieses Jahr zum ersten Mal am Max Reinhardt Seminar. Kannst du uns etwas über die Aufführung von „Rückwärts in die Zukunft“ verraten? Inwiefern ist das ein politisches Statement?
Der Titel des Stücks kommt von einer Idee der Zukunft. Unser Bild von der Zukunft ist heutzutage, dass sie vor uns liegt. Die alten Griechen hatten ein passenderes Bild. Sie haben gedacht, dass die Zukunft hinter uns ist und an uns vorbeirauscht und wir sie deswegen nicht sehen können. Wir sehen sie erst, wenn sie da ist. Keiner von uns weiß wohin es geht. Wir alle gehen rückwärts in die Zukunft. Am Anfang der Show steht die Neugierde. Prozess pur, Theater pur. Wir fangen irgendwo an und wir wissen nicht wohin wir gehen und am Ende wissen wir alles.
Welche Rolle spielt der Humor beim Improtheater? Gerade bei auf Zuschauerzwischenrufe reagierende Formen lieben es die Leute die unmöglichsten Begriffe einzuwerfen …
Dadurch, dass viele Leute mit improvisiertem Theater diese kurzen lustigen Sachen in Verbindung bringen, glaubt man oft, improvisiertes Theater ist Comedy – aber das stimmt nicht. Für mich ist Theater erstens da um zu unterhalten und zweitens um zu berühren. Geschichten sind Metaphern für unsere Leben. Ich glaube, wenn etwas nur lustig ist, kann es super sein, wenn etwas nur traurig ist, kann es super sein, aber man braucht beides. Dann kann etwas hängen bleiben. George C. Scott, ein berühmter amerikanischer Schauspieler, hat einmal gesagt, wenn wir unseren Job richtig machen kreieren wir Erinnerungen, die ein Leben lang halten. Improvisiertes Theater ist ein Prozess. Es ist sehr schwierig über Prozesse in unserer Gesellschaft zu reden, weil wir in sehr produktzentrierten Zeiten leben. Aber es ist der Prozess, der Erinnerungen erzeugt. Die Ästhetik, die wir für unsere Show anstreben, ist zum Brunzen lustig und herzzerreißend schön. Der zweite Teil von dem Zitat lautet: „und wenn wir es nicht gut machen, dann stehen wir für einen Moment blöd da.“ Vielleicht schaffen wir an dem Abend beides.
In „Rückwärts in die Zukunft“ stehen sieben SchauspielerInnen und ein Musiker auf der Bühne. Gibt es eine perfekte Ensemblegröße für eine Improtheateraufführung?
Es gibt es keine perfekte Größe oder es gibt sie, aber die ist für jeden Abend anders. Ich habe Shows gespielt wo ich alleine mit einem Musiker auf der Bühne stand und ich habe Shows gespielt wo 20 Leute auf der Bühne waren.
Welche Rolle spielt die Musik?
Ich bin sehr froh, dass wir für „Rückwärts in die Zukunft“ den Musiker und Komponisten Belush Korenyi, mit dem ich schon sehr oft bei den English Lovers zusammengearbeitet habe, gewinnen konnten. Die Musik ist genauso wie das Licht ein Spieler. Der Mann fürs Licht, Thyl Hanscho, ist Regie-Student und hat eine ähnliche Funktion wie der Cutter im Film. Licht und Musik haben auf den Verlauf des Stückes große Auswirkungen. Das Einzige, das an den Abenden im Max Reinhardt Seminar unwichtig ist bin ich. Ich arbeite so, dass mich die Studenten nicht mehr brauchen.
Ich habe gelesen, du hast mit „Time to Dance“ das erste vollständig improvisierte Radiodrama für die BBC entwickelt. Kannst du uns dazu ein bisschen etwas erzählen?
Ich war mit einem Freund, Julian Simpson, der viel für die BBC arbeitet, gemeinsam auf Urlaub und habe ihm von meinem improvisierten Spielfilm erzählt. Ein paar Monate später hat er mich angerufen und gefragt, ob ich nach London kommen möchte, um mit ihm ein Projekt fürs Radio zu machen. Als Inspiration haben wir einen Vorfall im 17. Jahrhundert, in der Gegend von Norddeutschland/Holland, verwendet, wo eine Frau angefangen hat zwanghaft zu tanzen und nicht aufhören konnte. Am nächsten Tag haben zehn Leute und dann Hunderte von Leuten zwanghaft getanzt. Am Ende der Woche begannen Leute zu sterben. Dieser Vorfall hat sich über die Jahre nicht nur in dieser Gegend wiederholt. Das gibt es im Übrigen heute noch. In Kenia gab es vor ein paar Jahren einen Vorfall, wo in einer Schule ein paar Mädchen angefangen haben zu lachen. Irgendwann haben die ganze Schule und dann das ganze Dorf gelacht. In Thailand kommt es vor allem in Fabriken vor, dass die Leute zwanghaft anfangen zu zucken. Das ist wie ein Virus. Wir haben ein Stück in der Jetztzeit daraus gemacht, in dem wir behauptet haben, dass ein paar Leute in der Southbank angefangen haben zu tanzen. Wir haben so darüber berichtet als ob es gerade tatsächlich passiert. Nachdem wir einen Tag über diesen Vorfall geredet haben, sind wir ins Studio gegangen um unsere Ideen gemeinsam mit einer Band aufzunehmen. An dem Tag, an dem es ausgestrahlt wurde, gab es Tausende von Tweets, wo Leute gefragt haben, ob das echt passiert. Für viele klang das trotz innerer Monologe und Hintergrundmusik wie die News, weil wir Robin Lustig, den berühmten Nachrichtensprecher der BBC, mit an Bord hatten.
Du bist außerdem Gründungsmitglied der English Lovers, die es mittlerweile seit fast 20 Jahren gibt. Was hat sich in den letzten Jahren verändert? Was würdest du dir für die Zukunft wünschen?
Die English Lovers sind unser Herzprojekt. Obwohl wir alle verschiedene Projekte haben, kommen wir immer wieder zurück. Wir alle haben Arbeit davon bekommen. Leute, die eine Show schauen und sagen ich brauche kein Casting, weil ich weiß, ich will diesen Typen haben. Was hat sich geändert? Wir sind ein bisschen weniger schlecht. Was wünsche ich mir? Dass wir weiter machen können und noch ein bisschen weniger schlecht werden.
Noch eine Frage am Ende: Wie hat deine Leidenschaft für das Improvisationstheater angefangen?
Als ich nach Österreich gekommen bin war ich Mitbegründer des Urtheaters. Das war eine Gruppe von Schaupielerinnen und Schauspielern, die sich wöchentlich in einer Art „ActorsGym“ getroffen und einander beim Vorsprechen geholfen haben. Irgendwann ist jemand mit einem Buch gekommen und hat gefragt, ob wir Improvisation probieren sollen. So bin ich dahinter gekommen, dass ich längst regelmäßig improvisiert habe, ohne es zu wissen. Ich habe zum Beispiel einen Sommer Gitarre auf der Straße gespielt und die Leute mit einem Schild dazu aufgefordert: „Give me a subject and a style of music and I’ll create a song für you“. Ich habe einen Job in Boston gemacht, wo wir zu einem Thema etwas spielen sollten und die Autoren haben sich Notizen gemacht um anschließend Stücke zu schreiben. Ich wusste nicht, dass das Improvisieren war. In Österreich habe ich herausgefunden, dass es ein ganzes Vokabular dafür gibt und gescheite Leute gescheite Sachen dazu geschrieben haben. Diese jahrhundertealte Tradition, das hat mich fasziniert.
Zur Person Jim Libby wurde in Maine/USA geboren und lebt als Schauspieler und Regisseur in Wien. Er trat in einigen der bedeutendsten Theater Europas auf, unter anderem an der Wiener Volksoper, im Volkstheater, im Berliner Admiralspalast, im Würzburger Stadttheater und in den Londoner Ealing Studios. Er arbeitete kontinuierlich für Film und TV sowie als Schauspieler und Sprecher in mehreren preisgekrönten Filmproduktionen. Er ist Gründungsmitglied der English Lovers. Sein Film „Another One Opens“ ist kürzlich auf DVD erschienen.
Rückwärts in die Zukunft
Mit Eva Dorlass, Maximilian Herzogenrath, Nélinda Martinez, Nick Alexander Pasveer, Sophie Reiml, Maren-Sophia Streich, Yannik Schöbi
Regie: Jim Libby
Regieassistenz und Inspizienz: Thyl Hanscho
Musikalische Einrichtung: Belush Korenyi
Licht: Gerhard Fischer
Neue Studiobühne im Max Reinhardt Seminar, 1140 Wien, Penzinger Straße
1. bis 4. März 2017, jewils 19.30 Uhr
Karten unter [email protected] oder 01 – 711 55 – 2802
Eintritt: freie Spende
© Fotos: Belush Korenyi; Anna Blau
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