Auf der Simmeringer Had hat es bekanntlich so manchen Schneider verwaht. Selbst schuld, hätt´ er sich halt ein Bügeleisen eingesteckt. So lautet die schnoddrige Schlussfolgerung der bodenständigen WienerInnen zu diesem alteingessenen wie ebenso holprigen Schüttelreim.

Luftturbulenzen gibt´s im 11. Wiener Gemeindebezirk, in der Vorstadt sozusagen, natürlich immer noch. Doch Schneider wird schon längst keiner mehr verweht. Frischen Wind gibt´s dafür erfreulicherweise in der abseits von den US-Laberlbratern, Kebab-Buden und Würstelständen agierenden Wirtshaus-Gastronomie. Nicht, dass eine Abkehr von der überall noch immer stark verbreiteten Wiener Küche in den Kopftöpfen der zahlreichen Wirte und/oder der die Kochlöffel schwingenden Chefs de Cuisine erfolgt wäre, doch das klassische Angebot wird heutzutage da und dort mit verfeinerten Noten komponiert. Kreativität als Symbiose mit der Ursprünglichkeit und der Kontinuität. Ein durchaus überzeugendes Überlebensrezept im Kampf gegen die einerseits wie Schwammerln aus dem Boden schießenden Fast-Food-Lokale und -Buden und andererseits die Hauben- und Sterne-Tempel jenseits der Vorstadt-Bezirksgrenzen in Richtung Stadtzentrum.

Ein Geheimtipp der keiner mehr ist

Den weit über den Bezirkshorizont bekannten Urklassiker der Wiener Küche „Barbanek“ in der Fuchsröhrenstraße 13 ist leider zum Bedauern seiner großen Genießerschar schon vor längerer Zeit einer Wohnhausanlage gewichen, dafür machen einige andere klassische Gasthäuser verstärkt auf sich aufmerksam. Eines davon ist das Gasthaus Stern in der Braunhubergasse 6, bloß eine Steinwurfweite von der U3-Station Simmering entfernt. „Ein Stern unter den Vorstadtgasthäusern“, so lautet das Motto des Eigentümers der Einkehrstätte Christian Werner. Früher als Geheimtipp gehandelt, ist dies das Gasthaus schon längere Zeit nicht mehr. Es hat sich einen guten Namen gemacht.

Hier ist in der Tat nomen est omen. Wer dort Leib und Seele stärken will, kann tatsächlich so etwas wie eine Sternstunde der Wiener Küche mit ihren vielschichtigen Facetten erleben. Auf der umfangreichen (Tages)Karte befindet sich nahezu alles, was das Feinschmeckerherz begehrt. Klassiker, wie der Zwiebelrostbraten, das Wiener Schnitzel vom Schwein, Schweins-Fledermaus, Tafelspitz, Altwiener Backfleisch, Schulterscherzl, Saftgulasch, Backhenderl, Beinfleisch, Eiernockeln, Specklinsen mit Serviettenknödel sind ebenso aufgelistet wie geröstete Knödel mit Ei, Gemüsegröstl etc. Letzteres allerdings in leicht asiatischer Variante mit gebratenem Tofu.

Genusstempel für Freunde der Innereien

Zahlreiche Schlemmer zieht es aber auch und vor allem wegen der umfangreich angebotenen Innereienköstlichkeiten zum Stern von und in Simmering. Gebackenes Kalbsbries, gebratene Kalbsnierenscheiben gebackene oder geröstete Kalbsleber, Kalbshirn mit Ei, Beuschl vom Bio-Kalb, gebackene Hühnerleber etc. etc. zieren die Menükarte ebenso wie nicht zuletzt Schweinsnieren. Diese Abteilung der Speisekarte liest sich wie ein who is who der Innereien.

Unsere sechsköpfige Gästegruppe delektierte sich unlängst unter anderm an Kürbiscremesuppe, Beef Tartar, Cordon bleu von der Hühnerbrust, gebratene Hühnerbrust auf den leicht kernigen Punkt gekochtem Risotto, gebackenes Kalbsbries, Kalbsbeuscherl. Alles fein angerichtet, sehr gut mundend. Auch die Desserts waren zu unserer Zufriedenheit. Wobei die Salzburger Nockerln nicht nur ihres ausgezeichneten Geschmacks wegen gelobt, sondern auch vor allem gemeinsam mit den hausgemachten Cremeschnitten aufgrund ihrer Monumentalität optisch ins Auge stachen. Der „handmade“ Blätterteig der Cremeschnitten ist zentimeterhoch, luftig und wohlschmeckend, die Creme mit nicht zuviel Schlagobers angereichert.

Summa summarum: Alles wohlschmeckend und wohlproportioniert und nicht zu über drüber üppig. Dennoch nach dem Genuss des Menüs hinsichtlich der Schwerkraft bodenhaftend um von heftigen Simmeringer Windstößen nicht verweht zu werden.

Umfassendes Getränkeangebot

Für die Liebhaber des Gerstensaftes gibt es ein vielfältiges Angebot, wobei das hausgemachte Bier bei uns die Favoritenrolle einnahm. Die umfangreiche Weinkarte, nahezu in Form eines Konvoluts, enthält Namen sämtlicher heimischer Winzer mit Rang und Namen – de facto aus allen Weinbauregionen Österreichs.

Das Ambiente des Lokals ist durchaus als einladend zu bezeichnen. Die optisch nicht aufdringliche Holzvertäfelung sowie der Holzboden fügen sich nahtlos in das Design der schlicht gehaltenen übrigen Ausstattung ein. Der Service ist sachkundig, dabei freundlich ohne in irgendeiner Weise aufdringlich zu wirken. Das Preis- Leistungsangebot sehr zufriedenstellend.

Fazit eines gelungenen Besuchs: Ein bodenständiges, nicht abgehobenes Wohlfühllokal, ein Paradegasthaus in der Vorstadt, das sich im Vergleich mit teureren Gasthäusern beziehungsweise Restaurants in der City keineswegs verstecken muss, sondern sogar noch mit einigen „Goodies“ – wie unter anderem das in atmosphärischer Hinsicht bodenständige Publikum anstelle von kulinarischen Möchtegern-Bohemiens anderswo – zusätzlich punkten kann.

Stern Gasthaus Christian Werner
Braunhubergasse 6
1110 Wien
Öffnungszeiten: täglich von 9 bis 23 Uhr mit Küche von 11 bis 22 Uhr.
Tel.: +43 (0)1 7493370
www.gasthausstern.at
[email protected]

© Fotos: Christian Werner

Geschrieben von Stefan Weinbeisser