Stellenweise mutet der Abend an wie wenn man sich durch seinen News Feed auf Facebook scrollt. Zustandsbeschreibungen von Immobilien treffen auf kurze Einblicke in prekäre Familienverhältnisse. Halbwissen zur Herkunft von Fair-Trade-Schokolade auf wütende Schimpftiraden über protzige SUV-Fahrer, die bei Regen durch Wasserlacken rasen und sich einen Dreck um Passanten scheren. Klingt banal, wäre es auch – würde sich das Ganze nicht wunderbar auch als Gleichnis anbieten. Denn banal ist bei Martin Gruber – der mittlerweile seit 30 Jahre das aktionstheater ensemble in wechselnder Besetzung leitet – nichts. Im Gegenteil: mitten hinein in die moderne Zivilgesellschaft ging es in der Vergangenheit mit „Jeder gegen Jeden“,„Angry Young Men“ oder „Kein Stück über Syrien“ (ausgezeichnet mit dem Nestroypreis 2016). Es ist längst kein Geheimnis mehr: das aktionstheater ensemble ist politisch, auch – oder gerade wenn – es wie im aktuellen Stück „Wie geht es weiter – die gelähmte Zivilgesellschaft“ um das Essen von (Milka)-Schokolade geht.

Von Schokolade, Afrikahilfe und Grundbesitz

Von dieser nämlich kann Ensemblemitglied Benjamin Vanyek nicht genug bekommen. Doch was tun, wenn die geliebte Noisette mittlerweile in den Besitz von Nestlé übergegangen ist – eine Firma, die für ihre ausbeuterische Praktiken bekannt ist. Nur allzu leicht lässt sich das schlechte Gewissen jedoch beiseite schieben. Man kann sich schließlich nicht um alles kümmern. „Ich versuche mich gerade vom Zucker zu befreien – da kann ich nicht auch noch an Afrika denken“, bekennt Schoko-Liebhaber Benjamin inmitten seiner Rückfälligkeit.
Die Rolle der gescheiterten Möchtegern-Entwicklungshelferin wird ohnedies von Michaela Bilgeri übernommen. Doch auch bei ihr stellt sich bald eine gewisse Lähmung ein – auch wenn das selbst auferlegtes Motto „Ein bisschen geht immer noch“ lautet. Es lässt sich vermuten, in Zeiten der Selbstausbeutung geht dieses bisschen bis ins Burnout weiter. Von diesem scheint heute gar keiner gefeit. Auch nicht Maria Fliri, die emotional unter ihrem Besitz zu leiden hat. Zu viele Erinnerungen seien mit dem Grundstück in Gmund an ihrem Ex-Mann verbunden. Nach Afrika würde sie nie fahren – sie habe ja hier schon mehr als alle anderen.

Einen erhobenen Zeigefinger wird man im Stück trotz sämtlicher vorgetragener Wohlstandsproblemchen nicht finden. Und doch scheinen gerade diese Teil des Problems zu sein, wenn „der eigene Leidensdruck noch zu gering ist, um gegen einen gefährlich infantilen Rechtspopulismus und Nationalismus aufzubegehren. Eine Gesellschaft, die das Opponieren den Kids von „Fridays for future“ überlässt“, so Martin Gruber im Programmheft.

v.li.n.re: Benjamin Vanyek, Thomas Kolle,Maria Fliri, Fabian Schiffkorn, Andreas Jähnert und Michaela Bilgeri © Stefan Hauer

Aus dem (eigenem) Leben

Den Stoff für das Erzählte fanden die SchauspielerInnen wie auch schon in den vorangegangenen Stücken bei sich selbst sowie im näheren Umfeld – so sind die Arbeiten des aktionstheaters ensembles zumeist eine Mischung aus O-Ton-Aussagen der Beteiligten, dokumentarischem Material und Autorentexten. Dabei setzen Gruber und sein Team auch bei „Wie geht es weiter – die gelähmte Zivilgesellschaft“ in gewohnter Weise auf Vermittlung durch Humor – oftmals skurril überzeichnet geht es „nicht darum, den politischen Status Quo auf die Bühne zu bringen. Das wäre langweilig und wohl wenig ergiebig. Was derzeit passiert, sieht unser Publikum ja ohnehin selber. Die spannende Frage ist vielmehr Stimmungen nachzufühlen, die zu diesen Zuständen geführt haben“, so Gruber.

Das Ergebnis ist ein kurzweiliger Abend, der wie im Flug vergeht. Mit der wunderschönen Stimme von Pete Simpson lässt sich als ZuseherIn für kurze Zeit beinahe sogar dem irdischen Treiben mit seinen eigenen Problem(ch)en entschweben. Ob man wieder zurück im Hier und Jetzt zukünftig beim Kauf von Schokolade darauf achtet, wer sie wie wo produziert hat, bleibt jedem/jeder selbst überlassen.

Wie geht es weiter – die gelähmte Zivilgesellschaft 
Uraufführung von Martin Gruber und aktionstheater ensemble
Koproduktion mit der Landeshauptstadt Bregenz/Bregenzer Frühling und in Kooperation mit Werk X
Oswaldgasse 35a, 1120 Wien
Weitere Termine:
Fr. 14. Juni, Sa. 15. Juni & So. 16. Juni jeweils 19:30 Uhr
www.werk-x.at

Geschrieben von Sandra Schäfer