Es ist kurz nach halb sieben Uhr abends. Während der letzte Kinogast im langgestreckten Kinosaal der Breitenseer Lichtspiele Platz nimmt, um sich Ernst Marischkas „Die Deutschmeister“ anzusehen, wendet sich Kinobetreiberin Mag. Anna Nitsch-Fitz in ihrem Arbeitszimmer ihren täglichen Geschäften zu – und dazu zählen eben manchmal auch Interviews mit Journalistinnen. Im März 2008 durfte ich die damals knapp 70-jährige Anna Nitsch Fitz in jenem Kino, das sie 53 Jahre führte, besuchen. Damals hatte sie allerhand zu tun. Neben der jährlichen Steuererklärung für das Finanzamt mussten auch erneut Förderanträge ausgefüllt werden. Für Frau Nitsch-Fitz allerdings kein Grund, in Panik zu geraten. Seit 1967 war sie im Geschäft und verfügte über genügend Erfahrung im Kinowesen. Sie sei in einem Kino aufgewachsen. Ihre Großmutter hätte ein kleines Lichtspielhaus in der Dimmgasse gehabt, erzählte sie mir damals. Später habe man dann ein größeres Kino in der Heiligenstädter Straße bezogen, welches sie selbst nach dem Tod der Großmutter für zwei Jahre geführt habe, bis es schließlich vom Vater verkauft wurde. Bald sei ihr das Kino jedoch abgegangen und so habe sie sich auf Kinosuche begeben.

Fündig wurde sie schnell und so wurden die Breitenseer Lichtspiele ihre neue Arbeits- und Wirkungsstätte. Damals wusste Frau Nitsch-Fitz noch nicht, dass sie das vermutlich älteste noch bespielte Kino der Welt betreibt. Dahinter gekommen sei sie aufgrund eines Zeitungsartikels, der das Münchner Gloria Kino zum 100. Geburtstag als ältestes Kino der Welt beglückwünschte, obwohl im Guiness Buch der Rekorde das Pionier in Stettin, gegründet 1908, als ältestes Kino der Welt angeführt wird. Die Breitenseer Lichtspiele wurden 1905 gegründet und scheinen damit das älteste noch bespielte Kino der Welt zu sein.
Die zur Bezeugung erforderlichen Papiere seien allerdings 1938 nach Berlin verfrachtet worden und dort verschwunden. Eine Urkunde von der Kammer zum 100-jährigen Bestehen des Kinos und sämtliche Almanache zu österreichischen Lichtspielhäusern gehen jedoch von ebenjenem Gründungsdatum aus, wie die ehemalige Gymnasiallehrerin mir damals berichtete. Auch über die Geschichte der Breitenseer Lichtspiele wusste Frau Nitsch-Fitz bestens Bescheid. Ihren Anfang nahmen diese als Zeltkino der Familie Guggenberger. Als dann ein Haus auf dem Grundstück gebaut wurde, haben diese sich für ein Kino beworben. Später verkaufte die Familie das Kino an Frau Wolfschütz und ihren Mann Herrn Grün, der es bis zu seinem Tod 1938 führte. Von Frau Wolfschütz-Grün habe sie damals das Kino 1969 übernommen.
Während des Zweiten Weltkriegs hatten auch die Breitenseer Lichtspiele düstere Zeiten zu überstehen. Frau Wolfschütz soll trotz des Krieges immer noch Juden in das Kino gelassen haben. Möglicherweise, um keinen Verdacht zu erregen, sei sie der NSDAP beigetreten, mutmaßte Frau Nitsch-Fitz damals. Etwas, das dann aber 1945 für Schwierigkeiten gesorgt habe. Das Kino stand zwei Jahre lang in öffentlicher Verwaltung bevor es wieder an Frau Wolfschütz zurückgegeben wurde.

Heute steht das Kino längst wieder allen offen und verfügt nach wie vor über ein abwechlungsreiches Programm. Seit 20 Jahren werden hier auch wieder Stummfilme gegeben. Immer wieder wurde das Kino selbst Schauplatz diverser Filmdrehs – von Franz Antels „Der Bockerer 1. Teil“ bis Peter Patzaks „Phönix an der Ecke“. 2018 wurden Teile für den Dokumentarfilm „Kino Wien Film“ hier gedreht. Im Jahr 2019 wurden im Rahmen der Jubiläumsgala 110 Jahre Breitenseer Lichtspiele am festen Standort und 50 Jahre Kinobetrieb durch Anna Nitsch-Fitz ihr Lieblingsfilm „La Strada“ von Federico Fellini gezeigt.
Auch wenn sich Frau Nitsch-Fitz heute nicht mehr unermüdlich auf den Weg macht, die Türe zum Saal zu öffnen um sich von den, an manchen Abenden nur zwei bis drei Gästen zu verabschieden, sollen die Breitenseer Lichtspiele auch weiterhin in ihrem Sinn erstrahlen, verkündete man zum Tod der unermüdlichen Kinobetreiberin auf der Facebook-Seite der Breitenseer Lichtspiele. Aktuell wartet man hier unter anderem mit Houchang Allahyaris und Babak Behdads Film „7 Stories About Love“ und Jens Meurers „An Impossible Project“ auf. Und auch Stummfilmpianist Gerhard Gruber und Stummfilmerzähler Ralph Turnheim sorgen im März wieder mit ihren ungewöhnlichen Vertonungen für den einen oder anderen unterhaltsamen Filmabend.

Breitenseer Lichtspiele
Breitenseerstraße 21 1140 Wien
www.breitenseer-lichtspiele.at

Titelbild: breitenseer Lichtspiele. Quelle: Wikipedia (Manfred Werner)

Geschrieben von Sandra Schäfer