Von 8. bis 15. Juni bietet das Festival einen Überblick über aktuelles aber auch vergangenes Filmschaffen und sorgt damit für einiges Stoff zum Nachdenken aber auch zum Schmunzeln.

Die Kulturfüchsin hat die Gelegenheit genützt und pünktlich zu Festivalbeginn Kurator Francesco Bono ein paar Fragen gestellt. Ein Gespräch über das diesjährige Programm, neue Tendenzen und alte Traditionen im italienischen Kino.

Herr Bono, seit wann kuratieren Sie die Filmschau, wie gehen Sie bei der Auswahl vor und was erwartet uns dieses Jahr?

Wir das heißt, meine zwei Kollegen Franco Montini und Piero Spila von der Associazione „Made in Italy“ und ich organisieren das Festival in Wien seit 2001. Ein Teil der Filmschau läuft neben Wien, Innsbruck und Graz auch noch in 30 Städten in Deutschland sowie in der Schweiz. Das Gesamtprogramm – heuer sind das elf Filme – unterteilt sich in zwei Schienen. Das Herz des Festivals bilden neue Produktionen aus den letzten ein, zwei Jahren. Dieses Jahr eröffnen wir mit Marco Bellocchios Literaturverfilmung „Fai bei sogni“, die bei uns seine Vorpremiere erleben wird, bevor sie offiziell in den österreichischen Kinos startet. Das ist allerdings eher die Ausnahme. Uns ist es vor allem wichtig Filme zu zeigen, die noch keinen Verleih in Österreich gefunden haben. Viele der Produktionen, die bei unserer Filmschau „Nuovo Cinema Italia“ laufen, schaffen Dank unserer Initiative doch noch den Sprung ins Kino. Eine zweite Schiene bilden jedes Jahr ältere Arbeiten. Dabei kann es sich um eine Hommage oder um einen Themenschwerpunkt handeln. 2017 haben wir Venedig in den Fokus gestellt.

Gab es dafür einen besonderen Anlass?

Wir finden Venedig ist nach wie vor eine schöne Stadt, die nicht zuletzt natürlich mit einer wunderbaren Filmkulisse aufwarten kann. Gerade das österreichische Publikum hat mit Venedig eine starke Verbindung. Aber es war uns wichtig auch das andere Venedig zu zeigen, abseits touristischer Klischees. Im Programm befindet sich mit „Das Venedig Prinzip“ auch eine Deutsch-österreichische Produktion sowie der Klassiker „Pane e tulipani“ von Silvio Soldini aus dem Jahr 2000.

Ich habe den Eindruck, dass sich der Fokus dieses Jahr generell – auch bei den Filmen der Gegenwart – stark auf den Norden Italiens richtet. War das Absicht?

Das ist eher Zufall. Wir haben uns natürlich auch heuer bemüht ein facettenreiches Programm zusammenzustellen. Aber wir müssen eine Auswahl von sieben bis acht Filmen treffen. Da wäre es falsch etwas zu zeigen, das uns nicht wirklich überzeugt hat, nur weil wir nicht wollen, dass die eine oder andere Region zu kurz kommt.

Mit Claudio Caligaris „Non essere cattivo“ und Giuseppe M. Gaudinos „Per amor vostro“ sind erneut Rom und Neapel als Schauplatz vertreten. Ich nehme an beide Städte sind nach wie vor wichtige Zentren des italienischen Films …

Auf jeden Fall. Rom ist allerdings schon lange nicht mehr jenes Filmzentrum, das es früher einmal war. Diese Vormachtstellung, die die Stadt mit der Gründung der „Cinecittà“ erlangt hat, hat sich spätestens in den 80er-Jahren mit den letzten Werken von Fellini verlaufen. Das hat mehrere Gründe. Zum einen wird mehr on Location gedreht, das heißt die Filmemacher haben verstärkt, auch aus Kostengründen, das Atelier verlassen, zum anderen hat sich in den 90ern Turin zunehmend als starkes Zentrum herausgebildet. Was zusätzlich interessant ist, weil die italienische Filmproduktion eigentlich in Turin begonnen hat und sich erst in den 1910er, 1930er Jahren nach Rom verlagerte. Neben diesen soeben genannten Städten sind heute Sizilien – und ich denke jetzt nicht nur an Giuseppe Tornatore – und Apulien zu wichtigen Zentren geworden.

Weil sie Tornatore erwähnt haben: Seine Filme sind auch im Ausland äußert beliebt. Inwieweit sind oder waren die Filme, die Sie beim Festival zeigen, in Italien Publikumshits? Sind italienische Kinoerfolge – ich denke zum Beispiel an Publikumsmagnet Cecco Zalone, von dem Sie oder besser mit dem Sie, glaube ich, noch nie einen Film beim Festival gezeigt haben – auch im Ausland ein Garant für ein zufriedenes Publikum? Oder gibt es Sachen, die hier einfach nicht funktionieren?

Die Filme, die wir im deutschsprachigen Raum zeigen sind allesamt im italienischen Kino gelaufen. Natürlich war nicht allen der gleiche Erfolg beschert. Warum ist schwer zu sagen, da gibt es unterschiedliche Faktoren, die das beeinflussen: in welchen Kinos werden sie gespielt, sind sie in einer ungünstigen Jahreszeit angelaufen usw. Was die italienische Kinolandschaft betrifft gibt es, denke ich, wenig Unterschiede zu Österreich. Aber es gibt durchaus Sachen, die hier beispielsweise nicht verstanden werden. So wie der Lustspielfilm beispielsweise – damit meine ich das urtypisch komische, der Humor, der jedem Volk zu eigen ist. In Italienisch unterscheiden wir in das „cinema comico“ und die „commedia“. Die Komödie ist sicherlich eine Stärke des italienischen Films, die auch im Ausland starke Anerkennung findet. Ein schönes Beispiel für eine Komödie, die wir heuer zeigen ist „Se Dio vuole“, der Erstling von Edoardo Falcone, der auch in Österreich bereits einen Verleih gefunden hat. Eine gute „commedia“ muss immer auch gesellschaftskritisch sein. Da gibt es sicherlich nach wie vor eine starke Tradition mit Filmen, die sowohl humorvoll als auch gesellschaftskritisch sind. Nanni Moretti beispielsweise oder Paolo Virzì. Diese Regisseure knüpfen durchaus an die Filme der 60er und 70er Jahre von Dino Risi oder Mario Monicelli an. Das sind alles Filme wo gelitten aber trotzdem gelacht wird – Komödien auf italienische Art, die aber dadurch auch die Fähigkeit haben das Land widerzuspiegeln. Das mögen die Leute auch hierzulande: Filme, die vom Leben erzählen. In Deutschland gut beim Publikum angekommen ist zum Beispiel „Lea“. Tullio Giordana ist ein älterer Regisseur mit viel Erfahrung, der mit dem Film ein hochaktuelles Thema behandelt. Das Werk beruht auf einer wahren Geschichte.

Im Film geht es um die Mafia und wie gefährlich es ist sich gegen sie zu stellen – ein Thema mit dem das österreichische Publikum nicht zuletzt dank Filmen wie „Gomorrha“ bestens vertraut ist. Eine Art von Film, die im Ausland nach wie vor Verbreitung findet. Inwieweit lebt in solchen Filmen nicht zuletzt die Tradition des Neorealismo weiter?

Gomorrha war in vielerlei Hinsicht ein ungemein wichtiger Film. Man kann durchaus sagen, dass er einige Gemeinsamkeiten mit den Filmen aufweist, die unter dem Label Neorealismo laufen. Matteo Garrone hat zum Beispiel Laien als Schauspieler benutzt. Aber auch das Drehen vor Ort. Das heißt der Film wurde tatsächlich dort gedreht, wo die Camorra regiert, was natürlich mit Schwierigkeiten verbunden war. In der italienischen Filmkultur ist es üblich einen Blick auf die Realität zu werfen, dieses in die Tiefe gehen, zu den Wurzeln vordringen, ist Teil unseres filmischen Erbes. Von Garrone ist übrigens auch der Film „Terra di mezzo“ (Halbwelt, Anm. d. Red.), ein Ausdruck, den mein Kollege Piero Spila für die Beschreibung des diesjährigen Programms verwendet hat. Einer der meisterwarteten Filme der letzten Jahre, der zuvor bereits erwähnte „Non essere cattivo“ von Claudio Caligari, bezieht sich auf die kulturelle und soziale „Terra di mezzo“. Ein in vielerlei Hinsicht extremer Film, zum einen wegen seines Themas und der Hoffnungslosigkeit, die er zu vermitteln scheint.

Trotz gewisser thematischer Dauerbrenner haben Sie in den letzten Jahren eine Veränderung oder Zunahme bestimmter der Themen im italienischen Kino bemerkt? Wenn ich an die Zeit von Berlusconi denke ist auffällig, dass es eine Reihe von Arbeiten gab, die sich mit der Verdummung der Bevölkerung und der Macht der Medien beschäftigten …

Berlusconi hat sich nie sehr für den Film interessiert. Das Publikum, das man damit erreicht ist zu klein um Kontrolle auszuüben. Mit Film kann man keine so starken Meinungsänderungen herbeiführen wie mit dem Fernsehen. Hätte Berlusconi nicht regiert, hätte der italienische Film sich kaum anders entwickelt. Wir dürfen nicht vergessen, dass eben auch ein Film wie Gomorrha in jener Zeit entstanden ist. Wenn Sie mich fragen, welche Themen in den letzten Jahren wichtig geworden sind, so sind das jene, die derzeit auch unsere Gesellschaft beschäftigen: Migration und Kriminalität. Aber auch Konjunkturabschwung, die Unsicherheit der Jugend und soziale Unruhe. Alles Probleme, die in Italien sehr ausgeprägt sind. Was sich in der italienischen Filmproduktion heute weniger findet als früher, in den 60ern und 70ern, ist das Genrehafte, der Polizeifilm oder der Horrorfilm und von daher beim Festival so gut wie nicht vertreten.

Nuovo Cinema Italia. Italienische Filme der Gegenwart
8. bis 15. Juni 2017
Votiv Kino
Währingerstraße 12
1090 Wien
www.votivkino.at/nuovocinemaitalia/

Leokino
23. bis 29. Juni 2017
Anichstraße 36
Innsbruck
www.leokino.at/index.php?disp=events

Kiz Royal
Conrad-von-Hötzendorf-Straße 10
8010 Graz

Francesco Bono ist Professor für Film, Fotografie und Fernsehen an der Universität Perugia.
Er lebt in Rom, wo er 1964 geboren wurde. Hat von 1995 bis 2015 für die Tageszeitung 
la Repubblica geschrieben und kuratiert die italienische Festival-Tournee durch 
Deutschland Cinema! Italia! 
Publikationen u.a.: Casta Diva & Co.Percorsi nel cinema italiano fra le due guerre (2004), 
Kino. Il cinema in Germania dopo la riunificazione (2006), Willi Forst. Ein 
filmkri­tisches Porträt (2010); als Mit-Herausgeber: Tenöre, Touristen, Gastarbeiter. 
Deutsch-italieni­sche Filmbeziehungen (2011), Morte a Venezia. Thomas Mann/Luchino Visconti
(2014).

Geschrieben von Sandra Schäfer