Sind sie glücklich? fragt Schauspielerin Isabella Wolf von der Bühne in Richtung Publikum. Eine unkompliziert wirkende Frage und doch aufgrund der oftmaligen Unfähigkeit des Menschen das Glück zu finden oder es zuzulassen für viele nicht leicht zu beantworten, ja geradezu naiv. Bin ich glücklich? Was ist Glück? Kann der Mensch überhaut jemals glücklich sein? Kann man das Glücklichsein erlernen?
„Bringen Sie es uns bei“, bittet Wolf in der Rolle der Lisaweta aus Dostojewskijs Romanklassiker „Der Idiot“ eben diesen. Es ist nicht zu viel verraten: gelingen wird es ihm auch in dieser von Anna Marie Krassnigg ursprünglich für die Bühne des Thalhofs konzipierten Fassung nicht. Zu sehr scheinen die Figuren in ihren Unzulänglichkeiten gefangen. Daran kann auch ein Idiot wie Fürst Myschkin nichts ändern. Und das, obwohl der junge Mann seit seiner Rückkehr aus einer Schweizer Heilanstalt auf alle in seiner Umgebung eine starke Anziehungskraft ausübt. Als „großes Kind“, als ein im Herzen „reiner Tor“, bildet er einen Widerpart zu einer Gesellschaft, in der Klugheit und Gerissenheit, Coolness und Durchsetzungsvermögen als fortschrittliche Werte gelten. Eben das macht das 1869 erschienene Werk auch heute wohl noch brandaktuell.

Untergang statt Erlösung

Für Dostojewskij stellte die Erschaffung dieses Fürst Christus’, wie der Autor seine Hauptfigur selbst in einem Entwurf bezeichnete, eine seiner bis dato größten schriftstellerischen Herausforderung dar. Myschkin (hervorragend: Daniel Frantisek Kamen) zählt als Verkörperung des schönen, idealen Menschen zu den wenigen Figuren in Dostojewskijs Roman-Universum, die nicht im Zustand des „Nadryw“ leben – daher Menschen, die zur Exaltation, zur Selbstbestätigung durch Selbstzerstörung, neigen. Zu finden sind diese destruktiven Kräfte vor allem in der Figur der jungen Nastassja (Michaela Saba), eine Frau von zweifelhaften Ruf, in der Myschkin, der in allem Menschen stets das Gute sieht, eine starke Leidenschaft erkennt. In einer für seine Umwelt unverständlichen Geste bietet er ihr an sie zur Frau zu nehmen. Doch die mittellose Gespielin des Lüstlings Totzkijs (Horst Schily) gibt der leidenschaftlichen Hass-Liebe des Proleten Rogoschin (Murali Perumal) nach und schreitet erhobenen Hauptes weiter in den Abgrund. Zu schlecht ist ihre Meinung von sich, als dass sie den Antrag dieses „heiligen Idioten“ annehmen würde. Zu allem Überfluss beginnt sie zudem die Beziehung zwischen dem von ihr Verschmähten und Aglaja (Gioia Osthoff), der jüngsten Tochter eines entfernten Verwandten Myschkins, anzufeuern. Ein Unterfangen, das jedoch ebenso zum Scheitern verurteilt ist.

Zu sehen ist Nastassjas Treiben auf der Bühne nicht. Ihre Präsenz wird ausschließlich durch einen über der Bühne angebrachten Bildschirm erreicht. „Rings um Myschkin ist die Atmosphäre hell, beinahe fröhlich. Rings um Natassija Filippowna ist sie finster und infernalisch“, heißt es in einem im Programmheft abgedruckten Text des russischen Literaturwissenschaftlers Michail M. Bachtin. Auf Bühnenbild und Kostüme übertragen bedeutet das: das Dunkel ihrer Kleidung und der schwarze Hintergrund auf dem sie und die anderen Figuren in regelmäßigen Abständen agierend eingeblendet werden, steht im Gegensatz zum mit weißen Fellstoff überzogen beinahe wie eine (russische) Schneelandschaft wirkenden Bühnenbildkonstruktion. Einmal erscheint Nastassja in eine weiße Stola gehüllt auf dem Bildschirm, Rogoschin verdüstert im Gegenzug mit seinem dunkelroten Anzug das Weiß der Bühne und hebt sich so von den in Pastellfarben gehaltenen Kostümen (wunderschön designt von Antoaneta Stereva) der anderen ab. Wo Licht da Schatten und umgekehrt und mittendrinnen Myschkin, der so Bachtin, wo er auftaucht die Menschen die Schranken zwischen ihnen überwinden lässt. Die Tragödie verhindern, das kann auch er jedoch nicht. In diesem Fall zum Glück, denn was wäre ein Theaterstück, in dem alle glücklich sind – vermutlich zum Gähnen langweilig.

Der Idiot
19.-21. & 25.-27.01.2017
Zusatzvorstellung: 28.01.2017
Eine Kinobühnenschau nach Fjodor M. Dostojewskijs Roman
Mit: Daniel F. Kamen, Gioia Osthoff, Murali Perumal, Michaela Saba, Horst Schily, Jens Ole Schmieder, Isabella Wolf
Regie: Anna Maria Krassnigg

Theater Nestroyhof Hamakom
Nestroyplatz 1
1020 Wien
Tel.: +43 1 8908836
http://www.hamakom.at/

Fotos: © Andrea Klem

Geschrieben von Sandra Schäfer