Twittern, Netzwerken und seine Homepage pflegen – wer sich Gehör verschaffen will, muss sich selbst vermarkten. Inhalte spielen dabei allzu oft eine untergeordnete Rolle. Was zählt sind Umgangston und Sprache – dann kann man nicht nur Phrasen dreschen, sondern auch schon mal unrecht haben. Schuld, das sind darüber hinaus sowieso immer die anderen.

Im Fall der neuesten Produktion des Off Theaters „Der.Semmelweis.Reflex“ werden die Frauen gar selbst zu den Schuldigen für ihre Misere. Der Säftestau bei der Geburt, die Scham über das empfangene Kind und der Wunsch es aus dem Körper zu haben oder doch eine ungünstige Planetenkonstellation – jede noch so absurde Theorie scheint gut genug, um die hohe Sterberate an der Geburtenstation des Wiener Allgemeinen Krankenhauses (AKH) zu erklären. Nach der Sezierung der Leichen geht es auf direktem Wege in den Geburtenraum: was für heutige Standards der schiere Wahnsinn ist, entspricht in der Mitte des 19. Jahrhunderts der Realität. Wien ist die Weltstadt der Medizin. „Ärzte machen keine Fehler, der Fehler liegt bei der Frau“, erklärt dem Zeitgeist folgend der Leiter der Station, Dr. Klein (sympathisch unsympathisch: Kajetan Dick) dem jungen Semmelweis auf der Bühne.

Man schreibt das Jahr 1846. Als Anhänger der Vier-Säfte-Lehre ist Klein neuen Theorien unaufgeschlossen. Während der Herr sichtlich wohlgelaunt am Semmering – jener Ort, wo sich im 19. Jahrhundert die Hautevolee der damaligen Gesellschaft traf – unermüdlich seine Runden dreht, kämpft sein junger Assistent, Ignaz Semmelweis (wunderbar energisch: Gerald Walsberger) um das Leben seiner Patientinnen. Doch vergebens. Noch weiß er nicht, was für die im Kreis um das Geschehen auf der Bühne angeordneten Zuseher*innen zum Allgemeinwissen zählt: die Frauen sterben an einer durch Bakterien hervorgerufenen Entzündung. Erst als ein Kollege, sich bei der Obduktion einen Schnitt zufügt und in Folge die gleichen Symptome aufweist wie die am Kindbettfieber gestorbenen Frauen, erkennt Semmelweis den Zusammenhang und führt, um die Hände zu reinigen, die Waschung mit Chlorkalk ein. (Das Vorhandensein von Bakterien ist allerdings auch ihm nicht bekannt.) Die Hygienemaßnahmen greifen und die Sterberate sinkt. Ab den 1860er-Jahren schreibt Semmelweis von seinen Erfolgen bestätigt „offene Briefe“ an sämtliche Professoren für Geburtshilfe. Sein Tonfall ist harsch, zu direkt und er erzielt nicht zuletzt aufgrund der darin enthaltenen Drohungen – auf der Bühne wie damals im echten Leben – wenig Erfolge. Statt den Alarmglocken erklingen vielerorts weiterhin die Sterbeglocken. Verbittert wird der von Walsberger als cholerischer Eigenbrötler Dargestellte an der Ignoranz seiner Kollegenschaft verzweifelnde Mann, in eine Nervenheilanstalt eingeliefert, wo er unter nicht gänzlich geklärten Umständen (auf der Bühne selbst an einer Blutvergiftung) stirbt.

Das alles wäre schwer zu ertragen, gäbe es nicht ein Mittel, das sämtliche Bitterkeiten des Lebens erträglicher macht – Humor. Davon mangelt es in den Stücken des bernhard.ensembles erfahrungsgemäß nicht. Auch in „Der.Semmelweis.Reflex“ setzt man auf das Komische gespickt mit reichlich derben Ausdrücken. Ausdrucksstark erweisen sich allerdings vor allem die Choreografien von Leonie Wahl. Ums Leben kämpfende Frauenkörper zucken auf OP-Tischen, ein sich an einer Nabelschnur wie Tarzan schwingender Semmelweis oder eine in der Mitte schwebende singende Vagina (Sophie Resch) verwandeln den Obduktionssaal/Kreißsaal stellenweise gar in eine Art Zirkusarena. Mitunter ist von den Zuseher*innen auch Partizipation gefragt. Etwa, wenn man sich zu Beginn – mit Plastiküberziehern an den Schuhen – als Teil einer Besichtigungsgruppe durch den Obduktionssaal schiebt, bevor sich Walsberger als Semmelweis vom Tisch erhebt und den Beweis zur zuvor getätigten Aussage „bei uns wird Geschichte lebendig“ antritt. Mehr kann man von einem Stück zum Thema kaum erwarten, besonders wenn man dabei noch dermaßen gut unterhalten wird.

DER.SEMMELWEIS.REFLEX
Ein Tanz.Schau.Spiel
das.bernhard.ensemble / DAS OFF THEATER
Weitere Termine: 12., 15.,18.,19.,22.,25.,26.,29. März sowie 1., 2., 5., 8., 9. April, jeweils 20:00 Uhr, WHITE.BOX
www.off-theater.at/info-semmelweis.html

Titelbild: Der.Semmelweis.Refelx, das.bernhard.ensemble, Fotocredit: Barbara Palffy

Geschrieben von Sandra Schäfer