Nach wie vor findet sich kein Wort für nicht mehr durstig sein im Wörterbuch, die Zeigezehe ruft gerunzelte Stirnfalten hervor und auch Sheldons Präabend aus der Sitcom „Big Bang Theory“ wartet noch auf seinen Durchbruch – immer wieder erstaunt es wofür es keine Wörter gibt, während andere mittlerweile die Fachkreise verlassend ihren Einzug in den allgemeinen Sprachschatz feiern. Obwohl wir vermutlich weit davon entfernt sind „ Kryonaut“ in unserem täglichen Sprachgebrauch aufzunehmen – soll es sie doch irgendwo geben, diese eingefrorenen Menschenkörper, die auf ihre Reanimierung in einer noch fernen Zukunft warten. Bis es soweit ist, schaukeln zumindest ein paar von ihnen als Stoffgehirne im Glas gut gelaunt auf der Bühne des Schubert Theaters dem Upload in die Cloud entgegen. Unter ihnen auch ein rappender Postbote, der hervorragend verkörpert durch Simon Dietersdorfer, bereits kurz nach seinem ersten Auftritt den sprichwörtlichen Löffel abgibt. Für die fortschreitende Handlung ist das allerdings kein Problem. In „Einfrieren, Hochladen, Weiterleben“ reicht ein Druck auf den Resetknopf und es kann weitergelebt werden. Manchmal auch ohne Kopf.

Es lebe die Populärkultur

Kopflos ist das Stück deswegen aber noch lange nicht. Ganz im Gegenteil: mitunter kann es für die ZuseherInnen sogar richtiggehend kopflastig werden. Immerhin gilt es in knapp einer Stunde jede Menge Zitate und Anspielungen zu entschlüsseln. Kaum ist das Licht ausgegangen rührt der Mondhase kräftig im Topf der Populärkultur. Das riesige Langohr lebt laut japanischer Mythologie auf unserem Erdtrabanten, wo es in einem Mörser das Elixier der Unsterblichkeit mischt. Auf der Bühne des Schubert Theaters bekommt er stattdessen einen Topf Joghurt in die Pfoten gedrückt. Manch einer mag da an einen ausgetüftelten Bakterienmix denken, ein anderer schlicht an Meister Yoghurt aus „Spaceballs“. Doch egal, ob Nahrung für den Darm oder für die Lachmuskeln – bedient wird in Folge beides. Wer sich zum Beispiel immer schon gewünscht hat William S. Burroughs‘ wunderbare Kurzgeschichte von einem Arschloch, das das Kommando über seinen Träger übernimmt, auf der Bühne zu sehen, der ist bei diesem zweiten Stück der Gruppe Spitzwegerich an der richtigen Stelle. Definitiv ein Highlight des Abends. Kurzum: Ein Darm, der zu entzücken vermag. Entzückend ist auch so mancher Liedertext. In den Songs (Musik von Manfred Engelmayr, vorgetragen – und zum Teil auch geschrieben – von Simon Dietersdorfer) wird gereimt was das Zeug hält – von Aneurysma über Krishna, von Hirnkrank zu Steampunk – es gibt viel Zeit totzuschlagen im Kälteschaf – „Ich bin ein kaltes Organ, eines Tages bin ich dran“ tönt es von der Bühne.

Es kommt ein jeder an die Reih …

Nie an die Reihe kommen hingegen die Zuseherinnen und Zuseher, auch wenn einen das Lotterielos, das man beim Eingang ziehen musste, kurzzeitig etwas anderes vermuten lässt. Beim aktuellen Stand der Kryotechnik und anderer medizinischen Mittelchen zur Lebensverlängerung vermutlich besser so. Schließlich weiß man als Kryonaut nie in was man sich morgen verwandelt. Nicht die einzige Frage, die sich die Kryonauten mit fortschreiten des Abends so stellen. Mit Überlegungen wie„weiß der Schmetterling, dass er vorher eine Raupe war“ wird es stellenweise auch richtig philosophisch. Auch hierfür findet sich Platz. „Einfrieren, Hochladen, Weiterleben“ besticht durch Witz und Bildgewalt und eignet sich, ob der musikalischen Einlagen wunderbar zum Vorglühen vor dem Clubbesuch. Kurzum: „Ein weirder Scheiß“ – um einen jüngeren Gast zu zitieren. Man sollte vielleicht doch nochmals 24 sein – biologisch!

„Einfrieren, Hochladen, Weiterleben“
Mit dem Kopf in den Wolken und dem Hirn in der Cloud
Ein Figurentheater über den Wunsch nach der Unsterblichkeit von Spitzwegerich

Schubert Theater (Währingerstraße 46, 1090 Wien)
(Double Feature)
„Welcome to the Insects“
28. und 29. Jänner 2020
„Einfrieren, Hochladen, Weiterleben“
31. Jänner und 01. Februar 2020
http://schuberttheater.at/

Werk-X/Petersplatz (Petersplatz 1, 1010 Wien)
„Einfrieren, Hochladen, Weiterleben“:
08. und 09. April 2020 
Am 08. April 20im Anschluss an die Vorstellung: 
„LIVER“ im Grill-X/Petersplatz
http://werk-x.at/petersplatz

spitzwegeriche.at

Geschrieben von Sandra Schäfer