Kabel werden ineinandergesteckt, der Sekt zur Jubiläumssendung bereitgestellt, alsbald leuchtet die Glühbirne im Hintergrund rot und los geht es: man – oder besser Frau – ist „on air“. Die zu bewältigende Aufgabe: eine Live-Sendung zu Werk und Leben der österreichischen Autorin Elfriede Gerstl zu gestalten. „Ich verlange, dass die Werke Elfriede Gerstls die nächsten hundert Jahre (und noch viel länger) gelesen werden“, schrieb Elfriede Jelinek. Einem Aufruf, den die Radiomoderatorinnen Martha und Hanna (wunderbar gespielt von Martina Spitzer und Johanna Orsini) auf der Bühne des TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße) mit viel Elan nachkommen. Im provisorisch wirkenden Studio (Bühne und Kostüm stammen nebst Regie ebenfalls von Spitzer und Orsini) werden den Hörer*innen/Zuschauer*innen kurze pointierte Texte und „Denkkrümel“ der 2009 verstorbenen Autorin präsentiert. Ob das eingeschworene, liebevoll chaotische Moderatorinnen-Duo tatsächlich über ein Publikum am anderen Ende der Leitung verfügt, ist ungewiss. Wahrscheinlich scheint, dass die beiden Damen in der Liebe zur Kultur, wie so viele, abseits des Mainstreams auf eher unterdotierten (Seiten-)Pfaden wandeln. Frau sein im ohnehin von vielen als Wolkenkuckucksheim wahrgenommenen Reich der Künste bringt einen nochmals in eine Randposition – das musste auch Elfriede Gerstl erfahren. Als Schriftstellerin schrieb sie nicht zuletzt über das Verhältnis der Geschlechter zueinander und in der Gesellschaft.

Vieles von dem, was man an diesem Abend auf der Bühne zu hören bekommt, erscheint zeitlos, oder hat, nicht zuletzt aufgrund der Krise, neue Aktualität erfahren. Frauen spielen nach wie vor „Hosenrollen“, wenn sie erfolgreich sein wollen. Eine Veränderung im patriarchalischen System findet immer noch oftmals nur an der Oberfläche statt. Für Gerstl war das nichts weiter als Schminke. In ihren Denkkrümeln bringt sie die Sachen knapp und stets humorvoll auf den Punkt: „Simulieren geht über Studieren“: Ein Satz, der in Zeiten von Fake News nahezu Gänsehaut erzeugend aktuell ist. Ob von Störungsgeräuschen durchzogene Handy-Telefonate oder Smalltalks in einer Wiener Innenstadt-Bar – gemeinsam ist allen auf der Bühne meisterhaft dargebotenen Texten, dass diese, obwohl im Alltag angesiedelt, ihn sanft überflügeln.

Im fingierten Interview – die Kassette mit dem Original ist irgendwo in den Räumlichkeiten des Studios verloren gegangen – spricht Spitzer als Gerstl, von der Wichtigkeit des Humors für ihr Werk. Humor als Mittel zur Vermeidung von „Pathos und der Jammeranz“. Immer wieder wird, wie bei einer Radiosendung üblich, Musik gespielt; es sind Stücke, die die Autorin liebte: Jazz, Miles Davis, Ella Fitzgerald und die Beatles. Dazwischen gibt es Biografisches.
Als Jüdin verbrachte Gerstl den Zweiten Weltkrieg gemeinsam mit ihrer Mutter als U-Boot in verschiedenen Verstecken in Wien. Dass einem selbst bei derlei Themen – wie das (Über-)Leben im Keller, Alter, Krankheit und Tod – ein Schmunzeln ins Gesicht huschen kann, zeigt beispielsweise das, ein Jahr vor ihrem Tod verfasste Gedicht „guter oldie-morgen“.
„Otto ist schon operiert / hanna geht grad ins spital / ernie hat Angst vor der magensonde geht aber hin (…) gestorben ist diese woche noch niemand / lass uns morgen wieder telefonieren“. Bleibt auf ein Wiedersehen im Herbst zu hoffen. Mehr Abende wie dieser wären wünschenswert.

„wannst net sterbst sehn ma uns im nächsten herbst“
Ein Theaterabend mit Texten von Elfriede Gerstl
Weitere Termine: 13. und 14. Juni 2022
Das TAG – Theater an der Gumpendorfer Straße
Gumpendorfer Straße 67
1060 Wien
www.dastag.at

Titelbild: Martina Spitzer und Johanna Orsini in „wannst net sterbst sehn ma uns im nächsten herbst“ © Anna Stöcher

Geschrieben von Sandra Schäfer