New York 1964: Eine riesige Maschine frisst sich durch den Urwald. Während immer mehr Bäume im Maul der gigantischen Konstruktion verschwinden, spuckt die fahrbare Fabrik aus ihrem Hinterteil eine Straße nach der anderen aus. Von Umweltschutz keine Spur. Der Glaube an die Technik ist ungebrochen. Doch nicht alle Gäste schienen – historischen Zeitungsberichten zufolge – mit der Vision einer zubetonierten Welt, wie sie General Motors mit dem „Jungle Road Builder“ in seinem Futurama Gebäude präsentierte, einverstanden. Längst hat die schöne heile Welt des Fortschritts Risse bekommen.

Fünfzig Jahre und einige Naturkatastrophen später steht die Weltausstellung im Zeichen der Nachhaltigkeit. „Feeding the Planet. Energy for Life“ lautet das Motto in Mailand – statt einem Vergnügungspark will man Brücken in die Zukunft bauen. Nicht das erste Mal, dass man versucht, sich im Rahmen einer internationalen Universalausstellung den Themen zu stellen, die unsere Welt bewegen. Bisher jedoch mit mäßigem Erfolg. Was wenig verwundert, wenn man sich die Geschichte der „Exposition Universelle Internationale“ in Erinnerung ruft. Denn als die „Great Exhibition“ 1851 in London ins Leben gerufen wurde, ging es vor allem um eines: Machtdemonstration.

Für Fortschritt und Frieden

Als Mutterland der industriellen Revolution wollte man der Welt zeigen, was für grandiose Erfindungen man zu bieten hatte. Die Weltausstellung – die erste moderne Großveranstaltung im heutigen Sinn – wurde als Motor für zukünftige Entwicklungen gesehen, als freundschaftlicher Wettstreit der Nationen in den Bereichen Technologie und Fortschritt. Ein friedliches „come together“ im Zeichen einer modernen Welt. Es war eine Rechnung, die aufging: Die Veranstaltung war mit über sechs Millionen BesucherInnen friedlich über die Bühne gegangen, England hatte Gewinn eingefahren und der Welt seine technische Vormachtstellung bewiesen. Dass die Bemühungen um eine friedliche Zukunft, die trotz allem Kräftemessens von Beginn an stets mitschwangen, jedoch scheiterten, zeigen nebst sämtlichen bekannten Kriegen etliche historische Fußnoten. Es ist traurige Ironie, dass jene Kanonen von Alfred Krupp, die auf der Weltausstellung in Paris 1867 von allen bewundert wurden, nur drei Jahre später auf die französische Hauptstadt abgefeuert wurden. Und dass das angestrebte friedliche Miteinander der Nationen ohnedies nur jene betraf, die als zivilisiert erachtet wurden, versteht sich von selbst. Denn spätestens mit den ethnologischen Dörfern, wie sie in Wien 1873 präsentiert wurden, wurden Weltausstellungen auch zur Legitimierung der kolonialistischen Bestrebungen des jeweiligen Landes herangezogen.

Bei den BesucherInnen kamen diese Zurschaustellungen jedenfalls gut an. Sie wollten unterhalten werden. Ein Dilemma, mit dem die auf den Besuch von Massen angelegten Weltausstellungen auch heute noch zu kämpfen haben. Denn die richtige Mischung aus Belehrung und Unterhaltung will gelernt sein. Nicht selten sind in der Vergangenheit Weltausstellungen – etwa in Chicago 1893 mit einer legendären Unterhaltungsmeile oder zuletzt 1970 in Osaka, wo die Weltausstellung zu einem Fest der Konstrukteure wurde – zum Vergnügungspark verkommen. Ein Fehler, den man in Mailand auf keinen Fall machen wollte.

Blick in die Pavillons

Nicht für monumentale Architektur wolle man in Erinnerung bleiben, sondern für seine Mitwirkung an der Entwicklung der menschlichen Zivilisation, so die Veranstalter im herausgegebenen „Theme Guide“. Demzufolge soll auf der Expo 2015 alles mit dem Thema Ernährung in Verbindung stehen. Mehr noch: man rühmt sich, die erste Weltausstellung mit Nachhaltigkeitszertifikat zu sein. Entsprechend wurden die teilnehmenden Länder im Vorfeld dazu aufgerufen, ihre Pavillons aus recycelbarem Material zu errichten. Inhaltlich sollte die Präsentation aus Lösungsansätzen zum weltweiten Ernährungsproblem bestehen. Dass die Zugänge der verschiedenen Nationen höchst unterschiedlich ausfielen, liegt auf der Hand. Tatsächlich findet sich vom technikverliebten Restaurant der Zukunft (Japan) über Pavillons, die eher der Tourismuswerbung als der Problemlösung dienen (Slowenien, Polen, Chile) bis hin zur Unterrichtsstunde in Landeskunde (Oman) alles. Seine Hausaufgaben gründlich gemacht hat man hingegen in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die BesucherInnen werden von Guides in Empfang genommen und erhalten mittels vor Vitrinen gehaltene Tablets Informationen in puncto Innovation im Bereich Ernährung in einem von Trockenheit dominierten Land. Mit Sicherheit – nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass die nächste Expo 2020 in Dubai stattfinden wird – einer der engagierteren Beiträge. Engagiert zeigt man sich auch im UK-Pavillon. Der Inselstaat präsentiert sich als „Bienenstock der Innovation und Kreativität“ und ruft auf seiner Homepage lautstark dazu auf, gemeinsam Business zu machen. Als Expo-BesucherIn ohne Business-Ambitionen findet man sich nach einem Spaziergang über eine Blumenwiese – das Motto des Pavillons ist Bestäubung – in einem Modell-Bienenstock wieder, der mit einem realen Bienenstock in England elektronisch verbunden ist.

Frischluft aus der Alpenrepublik

Nicht über eine Wiese, dafür durch einen Wald spaziert man hingegen im Österreich-Pavillon. Und man darf es ohne falsche Bescheidenheit zugeben: neben Publikumsmagnet Brasilien liefert Österreich einen der gelungensten Beiträge dieser Weltausstellung. Für das nachhaltige und ressourcenschonende Bio-Gesamtkunstwerk wurden insgesamt 60 Bäume (manche davon über 30 Jahre alt), 12.000 Gehölze, 1.200 Stauden und 120 Quadratmeter Moos nach Mailand geschafft. Neben seiner Funktion als riesige Sauerstofffabrik – der Wald produziert Luft für bis zu 1.800 BesucherInnen in der Stunde – dient das Stück Natur zudem als natürliche Klimaanlage. Innovative Technologien wie Hochdrucksprühsysteme und leistungsfähige Ventilatoren verstärken den abkühlenden Effekt im Pavillon. Die dafür benötigte Energie kommt von so genannten „Sun Discs“, die mit ihren farbigen Stellen beschattend wirken. Wer seinem Körper hingegen Energie zuführen möchte: Produkte aus dem Wald – darunter u.a. ein Fichtennadel-Preiselbeer-Eis – laden zum Verweilen ein. Dem Expo-Thema Ernährung folgend nicht die einzige Möglichkeit, sich mit landesüblichen Köstlichkeiten zu stärken. Und so ist die diesjährige Weltausstellung vor allem eines: ein riesiges Wirtshaus.

Lebensmitteltour

Neben diversen Gerichten, die in den 54 Länderpavillons angeboten werden, gibt es eine Vielzahl von Restaurants – darunter einen „Italian Food District“ (Eataly) und den bis dato schlecht gehenden Restaurantbetrieb des italienischen Biolebensmittelherstellers „Alce nero“ (anders als berechnet, nutzten im Mai nur zwei statt 40 Prozent der BesucherInnen den Osteingang, was den dort beheimateten Unternehmen sowie dem hochambitionierten Park der Artenvielfalt wenig BesucherInnen bescherte) sowie einen eigenen Pavillon eines italienischen Süßwarenherstellers. Wenn man sieht, wie manch MessebesucherIn mit Säcken voll Süßigkeiten von dannen zieht, kann man vermuten, dass die Expo zumindest für diesen Aussteller Gewinn darstellen wird.

Ob die Weltausstellung sich letztendlich auch für die BetreiberInnen finanziell auszahlen wird, bleibt abzuwarten. Zur Zeit sieht es jedenfalls nicht so aus, als ob die ohnehin niedrig angesetzte Besucherzahl von 20 Millionen erreicht wird. Was die angestrebte Nachhaltigkeit im Bereich Ernährung betrifft, arbeitet man derzeit unter Leitung des italienischen Nudelgiganten Barilla an einer verpflichtenden Rahmenkonvention, die von möglichst vielen Regierungen unterzeichnet werden soll. Im so genannten Mailänder Protokoll festgelegt sind u.a. eine bessere Balance, was die Verteilung von Nahrungsmitteln betrifft sowie die Reduzierung der weggeworfenen Waren bis 2020 um 50 Prozent (jährlich landen 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel auf dem Müll). Ob das Mailänder Protokoll eine ressourcenschonende Änderung im Gleichgewicht der weltweiten Ernährung herbeiführen kann, wird sich weisen. Bleibt auf jeden Fall zu hoffen, dass die Initiative nicht wie schon manche vor ihr verhallt wie ein Schrei im Wald.

La EXPO 2015
Feeding the Planet. Energy for Life
Noch bis 31. Oktober 2015
Öffnungszeiten: täglich 10.00 bis 23.00 Uhr (Sa und So bis 24.00 Uhr)
La Expo www.expo2015.org

 

Geschrieben von Sandra Schäfer