Dass die Dinge oftmals nicht so einfach sind, wie sie auf den ersten Blick scheinen, und dass sich hinter der Oberfläche weitere komplexere Ebenen verbergen, ist eine Erkenntnis, die in einer mit Populismus geschwängerten Welt nicht oft genug betont werden kann. Sich seine eigene Meinung bilden, dem Sachverhalt auf den Grund gehen, mehrere Sichtweisen zulassen – alles Dinge, die die Besucher der aktuellen Marcel Odenbach Ausstellung in der Kunsthalle Wien im Hinterkopf behalten sollte. Was sich zunächst wie ein tropischer Dschungel ausnimmt, der mit seiner dichten Vegetation verzaubert, ist vielmehr eine künstlerische Thematisierung der Kolonialgeschichte Afrikas. Was wie ein gewöhnlicher Wohnraum wirkt, verweist bei näherer Betrachtung auf die Verbrechen des NS-Regime.

Um zu sehen/zu verstehen, heißt an das Kunstwerk heranzutreten und sich in den Details zu versenken. So wird aus einem Lampenschirm eine Anhäufung von Gräueltaten. Bilder von menschlichen Skeletten, Arbeitslager, Aufnahmen von Sträflingen, marschierende Soldaten, erlegte Tiere, politische Führer u.v.a.m. – all das findet sich unter der Farbschicht aus der Nähe erkennbar in den Collagen von Marcel Odenbach – klitzeklein und wie in einem Puzzle aneinandergereiht, neue Formen und Ebenen der Betrachtung kreierend.

Filme über Geschichte und Erinnern

Eine Arbeitsweise, die sich laut Kuratorin der Ausstellung, Vanessa Joan Müller, durchaus mit den filmischen Arbeiten des deutschen Künstlers vergleichen lässt. Auch in seinen Filmen greift Odenbach auf das Montage-Prinzip zurück. Überblendungen von Mahnmalen mit historischen Ereignissen, auf den Kopf gestellte Aufnahmen, evozieren neue Sichtweisen und verweisen auf die Konstruktion von Geschichte bzw. ihre Verankerung im kollektiven Gedächtnis. Was kann uns der kalte Beton eines Mahnmals sagen? Inwieweit lassen sich in abstrakten Monumenten Gedanken übermitteln? Das sind laut Müller nur einige der Fragen, die in der Arbeit „Im Kreise drehen“ – über das Mausoleum im polnischen Konzentrationslager Majdanek – zur Verhandlung stehen.

Wie auf einer Farbpalette fließen die unterschiedlichen Filme zum größeren Ganzen ineinander. Kolonialismus, Migration, Völkermord und unser Umgang mit der Vergangenheit: Vom Beginn des Holocausts, wie er in der „Deutschstunde“ als eine ins Wanken geratene Normalität thematisiert wird, bis hin zu einer kleinen Gruppe von Migranten, die im Louvre Géricaults „Das Floß der Medusa“ – eine monumentale Darstellung eines Schiffunglücks im Zuge des Kolonialismus – betrachten.

Mit dem Genozid in Ruanda beziehungsweise dessen Aufarbeitung beschäftigt sich hingegen die längste in der Ausstellung gezeigte Arbeit „In stillen Teichen lauern Krokodile“. Mit suggestiven Bildern fordert Odenbach die Betrachterinnen und Betrachter dazu auf, sich selbst eine Meinung zu bilden. Historisches Material aus dem UNO-Archiv findet dabei ebenso Eingang wie selbstgedrehte Aufnahmen nach der Jahrtausendwende: friedliche wunderschöne Landschaften, die jedoch mit verstörenden Details aufwarten wie die Überreste blutverschmierter Kleidung in einer Kirche oder Menschen, die rosa gewandet ihre Arbeit verrichten. Letzteres eine Form des offenen Strafvollzugs, in einem Land, das vor die Aufgabe gestellt ist, Opfer zu beschwichtigen und Täter zu bestrafen bei gleichzeitiger Tabuisierung des Themas. Ein Soundtrack mit Radioaufnahmen erinnert an die Propaganda, mit der die Hutu zum Mord an den Tutsi aufgerufen wurden, erfahren die Besucher u.a im Begleitheft zur Ausstellung. Unbedingt Zeit nehmen und langsam eintauchen in die Kunstwerke, die durch ihre Verbindung von politischer Aussage und Ästhetik nicht nur schön anzusehen, sondern bedauerlicherweise noch immer hochaktuell sind.

Marcel Odenbach. Beweis zu nichts
5. Februar bis 30. April 2017
Kunsthalle Wien
Museumsquartier
Museumsplatz 1
1070 Wien
Öffnungszeiten: Täglich 11 – 19 Uhr, Do 11 – 21 Uhr
www.kunsthallewien.at

Geschrieben von Sandra Schäfer