Rot-weiß-gepunktet, ins Auge stechendes kanarienvogelgelb oder übergroß in Strick: im neuesten Streich des Regieduos Kaja Dymnicki und Alexander Pschill im TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße) heißt es – zumindest für die SchauspielerInnen – Schuhe ausziehen und in Socken spielen. Gemeinsam mit dem König von Theben, Laios, und dessen Frau Iokaste (wie immer grandios Georg Schubert und Michaela Kaspar) vergnügt sich eine kleine illustre Gästeschar im 70er-Jahre-Ambiente mit Karaoke, russischen Eiern und Schinkenröllchen auf Perserteppichen zwischen Fototapetenregalen. Und eben hier, in dieser geschmackvollen Geschmacklosigkeit, tummeln sich auch Polybos und Merope (als Pärchen den Gastgebern schauspielerisch um nichts nachstehend Jens Claßen und Lisa Schrammel) mit ihrem Sohn Ödipus. Eingeladen ist man aufgrund eines Verwandten, der die Haare der Königin macht. So glaubt man zumindest. In Wahrheit jedoch handelt es sich um eine Verwechslung in der Namensschreibung. Doch, ob Meier mit a oder e – das Schicksal nimmt auch auf der Bühne des TAG ungestört seinen Lauf: Ödipus tötet Laios, heiratet dessen Frau – also seine Mutter – und wird, nachdem er auch das Rätsel der Sphinx gelöst hat, König von Theben.
Dazwischen befand sich schon seit der Antike so einiges an Spielraum. Und eben diesen nutzen Dymnicki und Pschill auf betont unterhaltsame Weise. Aus dem Mord wird unterlassene Hilfeleistung, aus der zweiköpfigen Sphinx ein skurriles Zwillingspärchen und aus den leiblichen – sozusagen in einer etwas entschärften Version – adoptierte Kinder.

Julia Edtmeier spielt sowohl die aufsässige pubertäre Tochter Antigone (Stoff für eine Fortsetzung gäbe es dementsprechend reichlich) als auch die eine Hälfte des Sphinx-Zwillingspärchens mit Bravour. Aber auch Stefan Lasko als Ödipus kann sich sehen lassen und erinnert nicht nur modisch aufgrund seines Tennis-Outfits stellenweise an Luke Wilson aus Wes Anderson „The Royal Tenenbaums“. Ob dies von den Regisseuren gewollt ist oder nicht sei dahingestellt – zumindest ist es nicht die einzige Verbindung, die sich zur Kultur- und Popkulturgeschichte herauslesen lässt. Wortwitz und Slapstick treffen auf ins Groteske gesteigerte Momente und Laissez-faire-Mentalität, die sich gegen Ende an der Festtafel niederlässt und an so manchen klassischen französischen Familienfilm erinnert. Im Film wie auf der Bühne gilt: Familien sind die Hölle – dann aber doch wieder irgendwie liebevoll skurril. Am Ende darf Ödipus sein Augenlicht behalten und das Publikum hat (man lebt ja immerhin in einer Demokratie) hin und wieder auch ein Wörtchen mitzureden – oder doch nicht? Auf jeden Fall darf es Kritiken abgeben und diese lauten zumindest von der Kulturfüchsin: unbedingt anschauen. „Ödipus“ ist wie ein bunter, etwas unheimlicher, Gemischtwarenladen mit Bestandteilen (antiker) Literatur, Film und (angelsächsischer) Theaterkultur mit Liebe zum Detail und nicht zu vergesen, mit einer Portion an – wie es auf gut Wienerisch heißt – Schmäh.

ÖDIPUS
Eine Kriminalkomödie von Kaja Dymnicki und Alexander Pschill
TAG (Theater an der Gumprendorfer Straße)
Gumpendorfer Straße 67
1060 Wien

Weitere Termine: Di 23., Mi 24., Fr 26. und Sa 27. November 2021, 20 Uhr
Mit: Florian Carove, Jens Claßen, Julia Edtmeier, Michaela Kaspar, Stefan Lasko, Raphael
Nicholas, Lisa Schrammel, Georg Schubert

www.dastag.at

© Philine Hofmann, Georg Mayer und Anna Stöcher, Collage Alexander Ach Schuh

Geschrieben von Sandra Schäfer