Von 21. bis 24. September heißt es heuer bei der „viennacontemporary“ mit 100 Galerien und Institutionen aus 26 Ländern Kunstluft bis zum Umfallen schnuppern. Rundgänge, Talks und ein Kinoprogramm sorgen erneut für einen vollen Terminkalender. Auch dieses Jahr liegt der Fokus auf dem CEE-Raum (Central and Eastern European Countries). Eine Ausrichtung, die sich seit der Gründung im Jahr 2005 – damals noch als Viennafair – bewährt hat. Mittverantwortlich für den Erfolg der Messe ist seit 2012 Christina Steinbrecher-Pfandt – seit 2014 alleinige künstlerische Leiterin.

Für die Kulturfüchsin hat sich die Expertin für Contemporary Art Zeit genommen ein paar Fragen zu beantworten. Ein Gespräch über Zeitmanagement, der Möglichkeit Kunst auch mit geringem Budget zu erstehen und aktuelle Trends.

Frau Steinbrecher-Pfandt, Nach der Wende gab es einen gewissen Boom von Kunst aus dem Osten. Die „viennacontemporary“ wurde damals noch als „VIENNAFAIR The New Contemporary“ mit dem Fokus auf den CEE-Raum ins Leben gerufen. In vielen Bereichen hat die Ostexpansion mittlerweile allerdings Dämpfer erfahren. Wie sieht es im Bereich Kunst aus? Inwieweit sind Künstler aus dem Osten beziehungsweise aus dem CEE-Raum nach wie vor gefragt?

Ich würde von einer gewissen Euphorie sprechen, aber keineswegs von einen Boom: Aus kuratorischer Sicht kam es zu einem regeren Austausch, einfach weil plötzlich ein neuer Markt offen war. In Österreich haben Museen begonnen Sammlungen aufzubauen mit Ost-Schwerpunkt. Das war aber eher ein Nachholen von Research Gebieten und man ist schnell wieder zum „Normalzustand“ zurückgekehrt. Was jetzt passiert ist, dass vereinzelt Gebiete nachgefragt werden. Es gibt bestimmte Regionen oder Strömungen, die eine besondere Resonanz gefunden haben. Die ungarische Neo-Avantgarde oder beispielsweise Adrian Ghenie, ein rumänischer Künstler, dem eine Reihe von internationalen Ausstellungen gewidmet wurde. Während man in den 90er Jahren darum bemüht war einen schnellen Überblick zu schaffen, graben die Kuratoren heute tiefer. Darin sehe ich eine positive Entwicklung. Wie sich das in Zahlen, besonders in Verkäufen, auswirkt wird man sehen.

Können Sie die Entwicklung der „viennacontemporary“ in den letzten Jahren beschreiben? Wie schätzen Sie die internationale Bedeutung der Messe heute ein?

Als wir vor sechs Jahren als Team unsere Arbeit aufgenommen haben war Wien als Stadt im Herzen Europas noch nicht im Fokus der großen Kunstmessen. Kunstmessen gingen vor allem in globalen Großstädten oder exotischen Ländern über die Bühne. Das hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Unser wertvollstes Gut heute ist die Zeit. Diesbezüglich hat Wien als Standort fantastische Antworten zu bieten. Man bekommt hier in zwei, drei Tagen sehr viel geboten. Die Leute können zu Fuß gehen, müssen nicht im Stau stehen. Zudem haben wir mit den diversen Museen und Galerien ein hervorragendes Programm ausgearbeitet. Das alles hat sich mittlerweile herumgesprochen.

Welchen Stand oder welchen Programmpunkt sollten Besucher dieses Jahr auf keinen Fall verpassen? Anders gefragt, welche Künstler oder welche Region sollte man heuer genauer unter die Lupe nehmen?

Ich liebe alle unsere Aussteller, ich kann niemanden explizit erwähnen. Aber sehr stolz sind wir natürlich auf unsere Spezialprogramme wie den Ungarn-Fokus oder die Schiene Nordic Highlights. Die Zone 1, wo junge Positionen zu sehen sind, sollte man sich nicht entgehen lassen. Zudem rate ich jedem sich auch unser Cinema-Programm zur Gemüte zu führen oder sich einer Tour anzuschließen. Aber sie können auch einfach reinkommen und verweilen. Jeder wie er möchte.

Was raten sie jemanden, der mit dem Sammeln von Kunst beginnen will, aber wie die meisten von uns nur mit einem durchschnittlichen oder geringem Kapital gesegnet ist?

Die viennacontemporary bietet auch Touren für Sammler mit einem Budget bis zu 5.000 Euro an. Über das Jahr bekommt man zudem bei Führungen von Kunstakademien eine gute Möglichkeit sich einen Überblick zu verschaffen, was die Studenten machen. Galeristen schauen regelmäßig nach jungen aufstrebenden Künstlern und nehmen sich gerne Zeit für so und so viele Euro etwas Passendes zu finden. Viele Sammler haben begonnen, indem sie Sachen von jungen Künstlern aus der Umgebung gesammelt haben. Ich halte es für eine Schande in Wien sein Umfeld in Form von Galerien nicht zu kennen.

Parallel zur Messe wird mit „curated by“ auch dieses Jahr wieder ein spezielles Programm mit ausgewählten Galerien geboten. Gibt es etwas, wo man in Wien den Anschluss nicht verpassen sollte? Gerade in letzter Zeit hat sich einiges in der Galerienlandschaft getan.

Das stimmt. In den letzten zwei Jahren haben viele neue junge Galerien aufgesperrt. Zum Beispiel die Galerie von Nathalie Halgand oder Lisa Kandlhofer, die Galerie König hat einen zweiten Raum eröffnet. Ich frage mich allerdings nicht so sehr was die Galerien noch tun können, sondern was wir für sie tun können, so dass sie sich mit ihrer Arbeit geschätzt fühlen. Das Programm curated by wurde speziell für Wien entwickelt um den Standort und die Galerien zu unterstützen. Dass Galeristen Kuratoren einladen bei ihnen Ausstellungen zu gestalten, auch unabhängig von ihrem Programmschwerpunkt, das gibt es sonst in dieser Form nirgendwo. Die Veranstaltung wird von Sammlern unglaublich geschätzt.

Wie gehen Sie mit dem in der Kunstwelt angelegten Widerspruch um, dass Kunst zum einen unabhängig und kritisch sein sollte, sich aber andererseits – gerade für Galerien und eine Messe wichtig – auch gut verkaufen muss?

Ich sehe darin für die viennacontemporary kein Problem. Unser Einzugsgebiet – Österreich und Osteuropa – ist sehr kritisch. Die Arbeiten, die bei uns vertreten sind, sind nicht sonderlich marktgetrieben. Die Kunstproduktion funktioniert da sehr unabhängig vom Markt.

In einem Interview haben Sie einmal gesagt, sie wollen nicht den Umsatz von Banken steigern, sondern Menschen Kultur näher zu bringen. Welchen Beitrag können Sie diesbezüglich mit der viennacontemporary leisten?

Eine Messe ist ein sehr quirliges Format, wo vieles gleichzeitig geschieht. Wir veranstalten sowohl Programme für Senioren wie für Studenten – für den CEO bis zum Angestellten. Wir alle haben heute weniger Zeit, dafür mehr Aufgaben. Kunst und Kultur sind wie ein großer Fluss, man springt hinein und lässt sich für einen ausgewählten Zeitraum darin treiben. Man kann in kurzer Zeit sehr viele Eindrücke mitnehmen, neue Ansichten und Fragestellungen kennenlernen. Inwieweit man darüber im Nachhinein reflektieren will, obliegt letztendlich jedem Besucher, jeder Besucherin selbst.

In der Talk-Schiene „Borderline“ stellen sie in Gesprächen und Diskussionen Menschen und Projekte vor, die mit neuen Formen der Unterstützung experimentieren, Galerien, die neue Modelle wirtschaftlicher Kooperation entwickeln usw. Können Sie das näher ausführen?

Nach der Krise des White Cubes ist es schwieriger geworden für Kunstmessen und Galerien international zu bestehen. Gerade im kleinen und mittleren Segment. Man konnte das sehr gut in New York und London beobachten. Diesbezüglich ist es wichtig neue Modelle zu entwickeln wie Pop up Galerien oder sich gemeinsam Räume zu teilen. Das alles sind Modelle, die es Messen und Galerien erlauben auch weiterhin im Kunstmarkt zu verweilen.

Ein eigener Programmpunkt ist heuer dem Bereich Skulptur gewidmet. Aktuell laufen noch die Skulptur Projekte in Münster. Wäre so etwas in der Art nicht auch für die viennacontempory vorstellbar – einfach auch um Kunst verstärkt in den Außenraum zu tragen? Wo steht die Skulptur heute?

Skulpturen sind sicherlich ein Massenphänomen. Alles was skulptural ist wird gerne fotografiert. Ihre Körperlichkeit hat etwas Faszinierendes für uns. Für Kunstmessen ist es allerdings nicht so einfach Skulpturen zur Verfügung zu stellen. Es gibt nur eine beschränkte Anzahl von Leuten, die sie einem abnehmen können. Auch der Raum ist oft ein Problem. Skulpturen sind immer eine Herausforderung, sowohl für die Stadt, die Veranstalter und die Sammler.

Sie bespielen heuer bereits das dritte Jahr die Marx Halle. Inwieweit ist diese Location etwas Besonderes für eine Messe?

Die Marx Halle ist kein Standardbau. Damit hebt sie sich natürlich von anderen Messegebäuden ab. Es ist ein historisches Bauwerk mit Tageslicht und einer wunderbaren Luftzirkulation. Die Besucher sind mitten in Wien.

Abgesehen von einem Besuch der Messe. Welche Ausstellungen sollte man in Wien derzeit nicht verpassen?

Das ist schwierig. Das Mumok, das Leopold Museum, die Albertina sind alle im VIP-Programm bei uns vertreten. Die Kunsthalle hat zurzeit mit „How to live together“ eine sehr interessante Ausstellung. Der neue Wiener Kunstverein eröffnet im Herbst mit einer interessanten Präsentation.

Abschließend wäre es noch interessant zu erfahren: Welche Erfahrungen haben Sie als junge Frau in leitender Position in den letzten Jahren machen können? Viele Museumsleiterinnen beklagen sich, dass man es als Frau immer noch schwerer hat.

Der Bereich der Kunstmessen lässt sich nicht so einfach mit dem Ausstellungs- und Museumsbetrieb vergleichen. Kunstmessen werden verstärkt in einem internationalen Kontext wahrgenommen. Das lässt mich sicherlich freier walten. Ich finde Frauen arbeiten konstruktiver. Ich würde mir aber generell mehr junge Leute, auch junge Männer, in Entscheidungspositionen wünschen: Menschen, die die digitale Revolution leben und nicht erlernt haben.

Vielen Dank für das Gespräch.
Danke auch.

Christina Steinbrecher-Pfandt (1983 in Kasachstan geboren) studierte 
an der Manchester University Contemporary Art. Von 2009 bis 2012 war sie künstlerische 
Leiterin der Art Moscow. 2009 ko-kuratierte sie die Ausstellung „Unconditional Love“ 
im Rahmen der 53. Biennale von Venedig. Von 2011 bis 2012 hatte sie die künstlerische 
Leitung des Moscow House of Artists inne. Sie ist Kuratorin und Leiterin der Sputnik Art 
Foundation und in leitender Funktion für den Innovation Prize des Moskauer National Centre 
for Contemporary Art verantwortlich. 2012 bis 2013 war sie erstmals gemeinsam mit Vita 
Zaman für die künstlerische Leitung der VIENNAFAIR The New Contemporary zuständig. 
Im Dezember 2014 wurde sie alleinige künstlerische Leiterin der viennacontemporary.

viennacontemporary
21. bis 24. September 2017
Marx Halle Vienna
Öffnungszeiten: Do und Fr 11:00–19:00 Uhr, Sa und So 11:00–18:00 Uhr
Eintritt & Preise: Tageskarte 15,00 Euro/ermäßigt: 9,00 Euro; After Work Ticket: 9,00 Euro, Do/Fr ab 15:00 Uhr
http://www.viennacontemporary.at/de/

curated by
Das Galerienfestival in Wien: vom 15. September bis 14. Oktober 2017
In zahlreichen Wiener Galerien
https://wirtschaftsagentur.at/kreativwirtschaft/curated-by-vienna/curated-by-vienna-2017/

 

Geschrieben von Sandra Schäfer