Wie Ameisen erklimmen die auf die Wand eines Hauses projizierten Frauenkörper das Gebilde in der Mitte der Bühne. Haus, Schloss, Sanatorium? In „Nosferatu“ im Burgtheater verbinden sich die verschiedenen Schauplätze aus Bram Stokers „Dracula“ zu einem einzigen. Es ist ein vermeintliches Traumhaus, das Bühnenbildner Eugyeene Teh gekonnt auf die (Dreh-)Bühne setzt – von Idylle fehlt hier jedoch jegliche Spur. Ist die Schwelle ins Innere – in diesem Fall von der, von Wien aus aufs Land reisenden Harker – einmal überschritten gibt es kein Zurück mehr. Von außen kompakt, droht man sich im Inneren des Gebäudes mit seinen endlosen (ebenfalls projizierten) Gängen und verschlossenen Türen zu verirren. Das im Haus Gesehene, Geschehene schreibt sich in den Körper ein, Erinnerungen setzen sich fest wie eine zweite Haut. Geschichte wird als Mantel beschrieben – irritierend, kratzend, Unwohlsein erzeugend.
Untersuchung ohne Mitgefühl
Adena Jacobs (Regie) und Gerhild Steinbuch (Text) legen mit ihrer Version des „Nosferatu“ Wunden offen. Krieg und systematische Ausrottung klingen an. Historische Ereignisse werden nicht explizit genannt. Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, die Euthanasie und Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten stehen jedoch unausgesprochen im Raum – mit fortlaufender Handlung wird immer deutlicher: Der Vampir mag eine Bestie sein, der Mensch ist es auf jeden Fall.
In seinem Bestreben das Andere, sein Weltbild bedrohende, auszurotten, sind dem homo sapiens alle Mittel Recht. Als Werkzeuge dienen technische Errungenschaften und der Verstand. Losgelöst vom Mitgefühl gilt es dem Bösen auf die Pelle zu rücken und es unschädlich zu machen.
Dabei wird vor niemandem Halt gemacht – auch nicht von der Mutter, die in diesem Sanatorium ihr Kind gebiert. Anders als bei Bram Stoker hat sich in dieser Version wohl diese und nicht das Kind Lucy mit dem Vampir eingelassen. Die Tochter zahlt den Preis, es ist die Erbschuld, die auf dem Mädchen lastet. Als vermeintliches Monster wird sie nach ihrer Geburt von den Ärztinnen weggebracht. Auffallend ist, die fast ausnahmslos weibliche Besetzung.
Als einziger Mann vegetiert Renfield, diverse Untersuchungen über sich ergehend lassend, in einem Zustand zwischen Mensch und Tier dahin. Auf keinem Fall möchte der wissenschafts- und fortschrittsgläubige Mensch den Status eines Tieres haben. Doch etwas schlummert im menschlichen Fleische, droht hervorzubrechen. Gleich zu Beginn öffnet sich via Projektion ein Körper, darunter viel Blut und neues Fleisch. Immer wieder Fleisch und Blut. „Nosferatu“ lässt Horrorstimmung im Burgtheater aufkommen. Die Atmosphäre ist unheimlich und dicht: Wörter, Bühnenbild, Projektionen und die Choreografie der oftmals von der Decke hängenden Tänzerinnen, fügen sich mit Perfektion zu einem stimmigen Ganzen. Der Applaus an diesem Abend war dennoch lau. Zu lang, zu blutleer erschien wohl manchen der Abend. Sehenswert ist „Nosferatu“ trotzdem.
Nosferatu
nach Bram Stoker mit einem Text von Gerhild Steinbuch
Weitere Termine: 7. Mai und 6. Juni 2024
Mit Elisabeth Augustin, Bibiana Beglau, Lilith Häßle, Sabine Haupt, Markus Meyer, Safira Robens und Sylvie Rohrer
Burgtheater
Universitätsring 2, 1010 Wien
www.burgtheater.at
Titelbild: Nosferatu © Susanne Hassler-Smith
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