Wenn ein Buch eine Welt zwischen zwei Deckeln ist, dann muss eine Bibliothek ein Universum sein. Sie alle zu besuchen, dafür reicht ein Leben nicht aus. Aber wir können uns – so wie wir mit dem Fernrohr in den Weltraum blicken – vom Anblick alter Bücher und historischer Bibliotheken zumindest verzaubern lassen. Die ehemalige Residenzstadt Wien bietet unzählige solcher Bücher-Welten, die nicht nur lehrreich, sondern auch noch schön anzusehen sind. Die bekannteste ist zweifelsohne die Nationalbibliothek. 1723 bis 1726 von Fischer von Erlach im Auftrag von Kaiser Karl VI. erbaut, zählt die ehemalige Hofbibliothek der Habsburger mit ihrer 20 Meter hohen Kuppel im Bibliotheks-Saal mit Fresken von Daniel Gran, zu den schönsten der Welt. Rund 200.000 Werke lagern hier und machen den Prunksaal zur größten Barock-Bibliothek Europas. Regelmäßige Sonderschauen liefern zudem ergänzend Einblicke in wertvolle Exemplare der Sammlung. Schöner kann ein Ausstellungs-Ambiente nicht sein.

Ebenfalls mit viel Stil werden die Bücher in der Bibliothek im Gartenpalais Liechtenstein präsentiert. Bereits im Jahr 1800 fasste die fürstliche Büchersammlung 40.000 Exemplare und galt neben der Universitäts- und Hofbibliothek als größte und wertvollste Privatbibliothek Österreichs. Auch wenn der Museumsbetrieb vor ein paar Jahren geschlossen hat, so können Besucher das Haus und die alte Bibliothek immer noch mittels Sonderführungen erkunden.

Klosterbibliotheken

Einen besonderen Stellenwert in den Wiener Bücher-Universen nehmen diverse Klosterbibliotheken ein. Jedes Schulkind kennt die barocke Bibliothek des Stiftes in Melk. Weniger bekannt ist, dass auch die österreichische Hauptstadt mit einer Reihe von interessanten Klosterbibliotheken aufwarten kann. Im Schottenstift im Stadtzentrum zeugen noch heute rund 200.000 Bände der Bibliothek sowie das hauseigene Museum (u.a. mit Gemälden von Rubens) vom kulturellen Reichtum des Benediktinerklosters, das sich im 15. Jahrhundert zu einem wichtigen Ort des Geistes- und Kulturleben der Stadt entwickelte.

Wertvolle Handschriften, kostbare Teppiche und sogar eine Mumie liefern hingegen im Orden der Mechitaristen Auskunft über das historisch-religiöse Erbe Armeniens, das in Wien ein bedeutendes Archiv gefunden hat. Tatsächlich verbirgt sich in der Mechitaristengasse hinter der unauffälligen Klosterfassade die viertgrößte armenische Handschriftensammlung der Welt – die älteste aus dem 9. Jahrhundert ist ein kleines Juwel und wird von den Mönchen auf Anfrage gerne aus dem Schrank geholt. Wer sich für Bibliothek und Kloster inklusive Klostermuseum interessiert, muss telefonisch einen Termin vereinbaren.

Literaturmuseum

Unkomplizierter ist hingegen ein Besuch im Wiener Literaturmuseum, das seit vergangenem Jahr in der Johannesgasse beheimatet ist. Untergebracht ist das rund 500 Quadratmeter große Museum im nach dem österreichischen Dichter Franz Grillparzer benannten Haus. Der Dichter war hier von 1832 bis 1856 als Direktor des ehemaligen Hofkammerarchivs tätig. Sein Arbeitszimmer wurde in die Ausstellung zur österreichischen Literaturgeschichte eingebettet. Das Museum liefert mit rund 650 Objekten Informationen über 200 Autorinnen und Autoren. Wer im Stande ist die Schrift zu entziffern, kann zum Beispiel einen Blick auf Nikolaus Lenaus Entwurfblatt zu „Faust“ werfen, Heimito von Doderers Skizzen zu „Die Strudlhofstiege“ studieren oder in Franz Werfels handschriftliche Fassung von „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ eintauchen. Letzteres ist neben Franz Kafkas Romanfragment „Der Verschollene“ eines der wertvollsten Objekte des Museums.

Sammlungen der Stadt

Ausstellungen zu Literaten und ungewöhnliche Bücher gibt es aber auch im Rathaus zu sehen. Gestaltet werden sie von den Mitarbeitern der Wien Bibliothek. Die Bibliothek ist nach der Uni-Bibliothek die drittgrößte wissenschaftliche Bibliothek Wiens. Die erste Erwähnung einer Bibliothek im Rathaus stammt aus dem Jahr 1466. Heute werden hier rund 500.000 Bücher und 900 Nachlässe verwaltet. Einer davon ist der von Rosa Mayreder (Vorreiterin des Feminismus aus der Bürgerlichen Bewegung). Zum Bestand zählen aber auch eine Musiksammlung mit Raritäten wie die Schubert-Autographen, die Sammlung Strauß-Meyszner sowie die mit 150.000 Exemplaren umfangreiche Plakatsammlung.

Einen besonderen Beitrag zum Gedächtnis der Stadt liefert auch das Wiener Stadt- und Landesarchiv, das seit Ende des 13. Jahrhunderts existiert. Auf insgesamt 45 km Regal-Laufmetern lagern im Gasometer D (ein ehemaliger Gasspeicher in Wien Simmering) historische Urkunden aus der Geschichte Wiens und seiner Bewohner. Die Bestände beginnen im Jahr 1208 und reichen bis ins späte 20. Jahrhundert. Neben den Testamenten von Beethoven oder Anton Bruckner findet sich hier auch eine wertvolle Urkunde des babenbergischen Landesfürsten Herzog Leopold von Österreich.

Literatur volksnah

Weniger Raritäten als vielmehr historische und zeitgenössische Belletristik sowie eine reiche Auswahl an Sachbüchern bieten die Städtischen Büchereien. Sie versorgen die Wiener Bevölkerung mit ihren zahlreichen Bezirkszweigstellen mit Lesematerial. Die Hauptbücherei über der U6-Station ist nicht nur architektonisch markant, sondern auch ein wichtiger Treffpunkt für viele Jugendliche der Stadt. Zudem gehen hier regelmäßig Veranstaltungen wie Ausstellungen und Lesungen über die Bühne.

Wer gerne auf Lesungen geht, sollte sich auf jeden Fall das Programm des Literaturhauses Wien und der Alten Schmiede bestellen. Aber auch im Wiener Konzerthaus und im Theater Rabenhof finden über das Jahr verteilt Lesungen mit internationalen Gästen statt. Im Sommer verwandelt sich zudem der Hof des Museumsquartiers zur Lesebühne.

Eine besondere Initiative der Stadt bietet die Aktion „Eine Stadt. Ein Buch“ bei der jedes Jahr an einem Tag im November 100.000 Bücher im öffentlichen Raum gratis verteilt werden. Ebenfalls im November öffnet die „Buch Wien“ ihre Pforten. Österreichs größte Buchmesse lockt jedes Jahr an die 40.000 Besucher auf das Messegelände. Im Rahmen der Lesefestwochen, die zeitgleich mit der Messe über die Bühne gehen, stehen jedes Jahr zahlreiche Lesungen quer über den Stadtraum verteilt auf dem Programm. Die Palette der Lesenden reicht von heimischen Literaturstars und Newcomern bis zu internationalen Größen.

Und wer wissen will wie das mit dem geschriebenen Wort vor der Erfindung des Buches aussah, der hat zudem die Möglichkeit dem kleinen Papyrusmuseum einen Besuch abzustatten. Die Papyrussammlung zählt mit etwa 180.000 Objekten weltweit zu den größten ihrer Art. Seit Oktober 2001 ist die Sammlung Teil des Weltdokumentenerbe der UNESCO-Liste „Memory of the World“.


Links:
Österreichische Nationalbibliothek, Papyrusmuseum und Literaturmuseum: http://www.onb.ac.at/
Gartenpalais Liechtenstein: https://www.palaisliechtenstein.com/de/gartenpalais/allgemeine-informationen.html
Stiftsbibliothek im Schottenstift: http://www.schotten.wien/stift/stiftsbibliothek/
Mechitaristen Congregation: http://mechitharisten.org/
Wien Bibliothek: http://www.wienbibliothek.at/
Stadt- und Landesarchiv: https://www.wien.gv.at/kultur/archiv/
http://www.literaturhaus.at
www.alte-schmiede.at
www.rabenhof.at
www.buechereien.wien.at
www.lesefestwoche.at
www.buchwien.at
Gratisbuchaktion: www.einestadteinbuch.at

 

Geschrieben von Sandra Schäfer