Für die meisten Menschen, die in der Nacht unterwegs sind, stellen sie keine Besonderheit dar: die rund 153.200 Beleuchtungskörper mit ihren 244.000 Lampen, die Wien erhellen. Längst haben wir uns daran gewöhnt, dass wir auch in der Nacht vortrefflich sehen können. Das war jedoch nicht immer so. Wollte man im 16. Jahrhundert des Nächtens die Straße betreten, musste man laut eines Erlasses von Kaiser Ferdinand I. sein eigenes Licht vor sich hertragen. Erst Ende des 17. Jahrhunderts verfügte die heutige Innenstadt über Laternen. Es ist der Beginn der öffentlichen Beleuchtung. Ihre Strahlkraft war im Vergleich zu modernen Leuchtkörpern jedoch gering. Täglich mussten die Lampen mit Talg gefüllt werden und bei stärkeren Windböen war es mit dem Licht schnell wieder vorbei. Eine Verbesserung erlebte das Wiener Beleuchtungssystem erst mit der Einführung von Gasleuchten. Der Apotheker Joseph Moser war der erste, der das Schaufenster seiner Apotheke „Zum goldenen Löwen“ 1816 mit einer Gasleuchte erhellte. Eine Attraktion, die sich auch Kaiser Franz I. mit seiner Familie nicht entgehen ließ. Halb Wien kam damals zum „Lichtschauen“. Und auch wenn gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Elektrizität und mit ihr die Glühbirne ihren Siegeszug antrat, blieben ähnliche Gaslaternen wie sie damals bewundert wurden noch länger im Einsatz. Die letzte Wiener Gaslaterne wurde am 27. November 1962 gelöscht und ist heute vor dem Bezirksmuseum in Hietzing zu bestaunen.

Dennoch, obwohl die Beleuchtungstechnik im 20. Jahrhundert voranschritt, wurde es aufgrund zweier Weltkriege wieder dunkel. Nächtliche Verdunkelungen und massive Bombeneinschläge, bei denen bis zu 60 Prozent der Leuchtkörper zerstört wurden, sorgten auch in punkto Beleuchtung für herbe Rückschläge und lassen das Wort Friedenslicht in neuem Kontext erscheinen. Allerdings bedeutet Licht heute nicht nur Friede, sondern auch Wohlstand. Es gilt: je heller ein Landstrich in der Nacht leuchtet, desto größer seine Wirtschaftskraft.

Licht als Kunstmittel

Mit wachsendem Wohlstand und neuen technischen Mitteln ist die Beleuchtung der Stadt im 21. Jahrhundert mittlerweile weit über die „einfache“ Straßenbeleuchtung hinausgegangen. Zahlreiche Lichteffekte von Künstlern sorgen allabendlich dafür, dass die Gebäude der Stadt in den unterschiedlichsten Farben leuchten. Gerade kulturelle Institutionen setzen vermehrt auf Fassadenbeleuchtung. Internationale Lichtkünstler wie beispielsweise James Turrell sorgen dafür, dass das Museum für angewandte Kunst (Mak) in der Nacht zum Eyecatcher avanciert. Seit 1998 wird die Fassade des 1871 eröffneten Gebäudes allabendlich in den Farbspektren zwischen rot und blau illuminiert.

Von seiner rosigen Seite zeigt sich hingegen das Wiener Konzerthaus, das von der Lichtkünstlerin Victoria Coeln in eine Lichtinsel verwandelt wurde. „Chromotope“ nennt die Künstlerin ihre Installationen, die durch analoge Malerei mit präziser Lichttechnik verbunden entstehen. Coeln hat zudem ein visuelles Leitsystem für den benachbarten Kunstplatz Karlsplatz entwickelt.

Seit Jahren täglich aufs Neue verzaubert auch die Installation des isländischen Künstlers Olafur Eliasson „Yellow Fog“ überraschte Passanten. Pünktlich zur Dämmerung umhüllt die gelbe Nebel-Installation das Gebäude der Wien-Zentrale des Stromunternehmens Verbund. Nicht das einzige Unternehmen, das mittels Lichtkunst auf sich aufmerksam zu machen vermag. Auch die Uniqua Versicherung setzt auf Lichteffekte und wartet am Donaukanal-Tower mit regelmäßigen LED- Lichtshows auf. Von der vor dem Gebäude liegenden Aspernbrücke erhält man einen Blick auf die in unterschiedlichen Farben erstrahlenden Brücken über dem Donaukanal. Während die Schwedenbrücke in Andeutung an die Geschichte der vormals hier befindlichen „Schlagbrücke“ über die die Bauern im 15. Jahrhundert ihr Vieh auf dem Weg zur Schlachtung trieben, in rotes Licht getaucht erscheint, erstrahlen die Salztorbrücke in goldgelb und die Marienbrücke passend in blau.

Kirchliche Erleuchtungen und VJing

Als Meister der Inszenierung steht auch die katholische Kirche in Wien dem nächtlichen Treiben der Beleuchtungsmaschinerien um nichts nach. Besonders stimmungsvoll erscheint die Karlskirche. Aber auch die Ruprechtskirche zeigt sich in der Nacht mit ihrem rund neunhundert Jahre alten Turm von einer fast magischen Seite. Für Liebhaber der modernen Architektur emfehlenswert: der nächtliche Ausflug zum von Fritz Wotruba gestalteten sakralen Gebäude im Liesinger „Niemandsland“. Wer nicht so weit fahren möchte: Seit 1995 leuchtet der Stephansdom die ganze Nacht. Zudem bietet der Dom im Rahmen der Multimediashow „electric church“ gelegentlich auch im Inneren Lichteffekte mittels neuester Technik. Seit den 90er Jahren, mit dem Populärwerden der elektronischen Musik, erschien auch der VJ „Visual Jockey“ in Wien verstärkt auf der Bildfläche und sorgt seitdem passend zur Musik des DJs für die visuelle Untermalung. In Wien ist man stolz auf seine VJ-Szene. Von Visuals im Rahmen der Clubkultur über analoge Großbildprojektionen an Häusern bis hin zum Videomapping – es gibt nichts, was in der österreichischen Hauptstadt dank der regen Visualisten-Szene nicht schon über Lein- und Hauswände geflimmert wäre. Wer sich ein Bild vom Können der Lichtkünstler machen will, kann dies u.a. bei diversen Veranstaltungen im Musemsquartier (MQ) und im Oktober beim Lichtfest „Wien leuchtet“ tun, wenn Kunsthistorisches und Naturhistorisches Museum in ein Spektakel aus Licht getaucht werden. Unter dem Jahr empfiehlt sich vor allem für Fans elektronischer Musik ein Besuch im Lokal „Donau“, das regelmäßig mit atemberaubenden Visuals aufwartet.

Weihnachtliches und alltägliche Stadt-Schriften

Touristischer und massentauglicher geht es vor dem Wiener Rathaus zu. Das neogotische Gebäude verwandelt sich jeden Abend in ein beleuchtetes Märchenschloss. Von Mitte November bis Ende Dezember sorgt zudem der davor stationierte Christkindlmarkt mit seinen zahlreichen Standln für zusätzliche Lichtquellen. Nur einer der zahlreichen „Christkindlmärkte“, der Menschen trotz kalter Temperaturen in Scharren auf die Straße treibt.

Ebenfalls nur in der Vorweihnachtszeit zu erleben sind die vielen weihnachtlich beleuchteten Straßen. Rund 35 Einkaufsstraßen werden alljährlich mit unterschiedlichen Motto-Lichterketten erleuchtet. Wem das zu kitschig ist, der sollte vor allem große Einkaufsstraßen meiden. Er oder Sie kann sich stattdessen in den diversen Seitengassen über die in den letzten Jahren wieder verstärkt in Mode gekommenen Neonschriften wundern. Sie kommen so richtig zur Geltung sobald es dunkel ist. Plötzlich entdeckt man einen Schriftzug, der einem davor kaum aufgefallen ist. Immer mehr Lokale wählen die gebogenen Glasstäbe zur nächtlichen Illumination ihres Geschäftsnamens. Und so zeugen Schriften wie „Ungar Grill“, „Hier gibt’s Reis“, „Fleischerei“ und „Espresso“ nicht immer von dem hier angebotenen Service. Die Neonschriften sind schick und so bleibt gerne auch der Name des Vorgängers an der Wand montiert.

Von oben und niemals vergessen

Wer den Anblick des nächtlichen Wiens von oben genießen will, der kann dies u.a. in der Cocktailbar im Hotel Sofitel tun. Oberhalb der Köpfe der Besucherinnen und Besucher leuchtet ein von der Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist gestaltetes Kunstwerk und unterhalb da leuchten Wiens Straßen und Gebäude. Privater und vor allem preiswerter gestaltet sich hingegen die Aussicht von Wiens Hausbergen. Für alle, die nicht ganz so weit fahren oder marschieren wollen empfiehlt sich ein Blick über die Stadt von den Steinhofgründen (Endstation 48A). Architektonisches  Wahrzeichen ist die Otto Wagner Kirche, die sich im Glanz des Jugendstils präsentiert. Etwas unterhalb der Kirche gelegen erinnert eine Lichtinstallation an die zur Zeit der NS-Herrschaft hier auf dem Gelände der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt Steinhof im Rahmen der nationalsozialistische Tötungsmedizin gefolterten und ermordeten Kinder und Jugendlichen. 772 Licht-Stelen strahlen in der Dunkelheit und sollen so dem Vergessen entgegenwirken.

Links:

Mak – Museum für angewandte Kunst: Stubenring 5, www.mak.at
Wiener Konzerthaus: Lothringerstraße 20, 1030 Wien, www.konzerthaus.at
Verbund Zentrale: www.verbund.at
Uniqua Tower: www.uniqa.at
http://www.wien.gv.at/verkehr/licht/
http://www.electric-church.at/konzerte
Donau Techno: Karl Schweighofer Gasse 10, 1070 Wien, Mo-Do 20-4, Fr-Sa 20-6, So 20-2 Uhr http://www.donautechno.com und https://www.facebook.com/Donautechno?rf=218493618186226
Wiener Christkindlmärkte: http://www.christkindlmaerkte.at/wien.html
Sofitel: http://www.sofitel.com

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Geschrieben von Sandra Schäfer