Es war einmal ein junger Mann, der Maler werden wollte. Es war einmal derselbe junge Mann in Paris. Weil die Wohnung des Mannes so kalt war, suchte er Wärme in der Cinematheque und hat dabei seine Liebe für das Kino entdeckt. An die 50 Filme hat er mittlerweile selbst realisiert. Noch mehr Fotografien hat er geschossen. Seit seiner Jugend ist Wim Wenders auf Reisen.

„Einmal fuhr ich nach …“ – ein Satz, den man im Metro Kinokulturhaus noch bis Anfang Juni oft lesen kann. Ermüdend ist er trotzdem nicht. Denn jedem „fuhr ich“ folgt eine Mischung aus Erinnerungen, Gedankensplittern und Stimmungsbildern nach – abgedruckt wurden sie neben der Wand einer Fotografie aus den frühen Jahren des Weltenbummlers. Eine Zeit, bevor Wim Wenders, wie er selbst meint, Fotograf wurde; bevor er den amerikanischen Westen mit einer Mittelformatkamera erkundete und das Fotografieren ernst nahm und bevor Ausstellungen und Bücher folgten.

Aus der Zigarrenkiste

Verstecken muss sich sein fotografisches Frühwerk trotzdem nicht. Mittels 35mm Schwarzweiß-Kleinbildformat, Polaroid, aber auch Farb- und Panorama-Aufnahmen fängt Wenders Momente auf seinen Reisen ein – in die USA, nach Australien, Island und vielen Ländern mehr.
Das Fotografieren beschreibt er seit seiner Kindheit (mit sechs Jahren bekommt er seine erste Kamera geschenkt) als etwas, das das Erlebte deutlicher werden ließ, ein verstärktes Sehen und damit eine intensivere Auseinandersetzung. „Ich mochte den Akt des Fotografierens“, so Wenders. Abzüge hat er damals kaum gemacht. Erst mit der Polaroid-Technik wurde das Aufgenommene handfest. Trotzdem verschwanden die Bilder irgendwann in einer Zigarrenkiste, wo sie erst nach Jahren wiederentdeckt und der Wim Wenders Stiftung, die die Ausstellung in Zusammenarbeit mit der Londoner Kunstgalerie „Blain|Southern“ und dem Metro Kinokulturaus realisiert hat, übergeben wurden.

Heute merkt man den Bildern den Zahn der Zeit an. Ein Fehler in der Oberflächenschicht hat zudem bei einigen Aufnahmen zu diversen Bruchstellen geführt. Der Wirkung tut dies jedoch keinen Abbruch. Im Gegenteil – vieles erhält erst dadurch seinen besonderen Reiz. Einige der Fotografien wirken heute so wie es sich Wenders damals gewünscht hätte, weiß die Kuratorin der Schau Anna Duque y Gonzalez.

Die von ihm zehn Jahre bevorzugte Polaroid-Fotografie beschreibt Wenders selbst als einen „unschuldigen poetischen Zwischenzustand“, die durch ihre Möglichkeit der sofortigen Ansicht Nähe zur digitalen Fotografie aufweist. Der Digitalfotografie steht Wenders – nicht zuletzt auf Grund ihrer starken Manipulierbarkeit – jedoch skeptisch gegenüber. Dass er „als letzter Mohikaner“ überlegt auf digitale Technik umzusteigen hat seinen Grund in den „Scheiß Flughafenscanner“, die einem den Film ruinieren.

An vorderster Front

War Wenders in punkto Digitalfotografie lange Verweigerer, wirkte er bei der digitalen Revolution im Film hingegen an erster Stelle. Für „Bis ans Ende der Welt“ drehte er mit damals sich noch in der Entwicklung befindlichen High Resolution Kameras und einem ganzen Technikerteam im Nacken.

Und auch „Buena Vista Social Club“ hätte laut Wenders mit analogen Techniken nicht entstehen können. Die permanente Nähe zu den Musikern, dieses Verschmelzen wäre aufgrund der begrenzten Aufnahmezeit des Celluloid-Films und der Geräusche der Kamera nicht möglich gewesen.

Aber auch mit Video sammelte der Filmemacher im Zuge seines Schaffens Erfahrungen. In „Lightning Over Water“ – ein zwischen Fiktion und Dokumentation angesiedeltes Werk, das gemeinsam mit dem todkranken Filmemacher Nicholas Ray entstand – stehen die eingeflochtenen Videoaufnahmen für die hässliche Wahrheit des Krebses. Für alle anderen seiner Filme fand Wenders das Medium allerdings unpassend. Am liebsten, so betont er, hätte er den Käufern seiner Filme auf Video ihr Geld zurückgegeben.

Umfangreichste Retrospektive

Noch bis 28. Februar können sich Fans, Film-Enthusiasten und alle, die neugierig geworden sind, selbst im Kino ein – zum Teil restauriertes – Bild machen. Mit rund 50 Arbeiten ist die Retrospektive im Kinokulturhaus, die zeitgleich mit der Ausstellung startete, die umfangreichste, die bis jetzt je gezeigt wurde.

Und das Œuvre wächst. Aktuell denkt der Filmemacher, der zuletzt auf Einladung des Vatikans einen Film über Papst Franziskus („Pope Francis: A Man of His Word“) drehte, über ein Projekt über Frieden nach. Geht es nach Wenders Vorstellungen kommen in den nächsten Jahren noch einige weitere Dokumentationen hinzu. „Die Realität ist immer einen Film wert“, so der mittlerweile 73-Jährige.

Wim Wenders
Frühe Photographien 60er-80er Jahre

Noch bis 9. Juni 2019
METRO Kinokulturhaus
Johannesgasse 4
1010 Wien

Wim Wenders
Weltreisender
Retrospektive Teil 1: Noch bis 4. Februar 2019
Retrospektive Teil 2: 6. – 28. Februar 2019

www.filmarchiv.at

Titelbild: Wim Wenders © by Peter Lindbergh 2015

Geschrieben von Sandra Schäfer