Vereinsmeierei ist bekanntlich nicht jedermanns Sache. Tatsächlich hauchen nur eine Hand voll Leute den Clubräumlichkeiten für Modellbau Leben ein. Über 30 Clubs sind insgesamt in den Wohntürmen Alterlaas beheimatet. Bianca Gleissinger hat einige von ihnen besucht. Glaubt man den Bildern des fast leeren Fotoclubs (den übrigens mein Großvater mit Begeisterung besuchte) so sieht die Situation auch in den anderen Clubräumlichkeiten nicht besser aus. Von der aktuellen Besucherzahl auf den (gemeinschaftlichen) Zustand der Wohnsiedlung schließen zu wollen, wäre jedoch schlichtweg fatal. Man kann in Alterlaa gut leben, ohne sich in einem Verein zu betätigen – ein freundliches Hallo zu seinen Nachbarn im Lift tut es auch. Diesbezüglich unterscheidet sich Alterlaa wohl kaum von anderen Siedlungen beziehungsweise vom Leben in anderen Wohngegenden (wer beispielsweise seit Jahren im selben Bezirk wohnt, wird sich auch hier wie in einem Dorf vorkommen. Von manchen Vereinen organisierte Treffen sind oft schlecht und von immer denselben Personen besucht). Und doch löst Alterlaa nach wie vor bei den Menschen eine große Faszination aus. Erzählt man den Leuten, man ist in Alterlaa aufgewachsen, wird man mit ziemlicher Sicherheit im Anschluss mehrere Fragen beantworten müssen. Nach wie kennen viele Wiener die Türme nur vom Vorbeifahren oder vom Flugzeug aus. Vor allem manche Nicht-Österreicher schauen skeptisch, wenn man ihnen erklärt, dass es hier keine Stellen für Sozialarbeit braucht. Egal was man von Alterlaa denkt, „egal, ob man Alterlaa liebt oder hasst: Jeder kennt Alterlaa. Das macht schon was mit einem, wenn man dort groß wird“, sagt Gleissinger im Interview mit dem hiesigen Filmverleih. Und sie hat recht.
Nach wie vor bewerten über 97 Prozent der Bewohner die Wohnzufriedenheit überdurchschnittlich gut (würde man in Schulnoten rechnen erhält Alterlaa fast nur Einser und Zweier). Woran liegt das? Zumindest für die Verfasserin dieses Artikels führt die Liste für die Mieterzufriedenheit das am Dach der Türme gelegene Freibad an. Aber auch die Hallenbäder und Saunaanlagen, die Hallen-Tennisplätze, die Kinder-Schlechtwetterspielpätze, die integrierten Einkaufsmöglichkeiten im Kaufpark etc., sind kein Luxus (wie manche Kritiker des Wohnparks im Vorfeld verlautbaren ließen), sondern vielmehr ein Schlüssel zum guten Wohnen. Für Architekt Harry Glück – der ab den 1970er-Jahren im Architekturkonsortium Glück-Hlaweniczka-Requat-Reinthaler Alterlaa die über 3.000 Wohnungen für knapp 10.000 Menschen zu planen begann – war der Zugang zum Wasser (und die Möglichkeit darin wie das Kind im Mutterleib zu schweben) essenziell. Weitere Kriterien zum schönen zufriedenen Wohnen stellten für den Architekten eine gute Aussicht und der Zugang zur Natur dar. Dinge, die nicht nur in den diversen Lustschlösschen – man denke etwa an das Belvedere, das in Höhenlage errichtet mit Gartenlandschaften bereichert und integrierten Brunnenanlagen ausgestattet wurde – sondern auch in Alterlaa reichlich vorhanden sind. „Leben wie die Reichen“ lautete damals eine der Devisen, die Gleissinger in ihren Film aufgenommen hat. „Pools für die Proleten“ eine weitere.
Doch wer sind oder vielmehr im Falle von Gleissinger waren diese Bewohner, die ab Herbst 1976 hier eingezogen sind. Vielfach waren es junge Familien mit Kindern, wobwi die Eltern nicht selten als Kinder noch in Zimmer, Küche, Kabinett aufwuchsen. Auch Gleissingers Eltern zählten einst zu den Mietern. Doch die Ehe ging in die Brüche und die spätere Regisseurin musste ausziehen. Jahre später kommt Gleissinger zurück, um einen Film zu drehen.
Das Ergebnis ist eine humorvolle Spurensuche zu den eigenen Wurzeln und zu dem, was die Menschen – vorwiegend sogenannte Alt-Erlaa-Pioniere – einst bewegte hier einzuziehen und darüber, wie sie ihr Leben hier über die Jahre gestaltet haben. Als unerwartet interessant erweist sich dabei ein Blick auf das Bild der Frau, die zurücksteckt, um den Mann bei seiner Karriere zu unterstützen oder ihm Platz für seine Hobbys einräumt. Dieses Bild zieht sich (zugegeben wie ein sehr dünner) roter Faden durch den Film, sagt jedoch einiges über die sich wandelnden (Geschlechter-)Verhältnisse der letzten Jahre aus. Als Vertreter der Next Generation sehen wir einen jungen Urban Gardener, der mit seinem Sohn in Alterlaa lebt. Der Mann mittleren Alters scheint es jedoch, nach eigenen Aussagen und auch wenn man sich die Szenen bei der Mieterbeiratssitzung anschaut, nicht immer leicht zu haben. Alterlaa als Altersheim herabzuschmähen – als das es auch schon kritisiert wurde – würde jedoch zu weit führen. Ein Blick darauf, was junge Familien aktuell bewegt hat hierherzuziehen und wieso manche ehemals hier Aufgewachsene wieder zurückkommen, hätte dem Film allerdings gutgetan – aber wohl vermutlich den Rahmen gesprengt. Alles in allem liefert „27 Storeys – Alterlaa Forever“ einen kurzweilig unterhaltsamen Einstieg, um über das Thema Wohnen und soziale Gerechtigkeit nachzudenken. Man darf gespannt sein, welches Thema nach ihrem autobiographisch gefärbten Debüt die Regisseurin als nächstes angeht. Wie aktuell das Thema Alterlaa nach wie vor ist, zeigt jedenfalls nicht zuletzt ein Artikel, der kürzlich in der New York Times über den Wohnpark erschienen ist. In Zeiten, wo die Mieten steigen und Wohnen erneut immer mehr zum Luxus wird, definitiv ein brandaktuelles Thema.
27 Storeys – Alterlaa Forever. Ein Film von Bianca Gleissinger. Aut/Dt. 2023. 82 Minuten.
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