Sanft fällt das Licht durch das Laub, blau leuchtet es über den Bäumen im Dunkel der Nacht, eine Fahrbahn führt ins Nichts – der deutsche Dokumentarfilmer Claus Withopf verwendet experimentelle Aufnahmen, um Textstellen aus Liedern der englischen New-Wave-Ikone Anne Clark ins Bild zu setzen. Verbunden mit Konzertmitschnitten, altem Musikvideomaterial und intimen Interviews ist daraus ein durchaus ansehnlicher Film geworden, der weniger mit nüchternen Fakten und Informationen aufwartet als die Betrachter vielmehr einlädt das Universum der Anne Clark Schritt für Schritt, Szene für Szene, zu erkunden; ein Film, der nicht so sehr eine Musikerdoku als vielmehr ein poetisch gefärbter Reisebericht ist. Ein Bericht zu einer Reise, die für die junge Kunstschaffende in einem Arbeiterstadtteil von London in den 80er Jahren ihren Anfang nahm. Hier wurde Clark mit der Punkbewegung vertraut. Es war eine Zeit des Aufbruchs, ein „anything goes“, in der auch ein Mädchen aus der Arbeiterschicht mit Geräuschen von der Straße, Synthesizer-Klängen und selbstgeschriebenen Gedichten zur Ikone werden konnte.
Unerfahren wie sie ist, wird sie jedoch von ihrem Manager übers Ohr gehauen und von der Plattenfirma mit Drohungen überhäuft. Es folgt der Rückzug nach Norwegen, in die Natur, die Clark zu neuen Songtexten inspiriert. Es sind Texte vom Leben in lieblosen, anonymen Großstädten, düstere Zukunftsszenarien und von Vergänglichkeit.
„I don’t need your gods“ singt sie und richtet sich damit gegen religiöse Dogmen und Unterdrückung. Gewalt und Intoleranz sind für die Sängerin, die in ihrer Jugend wenige Monate in einer psychiatrischen Klinik arbeitete und den respektlosen Umgang mit den Patienten hautnah miterlebte, ein rotes Tuch. Szenen wie diese, wenn Clark auf dem Gelände der ehemaligen Klinik über ihre Erfahrungen spricht, liefern nicht nur Stoff für so manchen Roman, so manches Gedicht, sondern geben Einblicke in die Gedankenwelt einer Künstlerin, die Musik und Poesie auf besondere Weise zu verbinden versteht. In ihren Texten braucht es – ganz im Sinne Rilkes, den sie bewundert – nur wenige Worte, um die Imagination der Zuhörer anzuregen. Vorgetragen in dem ihr eigenen Sprechgesang und untermalt von avantgardistischen Klassik-, Folk- und Rockelementen hat sie sich mit ihrem unvergleichlichen Stil in die Musikgeschichte eingeschrieben. „I’ll walk out into tomorrow“ bleibt von Anfang bis Ende nah an der Künstlerin. Manchmal wünscht man sich zwar, dass auch der eine oder andere Zeitgenosse und Wegbereiter zu Wort kommen würde – der Qualität der Doku, an der Withopf beachtliche zehn Jahre gearbeitet hat, tut das jedoch keinen Abbruch. Sowohl sehens- als auch hörenswert!
Anne Clark: I’ll walk out into tomorrow. Ein Film von Claus Withopf. Deutschland 2018. 84 Minuten
Kinostart: 06. Mai 2018
© Fotos: Filmladen Filmverleih
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