Seit 18 Jahren bahnen sich Besucher des „Theater im Bunker“ in die Tiefen des Mödlinger Stollensystems gleich menschlichen Gehirnwindungen folgend zwischen seelischen Untiefen und phantastischen Höhenflügen ihren Weg. Jeden Sommer wird im rund 900 Meter langen Tunnelgewölbe Theater geboten, das seine Inspiration aus Träumen, Ängsten und dem Schaffen von mit dem Abgründigen und Geheimnisvollen vertrauten Schriftstellern schöpft. Dieses Jahr heißt der Quell der Inspiration E.T.A. Hoffmann. Der Weg der Besucher führt von mörderischen Sandmännern vorbei an der Aufklärung trotzenden Feenwesen bis hin zum Saufgelage mit Phantasiegestalten – ein Umtrunk mit skurrilem Miaaaaau. Denn ähnlich Edgar Allan Poe, dem das Theater im Bunker 2011 und 2012 seine Aufmerksamkeit schenkte, war das Leben des deutschen Schriftstellers von Alkoholexzessen und sein Werk von unheimlichen Gestalten geprägt. Selbstherrliche Kater, die anderen als Philister das Leben schwer machen, verführerische Automatenfrauen und Alchemisten, die Kindern die Augen ausreißen: Hoffmanns Phantasiegestalten ziehen noch heute unzählige Leser in ihren Bann.

Zwischen den eigenen Geschöpfen

Im Bunker sind es vor allem Figuren aus Hoffmanns „Der Sandmann“, die hier ihr Unwesen treiben. (Während andere literarische Schöpfungen wie der berühmte Kater Murr lediglich so etwas wie einen Cameo-Auftritt hinlegen.) Dazwischen blitzen immer wieder Ereignisse aus dem Leben ihres Schöpfers auf. An erster Stelle Hoffmanns Strafversetzung ins polnische Plock, mit der der Theater-Parcours wenige Meter nach dem Eingang zur Bunkeranlage seinen Anfang nimmt.
In 21 Stationen wandern die Zuschauer nach dem „Geisterbahn-Prinzip“ – hinter jeder Ecke etwas Neues – zu Meilensteinen aus Hoffmanns Leben: Von dessen zeitweiligem Brotberuf als Beamter und Untersuchungsrichter, der gegen Liberale ermitteln soll, bis hin zu seinem Wirken als Komponist und Musiklehrer. Allerdings ist es nicht Hoffmann, sondern sein Alter Ego Kapellmeister Kreisler, der hier hinter dem Klavier sitzend über bürgerliche Behäbigkeit und Eitelkeit sinniert. Solche Verwirrspiele sind typisch für die Inszenierung, in der Leben und Werk des Schriftstellers eine Mélange eingehen.

Grandioses Raumkonzept

Inspirieren ließ sich Bruno Max für seine „Nacht.Stücke“ von Hoffmanns Werken, Briefen, preußischen Staatsakten und einer Schrift über die Behandlung von Wahnsinn aus dem Jahr 1818. Letztere kommt in einem Besuch Nathanael in der Irrenanstalt zu tragen. Gelungen an dieser Szene ist – trotz überzeugender schauspielerischer Leistung – in erster Linie das Bühnenbild, in dessen Mitte ein großer hölzerner Drehkäfig thront. Nicht das einzige atemberaubende Requisit des Abends. Die grandiose Tunnelraumgestaltung von Marcus Ganser bildet auch heuer wieder das Grundrezept für ein gelungenes Theatererlebnis. Besonders beeindruckend, die Werkstatt des Coppelius (in dieser Szene gespielt von Bruno Max), in der man sich gerne näher umsehen würde. Zu schnell wird man allerdings zur nächsten Station geleitet. Doch auch wenn man manchmal länger verweilen möchte, macht es schlicht und einfach Spaß sich am Rocksaum eines wunderbaren Kostüms von Alexandra Fitzinger hängend von Raum zu Raum weiter treiben zu lassen. Reizvoll aufgrund der im Gewölbe herrschende Kälte (in den Tunneln steigt der Thermometer nie über 14 Grad) ist auch der gelegentlich sichtbare Atem von Zuschauern und Schauspielern, der manchen Szenen zusätzlich etwas Gespenstisches verleiht. Applaudieren kann man dem rund 60köpfigen Ensemble am Ende allerdings nicht. Sie spielen bereits für die nächste Gruppe von Zuschauern, die sich in der labyrinthartigen Anlage verzaubern lassen will.

Nacht.Stücke
Die seltsamen Leiden des E.T.A. Hoffmann
Ein extravagantes Stationentheater
Im Luftschutzstollen Mödling, Brühlerstrasse.
Spielzeiten: 18. August bis 4. September 2016, immer donnerstags bis sonntags Information und Kartenreservierung: 01 / 544 20 70
E-Mail: [email protected]
Homepage: www.theaterzumfuerchten.at

@ Fotos: Bettina Frenzel

Geschrieben von Sandra Schäfer