Es ist ein Thema fast so alt wie die Menschheit – die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen. Selbst im digitalen Wissens-Zeitalter des 21. Jahrhunderts ist trotz des über Dekaden mühsam erreichten Fortschritts auch hierzulande ein immer noch bestehender Spalt nicht zu übersehen. Handlung als permanenter Prozess tut not.

Es war ein Meilenstein in der Geschichte der Auseinandersetzung in Österreich um die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern – der vor 100 Jahren erfolgte Beschluss über das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht auch für Frauen. Ein Recht, das sich die Männer bereits 1907 erkämpft hatten. Bei der Wahl zur konstituierenden Nationalversammlung im Februar 1919 durften die Frauen erstmals ihre Stimme abgeben. Eine Möglichkeit, von der sie mit einer 82 Prozent Wahlbeteiligung regen Gebrauch machten. Dennoch spiegelte die Zusammensetzung der Nationalversammlung keinesfalls auch nur den Hauch von Parität wider. In Summe bloß acht Frauen – und damit fünf Prozent – der Abgeordneten waren weiblich, davon sieben Sozialdemokratinnen.

Verstaubtes Familienbild

Die drei „K“ dominierten vor allem in konservativen Kreisen bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts das den Frauen zugeordnete Aufgabengebiet – Kinder, Küche, Kirche. Obwohl die Frauen unentwegt bewiesen hatten, dass sie längst nicht mehr – und eigentlich niemals – fälschlicherweise als das genannte „schwache Geschlecht“ in dieses Kastelsystem eingeordnet werden konnten. Frauen stellten im Rahmen unzähliger Herausforderungen – auf überholter Redensweise basierend – „ihren Mann“. Sei es bei der Versorgung der Kriegsopfer, in den Fabriken am Fließband, beim Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur nach dem alles vernichtenden Zweiten Weltkrieg.

Auf ihren Schultern lastete zudem ein leider von all zu vielen Zeitgenossen schlichtweg übersehenes beziehungsweise negiertes überschweres Gewicht – die möglichst reibungslose Vereinbarung zwischen Beruf und Familie. Ein auch heute noch überaktuelles Thema. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die von der ehemaligen Frauenministerin Helga Konrad formulierte 50 zu 50 Prozent Arbeitsteilung von Männern und Frauen im Haushalt leider noch immer nicht als Selbstverständnis in die Köpfe allzu vieler Männer gedrungen ist.

Die Zäsur der 70er Jahre

Das Jahr 1970 war und ist bis heute in vielen Belangen ein auch und vor allem für die Frauen markante Zäsur. Trat doch damals die SPÖ-Regierung unter dem heute legendären Bundeskanzler Bruno Kreisky ans Steuerruder der Zweiten Republik. Unter dem Slogan „Österreich modernisieren“ wurden Zug um Zug die gesellschaftspolitischen Umfeldbedingungen der Zeit angepasst. Auch und vor allem bezüglich der Gleichstellung der Frauen. Diese war vor allem auch von der 1968-Bewegung stark forciert worden.

Mit der großen Familienrechtsreform wurden bis 1975 uralte, verstaubte und damit dem Zeitgeist nicht mehr entsprechende gesetzliche Regelungen über Bord geworfen. Das alte Familienrecht ging in seinem Kern auf das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch des Jahres 1811 zurück. Dieses hatte eine Form der Familie festgeschrieben, die Mann zum „Haupt der Familie“ erklärte und Frau und Kinder seinem Führungsanspruch unterstellte.

Heute undenkbar, aber bis in die zweite Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gelebte Realität: Frauen durften letztlich ohne Zustimmung ihres Ehemannes keinen Beruf ausüben, kein Zeugnis der gemeinsamen Kinder unterschreiben, die kaufmännische Handlungsfreiheit war für Frauen ebenfalls begrenzt, der so genannte „Haushaltsvorstand“ – in Familien in der Regel der Mann – war gegenüber den staatlichen Institutionen nicht nur der Ansprech-, sondern auch der letztlich bestimmende Faktor. Neben der Familienrechtsreform und der Fristenlösung wurden auch durch das Gleichbehandlungsgesetz von 1975 wesentliche Verbesserungen für Frauen in Österreich erreicht. Frauen und Männer werden erstmals rechtlich gleichgestellt. Das Gesetz hob unter anderem die Unterscheidung zwischen Frauen- und Männerlöhnen in den Kollektivverträgen auf.

Nicht zuletzt in Sachen Frauengesundheit wurden unter Kreisky wesentliche Fortschritte gemacht. Die Einführung des Mutter-Kind-Passes, der die Säuglingssterblichkeit erheblich reduzierte, die Verlängerung der Schutzfrist für Mütter nach der Geburt, die Anrechnung der Karenzzeit für die Pension sowie die österreichweite Einrichtung von Frauenhäusern trugen dazu bei, die Situation für Frauen in Österreich maßgeblich zu verbessern.

Der Kampf um den §144

Heute von vielen BürgerInnen leider vergessen. So wie auch der leidenschaftliche Kampf um die im November 1973 beschlossene Abschaffung des berüchtigten §44 des Strafgesetzbuches, der Schwangerschaftsabbruch nahezu ausnahmslos und beinhart unter Strafe stellte. Frauen hatten über ihren Körper kein Selbstbestimmungsrecht. Jedem ist natürlich unbehalten über die nunmehrige Fristenlösung zu denken und argumentieren wie er will. Doch bei allen Meinungsdifferenzen über diese Thematik sollte das Leid vieler verzweifelter Frauen nicht beiseite geschoben werden. Eine Folge des § 144 war nämlich eine im wahrsten Sinne des Wortes unter der Decke gehaltene „Abtreibungspraxis“, die es wohlhabenden Frauen im Zuge eines gewollten Schwangerschaftsabbruches ermöglichte, entweder eine „Kur“ im Ausland zu absolvieren, oder sich gegen hohes „Bares“ von fachkundiger, medizinisch bestens ausgebildeter Hand unter entsprechender Verschwiegenheit den entsprechenden Eingriff vornehmen zu lassen. Jene, die nicht über genug Geld im Börsel verfügten, landeten nicht selten auf dem Tisch von – wie es der Volksmund ausdrückte – „Engelmacherinnen“, wo sie im schlimmsten Fall verbluteten. Die Zeitungen und letztlich die Gerichtssäle waren damals voll mit solchen Fällen.

Ohne Frauenpower geht nichts mehr

In den letzten Jahrzehnten hat sich das Bild der Frau in der Gesellschaft insgesamt erfreulich gewandelt. War ja auch längst an der Zeit und ein hartes Stück Arbeit gegen die beharrende Gruppe der in ewiggestrigen Kategorien Denkenden. Faktum ist: Frauen stellen nicht nur etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung, sie bilden unter anderem die Mehrheit der Studierenden an den Universitäten, üben ihre Beruf in zahlreichen Sparten aus, die bis vor wenigen Jahrzehnten allein Männern vorbehalten waren. Die Gleichstellung der Geschlechter wird erfreulicherweise auch von immer mehr Männern akzeptiert und ist bei diesen durchaus willkommen. Hand aufs Herz: Ohne Frauenpower geht heute ohnehin kaum mehr etwas.

Idealbild alles andere als vollendet

Trotzdem ist nicht alles Gold, was auf den ersten Blick zu glänzen scheint. Unter anderem im Bereich der Löhne. Noch immer verdienen Frauen bei gleichwertiger Tätigkeit um durchschnittlich ein Fünftel weniger als Männer, sind noch immer zu wenig Vertreter des weiblichen Geschlechts in den Vorständen großer Unternehmen und in deren Aufsichtsräten vertreten und gleicht die Vereinbarung zwischen Beruf und Familie in den meisten Fällen einer Seiltanzakrobatik. Erschwert durch nicht gerade arbeitnehmerfreundliche Gesetze wie der Zwölf-Stunden-Tag und die 60-Stunden-Woche, die es gerade Frauen mit Familien immens erschwert, die Lösung der Herausforderungen unter einen Hut zu bringen.

100 Jahre Frauenwahlrecht – sicherlich ein großer Schritt für die Frauen und dennoch nur ein Puzzlestein in der Debatte über die Gleichberechtigung. Es gibt noch viel, sehr viel zu tun. Nichts fällt vom Himmel, nahezu alles muss einer insgesamt noch immer von überwiegend maskulinem Denken dominierten Gesellschaft abgerungen werden. Die Reife einer pluralistischen demokratischen Gesellschaft muss auch danach beurteilt werden, wie sie es mit der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern hält. Noch ist offensichtlich das Idealbild alles andere als vollendet.

Ausstellung zum Frauenwahlrecht

Die Wahlzelle
„Sie meinen es politisch!“ 100 Jahre Frauenwahlrecht vor Ort
2. bis 22. November in der Aula der Universität Wien, Schottenring 1, 1010 Wien
24. November bis 31. Jänner im Juridicum, Renngasse 6-8, 1010 Wien
8. März 2019 im Volkskundemuseum Wien (zu sehen bis 25. August 2019)

Ein Projekt der Österreichischen Gesellschaft für Zeitgeschichte (ÖGZ) und des Johanna Dohnal Archivs in Kooperation mit dem Volkskundemuseum Wien, dem Frauenmuseum Hittisau, dem Kreisky-Archiv und dem Audiovisuellen Archiv.

http://frauenwahlrecht.at/

Geschrieben von Stefan Weinbeisser