„Unförmig, beinahe gesichtslos, ein Mann dessen Antlitz eine Karikatur ist“, schrieb Dorothy Thompson 1931 über Adolf Hitler. Nach ihrem berühmt gewordenen Interview im Hotel Kaiserhof in Berlin war sie überzeugt, dass dieser Mann in Deutschland niemals die Macht übernehmen würde. Ein „Fundamentalirrtum“ wie sie später bekannte. Hitler war für sie der Prototyp des „Kleinen Mannes“ – etwas das sich jedoch als seine Stärke herauskristallisieren sollte. In „I saw Hitler“, das nach dem Abdruck im „Cosmopolitan Magazin“ 1932 erstmals auch in Buchform erschien, gelang ihr ein eindringliches Portrait der Person des Führers. Gekonnt sezierte sie darin die Psychologie seiner Anhänger und schilderte – dokumentiert mit 40 Bildtafeln – den Aufstieg der Nationalsozialistischen Partei in Deutschland. Die Publikation fand nicht nur in Amerika, sondern auch in Deutschland starke Beachtung. Hitler soll ihr dieses scharfsinnige nicht schmeichelhafte Portrait seiner Person nie verziehen und persönlich den Befehl zu ihrer Ausweisung veranlasst haben. Vor allem NS-Propaganda Minister Goebbels empörte sich in gewohnt misogynem Tonfall über die unangepasste und intelligente Journalistin.

1893 in Lancaster, New York, geboren setzte sich Dorothy Thompson nach absolviertem Studium bereits früh im Rahmen der „Women Suffrage Campaign“ für das Wahlrecht der Frauen ein. Als eine der wenigen weiblichen Journalistinnen arbeitete sie in der Zwischenkriegszeit für große US-Tageszeitungen wie „The New York Evening Post“ als Korrespondentin in Europa. Zuerst in Wien stationiert, ging sie 1924 nach Berlin, wo sie den Aufstieg der NSDAP in Deutschland hautnah miterlebte. Zu ihrem Bekannten- und Freundeskreis zählten Künstler wie Stefan Zweig, Bertolt Brecht, Ödön von Horvath, Thomas, Klaus und Erika Mann, Fritz Kortner oder Carl Zuckmayer und Alma Mahler. Viele von ihnen traf sie später während deren Zeit im Exil wieder. Thomas Mann soll sie einmal „als wirklich große Journalistin“ bezeichnet haben. Vor allem aber prägte sie mit ihren Artikeln und Radioauftritten das Bild der Amerikaner vom NS-System. Thompson gilt als eine der wenigen JournalistInnen, die schon frühzeitig vor Völkermord warnten. Mit ihren Berichten sprach sie sich jedoch auch gegen eine deutsche Kollektivschuld aus und prangerte die Gleichgültigkeit gegenüber dem Elend der durch den Nationalsozialismus Verfolgten an. Sie war Mitglied in der Vereinigung „American friends of German Freedom“ und Mitbegründerin des „Emergency Rescue Committee“ und der „World Organization of Mothers of All Nations“ – eine Organisation, die aktiv daran teilnahm das Leben und die Stellung von Frauen in der Gesellschaft zu verhandeln.

„Ich traf Hitler“ ist ebenso Zeitdokument wie hochaktuelle Studie zur Theorie des Populismus. Das Buch ist nun erstmals in deutscher Übersetzung mit allen Abbildungen der Originalausgabe von Prof. Oliver Lubrich (Universität Bern) bei DVB herausgegeben worden.

Wiederentdeckt: Maria Lazar

Ebenfalls zur Wiederentdeckung lädt auch das lange Zeit vergessene Werk von Maria Lazar ein. Lazar wurde 1895 in einer jüdischen, zum Katholizismus konvertierten Familie in Wien geboren. Nach dem Besuch der Schule von Eugenie Schwarzwald, der sie zeitlebens freundschaftlich verbunden blieb, begann sie selbst als Lehrerin an der Schule zu arbeiten. Lazar kam wie die meisten der Schülerinnen von Schwarzwald aus (groß-)bürgerlichen Verhältnissen. Sie konnte sich früh auch als Schriftstellerin, Publizistin, Übersetzerin und Dramatikerin einen Namen machen. Bereits mit 20 Jahren verfasste sie den Roman „Die Vergiftung“, der ebenso wie „Die Eingeborenen von Maria Blut“ bei „Das vergessene Buch“ erschienen ist. Während die junge Autorin in „Die Vergiftung“ (groß)bürgerliche Konventionen und Wertvorstellung anprangert, skizziert sie in „Die Eingeborenen von Maria Blut“ eine Gesellschaft am Vorabend des Nationalsozialismus. Der Roman wurde in der Saison 2019/20 am Wiener Akademietheater für die Bühne adaptiert.

Zählte Lazar lange Zeit zu jenen Autorinnen, die im Gegensatz zu beispielsweise Veza Canetti gänzlich vergessen wurden, so wurde vor allem auch ihr dramatisches Werk in den vergangenen Jahren verstärkt für die Bühne wiederentdeckt. Zuletzt war beispielsweise im Hamakom Theater „Der Nebel von Dybern“ zu sehen. Das Stück war 1932 unter dem Namen Esther Grenen – ein Pseudonym, dessen sich Lazar seit 1930 bediente – erschienen. Die Autorin, die ab 1933 im dänischen Exil lebte, thematisiert darin noch unter dem Eindrücken der Giftgasangriffe im Ersten Weltkrieg Verantwortung und Täterschaft in Bezug auf menschengemachte Katastrophen. In der Edition „Das vergessene Buch“ erschienenen ist zudem Lazars Roman „Viermal Ich“. Der Roman, der aus dem Nachlass herausgegeben wurde, widmet sich vier Freundinnen, die so unterschiedlich sind wie Tag und Nacht erscheinen, deren Schicksale dennoch untrennbar miteinander verbunden sind. Maria Lazar beschreibt darin das gemeinsame Aufwachsen der Mädchen sowie die erste Liebe in den gar nicht so goldenen Zwanziger Jahren. Es werden allerdings auch die dunklen Seiten der Freundschaft, Selbstbetrug, Verrat und Täuschung nicht ausgespart. Mit „An meinen unbekannten Leser“ und „Zwei Soldaten“ sind Ende November zwei weitere Werke von Maria Lazar im Verlag erschienen.
Auf weitere literarische „Schätze“, die in der Edition „Das vergessene Buch“ zukünftig gehoben werden sollen, darf man sich schon jetzt freuen!

https://dvb-verlag.at/

Geschrieben von Sandra Schäfer und Robert Fischer