Zu Beginn herrscht Dunkelheit, erhellt durch das schwache Licht einer Kerze, die von Medea (Anne Grabowski) gehalten wird während sie zum Monolog ansetzt. Ein nicht nur atmosphärisch, sondern auch zutiefst symbolträchtiger Auftakt. Denn Medea wirft Licht auf Ereignisse und Zustände, die manch einer gerne im Dunkeln lassen will. Eine Geschichte so alt wie die Menschheit selbst.
„Wenn unsere Kultur in Krisen gerät, fällt sie immer wieder auf das gleiche Verhalten zurück: die Schuld bei Außenseitern suchen, diese ausgrenzen, sie zu Sündenböcken stempeln“, hat Autorin Christa Wolf einmal in der Zeitung „Die Zeit“ gesagt. Medea ist nach „Kassandra“ der zweite Roman, in dem Wolf einen antiken Stoff einer Umschreibung unterzogen hat. Die berühmteste Kindesmörderin der Literaturgeschichte ist bei ihr nicht mehr wie in den vorangegangenen (männlichen) Versionen von Euripides und Grillparzer aus Verzweiflung zur Mörderin geworden, sondern die Tat wird ihr vielmehr in die Schuhe geschoben. Julia Kneussel und Martina Theissl haben die Geschichte, in der eine selbstbewusste Frau für das Machtstreben weniger als Unglücksbringerin instrumentalisiert wird, für die Bühne adaptiert.

Wie auch in Wolfs Vorlage sprechen die Beteiligten in abwechselnden Monologen ihre Sicht der Dinge an. Nicht zu Wort kommt dabei der Pöbel. Er ist Spielball der Mächtigen im Kampf um die Herrschaft und wird letztendlich für Medea und ihre Kinder zum Verhängnis. Als Fremde erregt die aus Kolchis stammende und mit Jason (Jan Hutter) auf seinem Schiff nach Korinth gekommene bald Aufsehen in der Stadt. Vor allem da sie selbstbewusst – voll Hochmut, wie die Leute sagen – ihres Weges schreitet. „Ich bin nicht von Kolchis weg, um mich hier zu ducken“ bleibt sie ihrer Überzeugung auch in der Fremde treu.

Intrige und Verrat im Königshaus

In das reiche Korinth ist die Königstochter mit anderen aus ihrem Volk gekommen um der Tyrannei ihres Vaters zu entgehen, der unter anderem den Tod ihres Bruders zu verschulden hat. Doch Jasons Pläne vom Aufstieg in Korinth scheitern an Medea, die sich als unbeugsame Frau mit eigenem Willen als Hindernis herausstellt. Zudem gelingt es der als Heilerin Tätigen hinter ein dunkles Geheimnis zu kommen, das man im Königshaus zu verbergen versucht; und so nimmt das Verhängnis weiter seinen Lauf. Von ihren Gegenspielern – allen voran der machtbesessene Akamas (Jens Ole Schmieder) und die ehemalige Schülerin Agameda (Petra Staduan), die sich von Medea stets schlecht behandelt fühlte – wird sie als Schuldige für den Tod ihres Bruders verleumdet. Als nach einem Erdbeben die Pest ausbricht, ist das Schicksaal Medeas und vieler anderer Kolcher besiegelt.
Die vermeintliche Hoffnung von einem besseren Leben in der Fremde hat sich in Luft aufgelöst, das reiche Korinth als Trugbild entpuppt. Flucht und Migration, das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Kulturen, lassen das Stück brandaktuell wirken. Nicht zuletzt jedoch ist Medea auch ein im hohen Maß feministisches Stück.

„Wenn die bösen Zeiten vorüber sind und wir alle zur Ruhe gekommen sein werden, sind die Männer wieder obenauf und die Frauen noch mehr geduckt“, heißt es am Ende. Glauke (ebenfalls hervorragend gespielt von Petra Staduan), Tochter des korinthischen Königs Kreon und neue Frau Jasons, wird zu diesem Zeitpunkt allerdings schon tot sein. Die junge Frau ist durch den verheimlichten Tod ihrer Schwester (das dunkle Geheimnis) schwer traumatisiert das Opfer einer Gesellschaft geworden, die lieber verschweigt und hetzt als Heilung und Unterstützung zu forcieren. Verdrängung, Unterdrückung und Verleumdung regieren die Stadt Korinth – bedrohlich in schwarzer Müllbeuteloptik korrespondierend zu den diversen Kleidungsstücken aus Leder der Schauspieler und Schauspielerinnen in Szene gesetzt. Nicht zuletzt aufgrund der durch die Bühnenbeleuchtung nahezu perfekt wirkenden Ausstattung (Caro Stark) und den atmosphärisch dichten Klängen (Markus Jakisic) ein überzeugender – leider nur allzu aktueller – Theaterabend.

Medea. Stimmen
Nach dem Roman von Christa Wolf
Noch 8. bis 18. März 2017 (Mi-Sa), 20.00 Uhr
Kosmos Theater
Siebensterngasse 42
1070 Wien
T +43 (0)1 523 12 26
www.kosmostheater.at

© Fotos: Bettina Frenzel

Geschrieben von Sandra Schäfer