Eine Drehgenehmigung hätte Ali Soozandeh nie bekommen. Ein anderes Land sei für ihn nicht in Frage gekommen – in Marokko oder Ägypten zu drehen wäre zu wenig authentisch gewesen. Die Alternative klingt im ersten Moment seltsam, wartet aber durchaus mit einem stimmigen Bild der iranischen Hauptstadt auf: „Teheran Tabu“ ist ein Animationsfilm geworden, gedreht mit realen Schauspielern, die vor einem Green Screen agieren.

„Rotoskopie“ nennt sich das Verfahren, bei dem die so entstandenen Aufnahmen später digital überzeichnet werden. Eine Technik, die vor allem mit Richard Linklaters „A Scanner Darkly“ einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangte. Während bei Linklater der gesamte Film in dieser Technik gedreht werden konnte, entstammen die Hintergrundbilder bei Soozandeh – von den Straßenzügen Teherans über die Wohnbauten bis hin zu den kargen, trostlos wirkenden Ämtern – allesamt aus dem Computer. Als Vorlage dienten ihm Fotos und gemalte Bilder der Stadt, die in einem monatelangen Prozess von 40 Künstlern mit den Aufnahmen der Schauspieler zusammengefügt wurden. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. „Teheran Tabu“ versteht trotz ästhetisch anmutender Verfremdungseffekte zu berühren, kippt dabei ungeachtet aller Drastik der Handlung jedoch nie in eine schwer auszuhaltende Tragik. Gründe sich vor Wut über diverse dargestellte Ungerechtigkeiten in seinem Kinosessel festzukrallen gäbe es reichlich.

Nichts ist wie es scheint

Die Erlaubnis seine CD zu veröffentlichen erhält auch der junge Musiker Babak nicht. Er ist einer von vier Protagonisten, die flankiert von ihren Familien und Freunden im Mittelpunkt der Handlung (auch das Drehbuch stammt von Ali Soozandeh) stehen. Geld verdient er sich mit Musikunterricht und als Musiker in einem Club. Als er nach einem One-Night-Stand auf der Toilette des Clubs für die Rekonstruktion eines Jungfernhäutchens aufkommen soll, erhält sein Leben eine tragische Wendung. Nicht das einzige Lebensmodell, das im Laufe der Handlung wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt.

Korruption und Doppelmoral bestimmen – bald für die Zuseher offenkundig ersichtlich – den Alltag im Iran. Bereits in der Anfangsszene sieht man einen Taxifahrer, der sich von einer Prostituierten (Elmira Rafizadeh als Pari) oral befriedigen lässt, und nur wenig später erbost seiner Tochter hinterherrennt, weil diese auf der Straße händchenhaltend mit einem Jungen spaziert. Für Pari und ihren fünfjährigen Sohn eine alltägliche Szene. Mittellos und von ihrem Mann im Gefängnis abhängig, wird sie die Geliebte eines Richters, der ihr in Aussicht stellt, die Scheidung von ihrem Mann voran zu treiben. Wie „ernsthaft“ er dieses Versprechen in die Tat umzusetzen versucht, kann man erahnen.

Einen größeren Überraschungseffekt bietet die Story rund um die Hausfrau wider Willen Sara. Hat man als Zuseher und Zuseherin zunächst den Eindruck das perfekte Bild einer frommen iranischen Familie vor sich zu haben, so wendet sich das Blatt mit Voranschreiten der Handlung zusehends in die andere Richtung. Nichts Geringeres als die Ehre der Familie steht auf dem Spiel.

Elias und Pari laufen durch den Schnee © Filmladen Filmverleih

Elias und Pari laufen durch den Schnee © Filmladen Filmverleih

Ein Film und seine Folgen

„Ins Gefängnis zu müssen oder Strafe zu zahlen ist nicht halb so schlimm, wie wenn Informationen durch die Polizei an die Öffentlichkeit kommen. Das bedeutet, dass all deine Nachbarn über dein Verbrechen Bescheid wissen“, beschreibt Soozandeh die Situation im Land. Ein Land, dem der  Regisseur im Alter von 25 Jahren den Rücken kehrte.

Eine lebensprägende Erfahrung, die er mit den allesamt aus dem Iran stammenden Schauspielern des Films gemeinsam hat. Zar Amir Ebrahimi, die im Film die Sara spielt, verließ beispielsweise das Land, als sie beschuldigt wurde in einen Sexskandal verwickelt zu sein. Als Motivation für die Rolle in „Teheran Tabu“ gab sie an, für mehr Respekt gegenüber Mädchen und Frauen in ihrer Heimat kämpfen zu wollen. Kein ungefährliches Unterfangen. Denn auch wer im Ausland offen seine Meinung über Unterdrückungsmechanismen ausspricht, riskiert Folgen. So hätten nach Aussagen von Soozandeh mehrere Schauspieler eine Rolle abgelehnt, weil sie Repressalien für ihre daheimgebliebenen Familien befürchteten. Ein in der Zeitung „Die Welt“ veröffentlichter Bericht über ein vermeintliches Erpressungsverfahren der iranischen Behörden, den Film nicht bei der Berlinale zu zeigen, verdeutlicht die angewandten Methoden. Im Artikel ist die Rede von Geiselhaft einer Kuratorin. Seine Premiere durfte der Film dennoch feiern, und zwar in Cannes. Ab 30. November ist „Teheran Tabu“ regulär auch in den österreichischen Kinos zu sehen.

Teheran Tabu. Ein Film von Ali Soozandeh. Mit Elmira Rafizadeh, Zahra Amir Ebrahim, Arash Marandi, Negar Nasseri, u.v.m. Deutschland, Österreich 2016. 96 Minuten.

Kinostart: 30. November 2017

© Filmladen Filmverleih

Geschrieben von Sandra Schäfer