Seit 16 Jahren ist er mittlerweile in Niederösterreich ein gern gesehener Gast; der „Platzhirsch Kultur“, der als Sujet des Festivals im Viervierteltakt (jedes Jahr wird das Festival in einer anderen der vier Regionen Niederösterreichs veranstaltet) in die kleinsten Regionen vordringt. 2017 schlägt er sein Revier erneut im Weinviertel auf und begibt sich dabei von A wie Angern nach Z wie Znaim. Im Gepäck, mit 66 Projekten und 150 Veranstaltungen, ein Kulturprogramm, das sich sehen lassen kann und vermutlich auch so manchen kulturverwöhnten Wiener zu einer Landpartie aufbrechen lässt.

Vor allem das Theaterprogramm versteht es heuer mit ungewöhnlichen Locations zumindest schon einmal Kulturfüchsinnen zu begeistern. Die Palette der Aufführungsstätten reicht vom stillgelegten Bahnhof in Pulkau, der als vorübergehende Bühne für „Die Heimkehr“ von Nobelpreisträger Harold Pinter fungiert, über das Projekt „Erinnerungstheater“ im Pflegeheim in Poysdorf (von und mit den Bewohnern) bis hin zum Retzer Erlebnisweinkeller, der sich für die Aufführung „Führerbunker. Berlin, April 1945“ in Adolf Hitlers letzten Aufenthaltsort verwandelt. Ebenfalls in die Tiefen (und Weiten) der bekannten Weinviertler Kellerlandschaft lockt die Produktion der Wortwerft in Herrnbaumgarten. Unter dem Motto: hinter jeder Ecke etwas Neues sollen diverse Konzertlesungen und Lichtprojektionen für einen stimmungsvollen Abend sorgen, an dem – wie es sich für einen Weinkeller gehört – auch das eine oder andere Achterl Wein nicht fehlen darf.

Historisches und Humoristisches zum Thema Grenze

Weniger feuchtfröhlich als vielmehr dramatisch aktuell geht es hingegen mit „Der Baggerfahrer“ zuerst im Gänserndorfer „Dakig (der andere Kulturverein im Grenzbereich)“ und später im „Himmelkeller“ in Kronberg zu. Das Stück nimmt den Monolog „Bagger“ des skandinavischen Erfolgsautors Henning Mankell zum Ausgangspunkt und beschäftigt sich ebenso mit aktuellen Fragen unserer Zeit – vom Umgang mit Flüchtlingen und dem erneuten immer stärkeren Aufkeimen der politischen Rechten – wie mit persönlichen Dingen wie den Umgang mit dem Altern.

Um den staatenlos gewordenen Migranten Ferdinand Havlicek geht es hingegen in betont humoristischer Weise in Ödön von Horváths „Hin und Her“. Als Bühne für die Grenz-Groteske wurde zum Thema passend die Zollstation in Angern ausgewählt. In den Stockerauer Lenausaal führt Neugierige das Stück „Blutdurst“ von Martin Genahl. Die Produktion vom Theaterunikat ist der Auftakt zu einer Reihe zum Thema „Donaumythos“ und handelt laut Programmheft von einem Fischer, der auf einen Werwolf trifft. Man darf also gespannt sein. Zum Einsatz sollen dabei ebenso multimediale wie musikalische und schauspielerische Mittel kommen.

Ungewöhnlich verspricht im Vorfeld auch die Vorführung von „der sturm lässt seine flügel sinken“ im Stockerauer Rathaus zu werden. Im Mittelpunkt des Abends stehen Nikolaus Lenaus letzten Jahre in der Irrenanstalt zu Oberdöbling. Begleitet wird die poetisch-performative Reinszenierung der letzten Lesung des Schriftstellers mit Life-Zeichnungen von Robert Petschinka.

Auf Erkundungstour

In nicht alltäglicher Begleitung befinden sich auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Stadtführung mit Figurentheater „Magic Mistelbach“. Frau Mistel (Cordula Nossek) und Herr Bach (Christian Pfütze) – zwei lebensgroße Figurentheaterpuppen – werden sich Geschichtsinteressierten als Führer anbieten.

Die theatralische Stadttour ist nicht die einzige Aufführung, die dazu einlädt sich mit der Geschichte der Region auseinanderzusetzen. So erinnert die Installation „Hochstand“ vor dem Schloss Wolkersdorf an die einst entlang des Eisernen Vorhangs platzierten Wachtürme, während die Ausstellung „drent & herent“ dazu einlädt sich mit der Geschichte der Grenzregion Hollabrunn und Znaim zu beschäftigen. Der Veränderung der Region widmen sich die Programmgestalter, dem diesjährigen Festivalmotto „Metamorphosen“ entsprechend, auch in Wolkersdorf. Im Rahmen eines audiovisuellen Spaziergangs können Interessierte Kunst, Architektur und persönliche Lebensgeschichten erkunden.

Einen Blick hinter die Fassaden bietet auch das Projekt „Hauptplatzgalerie“ in Sitzendorf a.d. Schmida bei dem die Bewohner historischer Gebäude ihre Türen für literarische Abende öffnen werden. Gelesen werden Texte über bekannte Metamorphosen (von Ovid bis Kafka). Mit der im Leben einschneidendsten Wandlung, der vom Leben zum Tod, beschäftigen sich auf der anderen Seite Marlen Schachinger, Markus Orths und Michael Stavarič in der Pfarrkirche Gaubitsch, in der die Besucher dieses Mal ein literarisches Requiem erwartet. Dem Wienerlied lauschen heißt es hingegen beim Weinviertler Wienerliedfestival in Großmugl. Aufspielen werden unter anderem das Kollegium Kalksburg, die Strottern und Agnes Palmisano sowie Wiener Blond. Nur eine von mehreren musikalischen Veranstaltungen des Festivals. Die Spannbreite reicht von „Elektrumtata. Musik zum Klang des Weins“ in Hollabrunn über „PHOEN extended. Musik aus dem Weinviertel“ bis hin zu dem Musiktheater „Momo und die Zeitdiebe“ in Wolkersdorf – letzteres eines von insgesamt 16 Schülerprojekten, die im Zuge des Festivals realisiert wurde.

Musikalisch wird es bereits zur Eröffnung am 5. Mai in Mistelbach zugehen. Beim so genannten „Völkerball“ soll mit den in Niederösterreich lebenden 57 unterschiedlichen Nationen die Vielfalt der Region gefeiert werden.

Viertelfestival Niederösterreich – Weinviertel
6. Mai bis 6. August 2017
an verschiedenen Orten im Weinviertel
https://2017.viertelfestival-noe.at

Geschrieben von Sandra Schäfer