Von findigen Werbern mit dem Synonym für übernatürliche Schönheit gewissermaßen geadelt, war der Höhenluftkurort Semmering Zentrum des einstigen In-Treffs des Adels und des wohlhabenden Bürgertums des Fin de Siècle des ausgehenden 19. Jahrhunderts.    

Weit hergeholt ist der zum Markenzeichen der Region avancierte Begriff nicht, allenfalls ein Plagiat, hatte doch der berühmte Schriftsteller Thomas Mann in einer seiner bekannten literarischen Schöpfungen in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Region um das schweizerische Davos bereits mit dem Titel „Der Zauberberg“ versehen.

Optische Augenweide

Dem Besucher des heimischen Zauberbergs mag das nicht tangieren, weil er auch hier mit einer optisch außergewöhnlichen Landschaft, wenn auch der anderen Art, konfrontiert ist, die zum Verweilen und Genießen – kurzum als Ort zum Baumeln mit der Seele einlädt. Statt Zwei- und Dreitausender mit Gletscherzungen sind die Höhenzonen am und um den Semmering zwischen eintausend (Sonnwendstein, Hirschenkogel) und zweitausend Höhenmetern (Rax und Schneeberg) begrenzt.  

Einstige Glanzzeiten

Auch wenn von früheren gesellschaftlichen Semmering-Glanzzeiten heute nur mehr Fragmente vor allem in architektonischer Hinsicht vorhanden sind, so sind ein Besuch und auch ein längeres Verweilen sehr lohnend. Landschaftsbezogene, palaisartige Architektur, eingebettet in üppige Natur. Bad Gastein in den Salzburger Tauern en miniature projiziert in das Voralpengebiet. Flaggschiffe der mit einer Vielzahl an historischen Villen reichlich gesegneten Region sind die Monumentalbauten des Panhans-, des Kur- und vor allem Südbahnhotels. Diese ehemals luxuriösen „Beherbergungsstätten“, waren allesamt Ausdruck eines Lebensgefühls der damaligen „Schönen und Reichen“, beziehungsweise was sie selbst dafür hielten. Oftmals über Jahrzehnte leer gestanden, wurde und wird in den letzten Jahren immer wieder versucht, den Objekten neues Leben einzuhauchen. Ein schwieriges Unterfangen. Haben sich doch nicht nur die Zusammensetzung der Gesellschaft insgesamt, sondern auch deren Freizeit- und damit Urlaubsgestaltungsmöglichkeiten auf andere Ebenen verlagert.

Schwerpunkt Tagestourismus

Heute liegt ein Schwerpunkt des Semmering-Tourismus zu einem großen Teil auf dem Tagestouristengeschäft. Nicht zuletzt durch den Sportbetrieb im Winter mit dem Höhepunkt des alljährlich stattfindenden Weltcup-Rennens der Damen im Bereich des Hirschenkogels. Auch wenn die Zahl der mehrtägig verweilenden Besucher aus den Nachbarstaaten Ungarn, Slowakische Republik und Tschechische Republik in den letzten Jahren stark zugenommen hat, so liegt der Focus der Tourismuswerbung auf dem Gast aus der Millionenmetropole Wien. Was nicht zuletzt mit der geografischen Nähe der Bundeshauptstadt leicht erklärbar ist.

Wanderparadies Semmering

Das Wandern ist bekanntlich vieler Menschen Lust. Dazu lädt die Region mit einem durchaus üppigen Angebot, das die Konkurrenz in weiten Bereichen Österreichs nicht zu scheuen braucht, ein. Die bekannteste und oft begangene Route ist wohl jene von der Eisenbahnstation Semmering zum Bahnhof Payerbach-Reichenau. Ein Trip vor allem zu Beginn entlang und in weiterer Folge großteils in sichtbarem Abstand zum Schienenweg. Zahlreiche Stellen entlang der Strecke bieten traumhafte Ausblicke auf die Berggipfel, in tiefe Schluchten beziehungsweise Einschnitte sowie auf das Eisenbahn-Gesamtkunstwerk Semmeringbahn, die seit 1998 zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Die Weglänge beträgt knapp 20 Kilometer, für deren Bewältigung rund sechseinhalb Stunden kalkuliert werden müssen.
Der Rundwanderweg Thalhof-Breitenstein-Semmering erfordert ebenso ein gewissen Maß an Kondition, weist er doch eine Strecke von fast 23 Kilometer auf. Mit einer fast siebenstündigen Wanderdauer, wobei in Summe rund 670 Meter Aufstieg bewältigt werden müssen, ist er ebenfalls nur fitten Wandervögeln zu empfehlen.

Leichter bewältigbar ist hingegen die kleine Zauberblickrunde gleichsam durch den Ort Semmering. Die rund acht Kilometer lange Wegstrecke ist in gut zweieinhalb Stunden zu schaffen. Sie bietet ebenfalls interessante Ausblicke, wobei jene auf den Schneeberg und die steil abfallende Rax die markantesten sind. Zudem rücken immer wieder die atemberaubenden Kunstbauten der Semmeringbahn – unter anderem die Polleroswand-Galerie – in den Blickfocus. Ebenso sind einige der insgesamt 15 Viadukte zu sehen.

Ein weiterer Rundwanderweg bietet sich von der Passhöhe Semmering über den Ochnerkamm und retour an. Für die leicht bewältigbare elf Kilometer lange Strecke sind knapp drei Stunden Zeitaufwand erforderlich.
Viel begangen wird auch der Weg vom Hirschenkogel – gut erreichbar mit der Kabinenseilbahn – auf den Sonnwendstein. Die Höhenwanderung – Hin- und Rückweg erfolgen über unterschiedliche, dennoch nahezu parallel verlaufende Routen – ist auch für Familien gut geeignet, zahlreiche Ruheplätze laden zum Verweilen ein. Auch diese Wanderung bietet ein grandioses Ausblick-Szenario. Auf den vielen Routen laden zudem Gasthäuser zum Verweilen und Hunger- und Durststillen ein.

Kurze Anreise aus den Ballungsräumen Wien und Graz

Erreichbar ist die außergewöhnliche Natur- und Kulturlandschaft Semmering von den Ballungsräumen Wien und Graz in relativ kurzer Zeit. Mit dem Auto auf Schnellstraßen in nur etwas mehr als einer Stunde. Ebenso lange benötigen die schnellsten Züge. Semmering ist Railjet- und Regionalexpress-Station der ÖBB. Bei den meisten Verbindungen muss zumindest einmal umgestiegen werden, demzufolge verlängert sich die Fahrzeit um bis zu rund zwei Stunden. Zudem muss vom Bahnhof in das Ortszentrum noch rund 15 bis 20 Minuten Fuß-Wegzeit eingerechnet werden.

Weltkulturerbe Semmeringbahn

Die ehemals erste Gebirgsbahn Europas bietet ein einmaliges Bahnerlebnis nicht nur für ausgewiesene Eisenbahnfans. Technik und Landschaft ergänzen sich harmonisch. Zwar gab es Mitte des 19. Jahrhunderts  bereits viele Bahnstrecken in Europa und mit der Erstfahrt des Dampfzuges von Floridsdorf nach Deutsch Wagram am 23. November 1837 begann auch im Kernland der Habsburgermonarchie Österreich das Dampf-Eisenbahnzeitalter, am Semmering entwickelten die Ingenieure und Bahnbauer jedoch herausragende neue Zukunftsvisionen für die Eisenbahn. Überall in Österreich wurde der Bau von Bahnstrecken in Angriff genommen. So auch in den südlichen Gefilden des Reiches bis zum so wichtigen Hafen Triest. Zwischen Gloggnitz und Mürzzuschlag lag allerdings wie ein riesiger Riegel das Semmering-Bergmassiv mit tiefen Einschnitten und steilen Felswänden. Ziel war es trotz allem eine Schienenverbindung zwischen Gloggnitz und Mürzzuschlag zu schaffen, um so den kostenintensiven Straßentransport mit Pferdefuhrwerken abzulösen. Allerorts bestanden allerdings damals große Zweifel an der technischen Möglichkeit der Realisierung. Die Skeptiker übten zudem an den zu erwartenden enormen Baukosten heftige Kritik. Dennoch erhielt der Baudirektionsadjunkt und spätere Baudirektor Carl von Ghega 1841 den Auftrag, die Semmeringquerung zu planen.

Unfälle und Seuchen rafften viele Arbeiter dahin

Es war ein gewaltiges Unterfangen. Da es keine Baumaschinen im heutigen Sinn gab, musste vieles händisch und mit unzureichenden Geräten erledigt werden. Da zudem noch kein Dynamit zur Verfügung stand, sondern nur das weit weniger wirkungsvolle Schwarzpulver, glichen die Arbeiten einem Tanz auf dem Vulkan. Der Bau der Semmeringbahn forderte unter den rund 20.000 Arbeitern, davon viele aus Italien, zahlreiche Opfer. Es gab Dutzende Tote im Zuge der im wahrsten Sinne knochenbrechenden Arbeit. Mehr Sorgen als die Arbeitsunfälle selbst bereiteten die Krankheiten die auftraten. Cholera und Typhus breiteten sich unter den Arbeitern aus. Die Seuchen forderten rund 800 Menschenleben.
Die Bauarbeiten wurden 1854 abgeschlossen. Kurz darauf konnte Kaiser Franz Joseph gemeinsam mit dem inzwischen in den Ritterstand erhobenen Ghega die Strecke befahren bevor sie am 17. Juli 1854 für den Personenverkehr freigegeben wurde. Noch heute erinnert in der Bahnstation Semmering ein Denkmal an den Erbauer der Bahn. Da diese allerdings nur als Teilstück des gesamten Südbahnprojektes betrachtet wurde, wurde sie nie feierlich eröffnet. Die Strecke ist rund 41 km lang, umfasst 16 (zum Teil zweistöckige) Viadukte sowie 15 Tunnels und 100 Eisenbahnbrücken.

Kein Aus für alte Strecke wegen neuen Basistunnels

Seit einigen Jahren wird an der Querung (Unterfahrung) des Bergmassivs in Form eines Basistunnels gearbeitet. Dieser zählt mit seinen zukünftig rund 27 Kilometer Länge und der zu erwartenden 16-jährigen Bauzeit bei herausfordernden geologischen Bedingungen zu den komplexesten Tunnelbauwerken in Europa. 2028 soll die Fertigstellung erfolgen. Die alte Semmeringstrecke wird allerdings dann nicht zum alten Eisen gehören oder gar abgetragen werden, soll doch der Betrieb für die ÖBB für den Regionalzugverkehr aufrechterhalten werden.

Kunst im öffentlichen Raum

Ein besonderes Erlebnis bietet derzeit noch bis Mitte Oktober der Open-Air-Ausstellungsparcours „Land, Besitz und Commons“, der zum etwas anderen Blick auf den Semmering einladen will. Die 13 teils an markanten Stellen auf dem Semmering positionierten Kunstwerke stammen von internationalen Künstlerinnen und Künstlern und wurden zum Teil eigens für die Ausstellung konzipiert. Die Palette der Arbeiten reicht von großformatigen Installationen wie Hannes Zebedins „Loos-Schleuse“, die am Golfplatz markant in die Landschaft gesetzt wurde, über Milica Tomić „Flowers (Not) Worthy Of Paradise“ auf der Terrasse des Kurhotels  – eingepflanzt in ehemalige Sauerstoffkanonen – bis hin zu Zhanna Kadyrovas kleinen aber feinen Arbeit „Second Hand“. Das aus alten Keramikfliesen geformte Objekt, das in seiner Form an ein Handtuch oder eine Badematte erinnert, wirkt perfekt in den Ort eingeschrieben. Platziert auf der Stange einer einstigen Freiluftdusche an der Außenseite des vor sich hin verfallenden und mit reichlich Patina überzogenen Hallenbades lädt es zur Zeitreise in die Vergangenheit ein.

Als Impulsgeber für das von Hedwig Saxenhuber kuratierte Ausstellungsprojekt fungierte der Semmering-Experte und ehemalige Direktor des Wien Museums Wolfgang Kos. Dieser sei an „Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich“ mit dem Anliegen zeitgenössische Kunst verstärkt am Semmering zu etablieren, herangetreten.

Kunst und Kultur als Widerbelebungsmaßnahme beziehungsweise Entwicklungsmotor für eine Region haben sich in der Vergangenheit für viele Orte als nützlich erwiesen. Inwieweit die Rechnung aufgeht und sich ein neues Zielpublikum auch für den Semmering generieren lässt, wird die Zukunft weisen. Mit Spannung erwartet wird auch die (Wieder-)Eröffnung des ehemaligen Kurhotels als Grand Semmering. Für die Renovierung verantwortlich zeichnet der Grazer Hotelier Florian Weitzer, der dem Komplex – und damit wohl auch dem Semmering – zu neuer Blüte verhelfen möchte. Denkmalschutz und andere infrastrukturelle Problem dürften sich jedoch nicht nur für Weitzer als Herausforderung erweisen. Der Semmering – eine Region im Wandel.

https://www.semmering.at/TOURISMUS
https://infrastruktur.oebb.at/de/projekte-fuer-oesterreich/bahnstrecken/suedstrecke-wien-villach/semmering-basistunnel
https://www.publicart.at/de/kalender/?pid=1038
https://grandsemmering.com/

Titelbild: Milica Tomić „Flowers (Not) Worthy Of Paradise“ auf der Terrasse des ehemaligen Kurhotels

Geschrieben von Stefan Weinbeisser