Schweiz 1971, ein kleines Dorf in der Region Appenzell. In der beschaulichen Kulisse der Schweizer Bergwelt scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Doch nicht nur dort: In der gesamten Schweiz laufen die Uhren anders – was die Gleichberechtigung der Frauen anbelangt ist die Eidgenossenschaft eines der letzten Länder Europas, in dem Frauen nicht wählen dürfen. Die Männer des Dorfes, in dem Hauptdarstellerin Nora (Marie Leuenberger) als Hausfrau und zweifache Mutter ihr Leben verbringt, scheinen damit zu frieden sein. Aber auch viele Frauen des Ortes wie u.a. die Chefin der Fabrik, in der Noras Mann (Max Simonischek) arbeitet, setzten sich gegen die Politisierung der Frau ein.
Es ist ein trauriger Fakt: „Ein üblicher Mechanismus bei Menschen, die keine Macht haben“, betont Regisseurin Petra Volpe, die für ihren Film jahrelang recherchierte und das Thema von Anbeginn von verschiedenen Seiten beleuchten wollte. „Es waren oft sehr gebildete Frauen, Akademikerinnen, Dorfköniginnen, die sich ganz gut eingerichtet hatten, und die vielleicht einfach nicht wollten, dass ihre Köchin etwas zu sagen hat“, so Volpe weiter.
Im Falle von „Die göttliche Ordnung“ wird die Antisuffragette – wie die Stimmrechtgegnerinnen (nicht nur) in der Schweiz hießen – zur schärfsten Gegnerin Noras. Doch schon bald findet die an sich unpolitische Hausfrau, die sich erst zu engagieren beginnt als ihr Ehemann ihr verbietet arbeiten zu gehen (verantwortlich: ein Gesetz, das den Frauen verbot ohne Zustimmung ihrer Männer einen Job auszuüben und das im Übrigen auch in Österreich bis 1977 existierte), Hilfe von der ehemaligen Wirtin des Bären, Vroni (Sibylle Brunner). Die Vollblutwirtin musste jahrelang mitansehen wie ihr Mann das Geld versoff und konnte aufgrund von fehlendem Mitspracherecht der Ehefrau in Gelddingen nichts dagegen tun. Das ungleiche Duo erhält Verstärkung von der neuen Wirtin des Ortes, Graziella – eine Italienerin, die ihren Mann verlassen hat – und immer mehr Frauen des Ortes beginnen sich plötzlich für ihre Rechte einzusetzen. Es kommt zum Streik. Können die Frauen das Blatt wenden?
Humorvolle Wiedergabe des Zeitgeistes
Im Film können sie. Im realen Leben waren gerade die beiden Appenzeller Halbkantone, jene die den Frauen auf kantonaler Ebene als letzte 1989/90 das Stimm- und Wahlrecht gewährten.
Regisseurin Volpe ging es jedoch nach eigener Angabe weniger darum sich exakt an die Fakten zu halten. Vielmehr wollte sie die Atmosphäre jener Zeit möglichst gut treffen. Hilfe erhielt sie dafür von ihrem Filmteam – vom Kostüm über Maske bis hin zum Szenenbild – das sich für die getreue Wiedergabe des Zeitgeistes an Materialen aus Archiven und privaten Fotoalben orientierte. Dementsprechend durchweht auch ein Hauch von Flower Power das Werk. Es gehört zu den witzigsten Szenen des Films – der sich diesem an sich ernsten Thema generell mit sehr viel Humor nähert – als das Trio einen Ausflug nach Zürich unternimmt und dort in einem Workshop über die weibliche Sexualität landet. Man erkennt; auch mit dem Recht auf sexuelle Erfüllung gibt es einiges im Leben Noras aufzuholen.
Aufzuholen gibt es auch in der Schweiz des 21. Jahrhunderts einiges. Was Frauen in Führungspositionen anbelangt, sind diese immer noch stark unterrepräsentiert. Laut Volpe sind 85 Prozent der Personen im Stadtrat Männer. Und auch was die Einkommensschere anbelangt, hinkt die Schweiz (auch hier wieder mit dabei; Österreich) anderen EU-Staaten hinterher. Es gibt also noch viel zu tun im Land der Uhren. Nicht nur deshalb ist Volpes gelungener Spielfilm ein Muss. Doch von nichts kommt nichts. Das muss auch Nora erkennen, als sie beginnt eine Veränderung herbeiführen zu wollen. Eine Veränderung, die wie Noras Mann mit Fortschreiten der Handlung erkennt, auch für Männer viele positive Seiten mit sich bringt.
Die göttliche Ordnung. Ein Film von Petra Volpe. Mit Rachel Braunschweig, Marta Zoffoli, Marie Leuenberger, Sibylle Brunner, Bettina Stucky, Maximilian Simonischek. Schweiz 2017. 97 Minuten.
Kinostart: 3. August 2017
© Fotos: Alamode Film
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