Dem jungen Wiener Pianisten und Komponisten Martin Listabarth gelingt es auf seinem zweiten Soloalbum „Dedicated“ Jazz und Klassik auf ausgesprochen stimmige Art miteinander zu verbinden. Auch das ungewöhnliche Konzept, jedes der zehn Stück des Albums einer konkreten Person zu widmen, geht hervorragend auf.

Martin, „Dedicated“ ist wie der Name schon sagt, unterschiedlichen Personen gewidmet. Wie kam es dazu?

Es gibt neben der Musik so viele andere Dinge, die mich begeistern. Mir hilft es, wenn ich beim Improvisieren beziehungsweise beim Komponieren eine außermusikalische Idee habe, die ich verfolgen kann. Das macht es für mich einfacher Entscheidungen zu treffen, zum Beispiel in welche Richtung das Stück überhaupt gehen soll. Ich fand den Einfall, die Stücke des neuen Albums bestimmten Personen, Frauen und Männern, zu widmen, deren Leidenschaft für ein bestimmtes Gebiet mich fasziniert, besonders spannend.

Das ist ein eher ungewöhnliches Konzept für Kompositionen oder?

Viele Kollegen und Kolleginnen gehen beim Komponieren anders vor, lassen sich mehr aus der Musik heraus anregen. Auch so können natürlich tolle Kompositionen entstehen. Bei mir ist es eben so, dass ich einen Rahmen brauche, eine erzählerische Struktur, die mir beim kreativen Prozess hilft. Ich wollte versuchen bestimmte Aspekte vom Leben einer Person auf Musik umzulegen. Deshalb habe ich mich auch bewusst für Leute entschieden, die keine Musiker sind, um mich von anderen Lebensentwürfen und Konzepten inspirieren zu lassen.

Wie hast du die Auswahl dieser Personen getroffen?

Es gab ein paar Fixstarter, die mich die schon sehr lange in meinem Leben begleiten – wie zum Beispiel Michael Köhlmeier, dessen Nacherzählungen von Sagen und Mythen ich seit Kindertagen sehr inspirierend finde. Auch seine Romane habe ich gerne gelesen. In Folge habe ich mir weiter überlegt, welche Bereiche ich spannend finde und welche interessanten Personen es da gibt. So bin ich unter anderem auf die Malerei gekommen. Der Gedanke war, wie kann man ein Bild umlegen auf Musik? Während meiner Recherche bin ich auf die russische Malerin Marianne Werefkin gestoßen, die zum Beispiel ein Bild gezeichnet hat, das eigentlich nur aus drei Grundfarben besteht. Das hat sich angeboten, dieses Bild auf Musik zu übertragen.

Sind die Stücke auf „Dedicated“ mehr improvisiert oder komponiert?

Das ist unterschiedlich. Viele Stücke sind aus der Improvisation heraus entstanden. Während meiner Recherche habe ich viel über die ausgewählten Personen gelesen, Videos dazu angeschaut etc. und versucht, mich in diese Menschen hineinzuleben. Dann bin ich öfters zum Klavier gegangen und habe drauflos improvisiert. Der nächste Schritt war zu schauen, welche von diesen Elementen, die in meinen Improvisationen vorgekommen sind, könnte ich weiterverarbeiten zu einem ganzen Stück.
Andere Kompositionen sind mehr aus dem Konzept heraus entstanden, wie zum Beispiel beim Wissenschaftler Alan Turing. Er war einer jener Männer, die im Zweiten Weltkrieg die geheimen Enigma-Codes der deutschen U-Boote entschlüsseln konnten, und somit zum Sieg der Alliierten gegen Nazi-Deutschland beigetragen haben. Das wollte ich unbedingt in die Komposition über ihn mit einbringen. Turing war ein britischer Wissenschaftler, Mathematiker, Logiker und Informatiker. Neben seinen großen beruflichen Erfolgen hat er privat ein tragisches Leben geführt. Er war homosexuell, was zu jener Zeit noch als Straftat galt und er wurde deswegen zu einer chemischen Kastration verurteilt. Zwei Jahre später hat er Suizid begangen. Mich hat diese traurige Geschichte sehr beeindruckt, aber auch berührt. Turing war auf eine Art ein Genie, das viele tolle Einfälle hatte und in seinem Beruf sehr engagiert war. Durch seine eher tragische Lebens- und Leidensgeschichte hat das Stück allerdings eher eine melancholische Stimmung. Ich habe auch probiert sein Sterbedatum, den 07. Juni 1954 beziehungsweise diese Zahlenreihe als motivisches Ausgangsmaterial für diese Komposition zu verwenden.

Wie hast du das gemacht?

Das war quasi ein mathematischer Zugang (schmunzelt). Wenn ich eine Tonleiter hernehme, so lassen sich die Töne von eins bis acht und darüber hinaus durchnummerieren. Wenn ich jedem Ton eine Zahl zuordne, kann ich plötzlich Zahlenreihen aus Tönen bilden. Das ist ein gutes Beispiel, für eine Komposition, wo die Improvisation nur eine Nebenrolle gespielt hat, und ich eher von einem bestimmten Konzept ausgegangen bin.

Das erste Stück der CD ist den „Cholita Climbers“ gewidmet. Wer sind diese?

Da geht es um eine Gruppe von mutigen Frauen, die in Bolivien einige der höchsten Berge Südamerikas bestiegen haben – noch dazu in ihrer traditionellen Bekleidung. Die Frauen hatten zu Beginn überhaupt keine Erfahrung beim Bergsteigen, ihre einzige Vorbildung war das Beobachten von Touristen beziehungsweise Verwandten auf den Bergen. Doch sie wollten selbst einmal auf die Berge hinauf. Das Frauen, auch in Gruppen überhaupt alleine auf Berge gehen ist in Bolivien sehr ungewöhnlich und nicht gerne gesehen, deshalb hatten die „Cholita Climbers“ zu Beginn ihrer Touren mit vielen Vorurteilen und Anfeindungen zu kämpfen. Ich sehe darin ein wunderbares Beispiel, wie man äußere Widerstände überwinden kann, wenn man sich ein Ziel setzt. Es war es mir ein Anliegen, das auch musikalisch umsetzen.

Spannend finde ich auch „The Hand Of God“, die Komposition für Diego Maradona. Wie kam es dazu?

Ich spiele gerne Fußball und habe mir früher auch viele Spiele im Fernsehen angeschaut. Live konnte ich den argentinischen Fußball-Star leider nie sehen, aber es gibt jede Menge Videos von seinen Spielen im Internet. Vor allem hat mich der Spielwitz von Maradona, seine Wendigkeit aber auch seine Frechheit, wenn man beispielsweise an das legendäre Tor mit der Hand gegen England bei der WM 1986 in Mexiko denkt, sehr begeistert. Zusätzlich hat ihn auch sein starker Linksfuß ausgezeichnet. Da war es quasi naheliegend, mit dem Klavier, wo wir ja auch die rechte und linke Hand verwenden, etwas dazu machen. „The Hand Of God“ habe ich dann dementsprechend so angelegt, dass die linke Hand eine prominente Rolle innehat.

Mit welcher Musik bist du aufgewachsen?

Ich kann mich erinnern, dass ich schon als Kind sehr gerne klassische Musik gehört habe. Sehr beeindruckt hat mich damals die „Symphonie aus einer neuen Welt“ von Antonín Dvořák. Das war auch eine der ersten CDs, die ich mir von meinem eigenem Taschengeld gekauft habe. Später bin ich oft mit billigen „Stehplatz“-Karten auf Konzerte in den Musikverein gegangen und war regelmäßig hin und weg, wenn ich zum Beispiel ein großes Orchester gehört habe. Das ist schon faszinierend, wenn dir das mit dieser enormen Wucht und Power entgegenbläst. Meine Eltern sind keine Musiker, doch beiden haben früher hobbymäßig Klavier gespielt. So bin ich mit dem Klavier in Berührung gekommen. In den letzten Jahren habe ich mich verstärkt auch für Jazz zu interessieren begonnen.

Magst du auch Pop und Rock?

Es gibt eine Band, die ich vor allem in der letzten Zeit oft gehört habe, das ist Radiohead. Ich finde die Band toll, weil sie in ihrem Sound für Rock- und Popmusik sehr viele ungewöhnliche Elemente integriert hat. Nicht nur was die Sounds betrifft, sondern auch wie die Songs aufgebaut sind, was sie für eine Struktur haben, was für Taktarten vorkommen etc. In Radiohead-Songs gibt es zum Beispiel oft viele ungerade Taktarten, wo es wieder Berührungspunkte zum Jazz hin gibt. Auch die markante und eigenwillige Stimme von Thom Yorke finde ich faszinierend.

Deine CD hat auch ein sehr schönes Cover. Wie steht das mit dem Konzept in Verbindung?

Das Bild am Cover zeigt den sogenannten „Turings Pattern“ nach Alan Turing. Er hat danach geforscht, wie Musterbildung in der Natur funktioniert, wie zum Beispiel die schwarzen Streifen auf einem Zebra angeordnet sind. Mein Bruder, der das Cover gestaltet hat, fand heraus, dass man „Turing‘s Pattern“ auch über den PC generieren kann, und so ist dieser „Pattern“ jetzt auf der Hülle der CD zu sehen.

Danke für das Gespräch!

Zur Person:
Martin Listabarth wurde 1991 in Wien geboren. Im Alter von fünf Jahren erhielt er erstmals klassischen Klavierunterricht und interessierte sich von Anfang an besonders für das Improvisieren und Komponieren. Listabarth studierte sowohl Jazz-Klavier als auch klassisches Klavier an der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien. Im Jahr 2019 veröffentlichte er sein Solo-Debütalbum "Short Stories". Seine Auftritte führten in bereits zu einigen der bekanntesten Veranstaltungsorte in Österreich, wie dem Wiener Musikverein, dem Jazzclub "Porgy & Bess“ und dem ORF Radiokulturhaus, sowie zu Festivals in Österreich (Jazzbühne Lech, Jazzwerkstatt Graz Festival), Deutschland (Klavierfestival Hainfeld) und Polen (Jazz Piano Festival Kalisz). Neben seinem Soloprojekt arbeitet er derzeit mit seinem Trio (gemeinsam mit dem Bassisten Gidi Kalchhauser und dem Schlagzeuger Alex Riepl) an einem neuen Programm.

www.martinlistabarth.at

Martin Listabarth LIVE:
30. Juni 2022
Martin Listabarth Trio
Bukarest, RO -Jazzunique Festival

Geschrieben von Robert Fischer