Es war der Beginn einer politischen Ära, die Österreich nachhaltig verändern sollte. Es war eine Epoche, die von Aufbruch, dem Bemühens um mehr Fairness und Gerechtigkeit in der Gesellschaft geprägt gewesen ist. „Besser wohnen, besser leben, bessere Bildung, besseres Gesundheitswesen, bessere Justiz“, war Kreiskys Ziel. Intellektuellen, kritischen Denkern, durchaus auch jenen, die der SPÖ skeptisch gegenüberstanden, bot er für dieses Ziel an, „ein Stück des Weges“ mit ihm zu gehen. Weite Lebensbereiche wurden in den folgenden 13 Jahren – davon zwölf unter einer Alleinregierung der Sozialdemokraten – von dem umfassenden Reformvorhaben, Österreich moderner zu gestalten, erfasst. Zeitchronisten bzw. politische Kommentatoren sind nicht selten über Parteigrenzen hinweg überwiegend der Meinung, dass während dieser Zeit die Alpenrepublik sowohl in gesellschaftspolitischer als auch wirtschaftlicher Hinsicht von der Neben- auf die Überholspur der Industriestaaten gewechselt ist. Viele der damals umgesetzten, tiefgreifenden Reformmaßnahmen haben bis heute nichts von ihrer Bedeutung eingebüßt, werden als Selbstverständlichkeit empfunden. Dabei mussten viele der Maßnahmen gegen harten Widerstand so mancher etablierter Gesellschaftskreise durchgesetzt werden.

Der Zeitgeist stand Pate bei der Erneuerung

Die Wahlsiege der Sozialdemokraten in den 70er Jahren, übrigens nicht nur in Österreich, waren wesentlich vom damals herrschenden Zeitgeist nach einer Liberalisierung der Gesellschaft in allen Lebensbereichen geschuldet. Schwerpunktziele der Ideengeber, u. a. der so genannten „68er-Bewegung“, war die Selbstbestimmung des Menschen in möglichst allen Lebensbereichen, die Überwindung ewiggestrigen, inhumanen Gedankenguts im herrschenden Eliten-Establishments, der Einsatz für den Frieden in der Welt und damit die heftige Ablehnung mit Waffengewalt ausgetragener Konflikte, wie u.a. der damals auf seinem Höhepunkt befindliche Vietnamkrieg.“ Make Peace and Love not War“ der dazu passende Schlagsatz der jungen Generation.

Prägende gesellschaftliche Veränderungen

Die Veränderungen während der Ära Kreisky waren in der Tat in weiten Bereichen tief und grundlegend. Oft blieb bei der Gesetzgebung kein Stein auf dem anderen. Jahrzehnte, teilweise sogar jahrhundertealte Gesetze wurden durch zeitgemäße Regelungen ersetzt, der Staub von in der Lebensrealität längst entfernten gesellschaftlichen Normen und Verhaltensregeln weggeblasen. Straf- und Familienrecht wurden neu definiert, die Rechte der Frauen, die bis dahin gewissermaßen ein legistisches Anhängsel des sogenannten Haushaltsvorstandes, in der Regel der Mann, gewesen sind, im Sinne der Gleichberechtigung enorm ausgeweitet. Stichwort: Gleiche Rechte und Pflichten für Ehepartner. Zudem erfolgte die Einrichtung der ersten Frauenhäuser, die Frauen Schutz vor häuslicher Gewalt boten und heute, weil ganz einfach notwendig, mehr denn je bieten, die Selbstbestimmung der Frau im Zusammenhang mit der Fristenregelung im Fall von Schwangerschaften wurde realisiert. Es kam zudem zu einer Reform im Schulunterrichts- und Arbeitsverfassungsgesetz, und der Zivildienst wird als Alternative zum Präsenzdienst geschaffen. All diese Reformen sorgten für eine weitere Demokratisierung der Gesellschaft, liberalisierten das gesellschaftliche Klima und brachten der SPÖ großen Zuspruch von Seiten der Bevölkerung.
Die Wirtschaft erlebte trotz Rückschlägen u. a. durch die weltweite Ölkrise, eine Zeit der Hochblüte, nicht zuletzt durch die neue Gewerbeordnung, die uralte Hindernisse bei der Entfaltung des Unternehmertums, vor allem für Klein- und Mittelbetriebe, aus dem Weg räumte. Die Bergbauernförderung wurde intensiviert, um zielorientiert jenen Landwirten, die unter schwierigen Umfeldbedingungen ihre harte Arbeit verrichteten, spürbare Unterstützung anzubieten. Der Ausbau der Infrastruktur, u.a. die öffentlichen Verkehrsmittel wie die Bundesbahn, wurde forciert, moderne Zuggarnituren beschafft, das Post- und Telekommunikationswesen verbessert.

Umfassende Bildungs- und Gesundheitsoffensive

Das Bildungswesen wurde in weiten Bereichen, nämlich überall dort, wo keine damals noch gültige Zweidrittelmehrheit im Parlament dafür benötigt wurde, auf zeitgemäßen Standard gebracht, durch die Abschaffung der Studiengebühren an den Universitäten, die Schulfreifahrt und die Gratis-Schulbücher wurde es auch den Kindern finanziell schwächer gestellten Bevölkerungsschichten ermöglicht, weiterführende Bildungseinrichtungen zu besuchen. Steuerliche Entlastungen gab es durch die Einführung von Kinderabsetzbeträgen mit Mehrkinderstaffel. Meilensteine wurden ebenso im Gesundheitsbereich gesetzt. Die kostenlose Vorsorgeuntersuchung, die Geburtenbeihilfe, der Mutter-Kind-Pass zur Verringerung der Säuglingssterblichkeit, die Einrichtung der Familienberatungsstellen, die Pflegefreistellung von Eltern, sind nur einige der zahlreichen wegweisenden diesbezüglichen Initiativen.
Mit der Einführung der 40-Stunden-Arbeitswoche, des Arbeitsverfassungsgesetzes, das u. a. die Rechte des Betriebsrates erweiterte, des fünfwöchigen Urlaubsanspruchs, der vierwöchigen Lohnfortzahlung auch im Krankheitsfall usw. veränderte sich die Arbeitswelt zugunsten der unselbständig Beschäftigten.

Österreich – ein weltoffenes Land des Dialogs

Weltweit stieg das Ansehen Österreichs nicht nur infolge der friedensvermittelnden Dialoge und Initiativen der Regierung unter Federführung des gelernten Außenpolitikers Bruno Kreisky. Kreisky förderte eine Entspannungspolitik zwischen Ost und West. Auch die Errichtung der UNO-City und des Internationalen Konferenzzentrums in Kagran und die Etablierung Wiens als dritter UNO-Standort, die Ansiedlung weiterer internationaler Organisationen sowie Unternehmen waren unübersehbare Zeichen der Weltoffenheit Österreichs und die Akzeptanz unseres Landes als international geschätzter Gesprächs- und Wirtschaftspartner.

Direkter Draht zwischen Kanzler und Bevölkerung

Neue, bis damals unbeschrittene Wege der Kommunikation zwischen den Regierenden und der Öffentlichkeit waren ebenfalls ein Markenzeichen der Ära Kreisky. Das allwöchentliche Pressefoyer nach dem Ministerrat, bei dem der Kanzler und Regierungsmitglieder den Journalisten Rede und Antwort standen, ging in die Geschichte ein. Wie ebenso die unkomplizierte Erreichbarkeit von Bundeskanzler Kreisky für die Bevölkerung, stand doch die private Telefonnummer des Regierungschefs für jedermann bzw. jedefrau einsehbar im öffentlichen Telefonverzeichnis. Die Bevölkerung hatte also im wahrsten Sinn des Begriffs einen direkten Draht zum Bundeskanzler, was zahlreiche Menschen auch nutzten.

Fehleinschätzungen und Irrtümer

Kreisky, der in seiner Studienzeit wegen seiner zutiefst demokratischen Gesinnung während der austrofaschistischen Regierungszeit in den dreißiger Jahren noch mit dem Gefängnis Bekanntschaft gemacht hatte, war Zeit seines Lebens ein Menschenfreund. Und natürlich wie jeder unserer Spezies mit Fehleinschätzungen behaftet. Der lang schwelende Konflikt mit Simon Wiesenthal, dem Chef des nach diesem benannten Archivs, das sich der Aufarbeitung der Verfolgung der Juden unter dem Nationalsozialistischen Regime widmete, aber auch die permanenten Auseinandersetzungen mit der damaligen israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir zehrten an der Beliebtheit Kreiskys vor allem in der jüdischen Gemeinde aber auch darüber hinaus.
Einer Fehleinschätzung unterlag Kreisky im Zusammenhang mit der Errichtung des Atomkraftwerkes in Zwentendorf. Während er vehement für die Inbetriebnahme eintrat, votierte bei der diesbezüglichen Volksbefragung im Jahr 1978 eine knappe Mehrheit für die Nicht-Inbetriebnahme des Kraftwerkes. Was in der Folge auch nahezu postwendend realisiert wurde. Und wohl auch weil er auf die Stimme des Volkes hörte seiner Partei – und damit auch ihm persönlich – bei der im darauffolgenden Jahr stattfinden Nationalratswahl zum dritten Mal in Folge die absolute Mehrheit bescherte.

Einen weiteren Irrtum seitens Kreiskys gab´s im Zusammenhang mit einer von ihm vor der NR-Wahl 1983 forcierten Initiative zur Einführung einer so genannten Zinsenertragssteuer (ZEST) (heute Kapitalertragssteuer KEST)). Während Kreisky meinte, die WählerInnen würden diese als gerechten Akt durchaus verstehen und goutieren, verlor die SPÖ beim Votum für den Nationalrat auch und vor allem wegen des ZEST-Themas knapp ihre absolute Mehrheit. Das fälschlicherweise von den Konservativen gestreute Argument, in Wirklichkeit würden nicht nur die Zinserträge, sondern das gesamte Sparkapital besteuert, hatte viele Menschen verunsichert.

Kreisky trat nach der Wahlniederlage 1983 sowohl als Bundeskanzler als auch Parteivorsitzender der SPÖ zurück, die Ära Kreisky war unwiderruflich zu Ende. Bis zu zu seinem Ableben im Jahr 1990 kommentierte er kaum noch die politische Entwicklung, die er so viele Jahre lang entscheidend mitbestimmt und geformt hat und als Ära Kreisky in den Geschichtsbüchern Eingang gefunden hat.

Titelbild: Quelle Wikipedia (Votava (SPÖ Presse und Kommunikation)

Geschrieben von Stefan Weinbeisser