Bunt ist die Welt der sozialen Medien und anstrengend mitunter auch – auf der Jagd nach Likes und einer größeren Reichweite kann man definitiv ins Schwitzen geraten. In geschmacklose Jogginganzüge gehüllt wärmen sich die Schauspieler mit Kniebeugen und Ohrfeigen – umgeben von einer Urwaldkulisse – auf, während die Zuseher noch ihre Plätze suchen. Der Auftakt zu einem Abend in die Tiefen des Mediendschungels. Ein Ausflug ins Dickicht des World Wide Webs, in dem auch Kinder als Freiwild schonungslos ausgebeutet werden.

Unter den „Gejagten“: die „kleine Maus“ Martina – ein siebenjähriges Mädchen, das als Objekt von skrupellosen Geltungs- und Geschäftsinteressen ähnlich so manchen Zootiers zum „Star“ wider Willen gepusht wird. Von ihren Eltern ohne ihr Wissen regelmäßig als Hauptdarstellerin in bizarren Internetvideos missbraucht, wird das Kind absichtlich absurden Situationen ausgesetzt. Mit diesen auf Kundenwunsch inszenierten Szenen autoritärer Erziehungsmethoden, ist laut Stück gut Geld zu verdienen. Dass es sich dabei um Missbrauch handelt, daran wird auf der Bühne des ehemaligen Hundsturms, vor allem dank drastisch wirkender Anfangs-Szene, nicht der geringste Zweifel gelassen.

Unweigerliche Überlegungen, ob für so etwas tatsächlich ein Markt existiert, werden im Programmheft im Übrigen mit Ja beantwortet. Ein Absatz verweist auf einen Fall in Amerika, in dem Eltern ihren Sohn regelmäßig vor der Kamera Streiche spielten und diese demütigenden kleinen Filmchen anschließend ins Internet stellten. Doch auch ohne Verbindung zu diesem realen Vorfall und den zweifelsohne existierenden Schattenseiten des Internets funktioniert das Stück als Metapher gut. Man muss nur einen Blick in Facebook werfen um Bildmaterial von Kindern zu finden, das diesen im Erwachsenenalter vermutlich die Schamesröte ins Gesicht treibt. Wurden die Bilder früher lediglich einer Handvoll Bekannten am Küchentisch präsentiert, so werden sie heute für alle öffentlich zugänglich im Netz konserviert. Freilich weniger drastisch als eine Zwangsfütterungsszene vor den Augen der Öffentlichkeit, aber ein reflektierter Umgang im Netz ist, so viel ist sicher, nicht nur Kindern zu empfehlen. So lässt sich Setz’ „Vereinte Nationen“ nicht zuletzt als eine Abrechnung mit der verlockenden Scheinwelt sozialer Medien lesen. Martinas Vater ist dank seiner Auftritte in den „Erziehungsvideos“ selbst zum „Star“ im Netz geworden, während die Mutter dessen Erfolg kritisch beäugt. Zwischen den Zeilen schimmert eine Gesellschaft durch, in der Image alles ist, Geld und Erfolg erstrebenswert sind und in der auch vor der Vermarktung der eigenen Kinder nicht zurückschreckt wird – sei es bewusst oder unbewusst.

In der Fassung, die Michael Isenberg (Dramaturgie) und Holle Münster (Regie) erarbeitet haben, präsentiert sich Martina im Rückblick jedenfalls – wenig verwunderlich – als durch ihre negativen Erfahrungen vom Leben Gezeichnete. Als Erzählerin aus dem Off mischt sie sich immer wieder in das Geschehe ein, hält die Szene an, spult sie zurück und lässt sie mehrmals hintereinander vor den Augen der Zuseher ablaufen. Das schafft einerseits eine Verbindung zum Netz und verweist andererseits darauf, dass der Mensch nicht zuletzt durch Nachahmung und Wiederholung lernt. Eine erschütternde Vorstellung.

Vereinte Nationen
Eine Koproduktion des Max Reinhard Seminars mit dem Volkstheater
Mit mit Philipp Auer, Nélida Martinez, Emilia Rupperti, Clara Schulze-Wegener und Anton Widauer
Weitere Termine: 13., 17 und 21. Oktober sowie 3. und 30. November 2017
Volx/Margareten
Margaretenstraße 166
1050 Wien
www.volkstheater.at

© Robert Polster / Volkstheater

Geschrieben von Sandra Schäfer